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Im August 2019 forderte die Petition „Wiederaufbau Garnisonkirche Potsdam: Bruch statt Kontinuität“ u.a. den Abriss des Glockenspiels auf der Potsdamer Plantage wegen dessen „revisionistischer, rechtsradikaler und militaristischer Widmungen“. Worauf beruht diese kritische Bewertung des Glockenspiels, das 28 Jahre lang in Potsdam in Betrieb war und viel Wertschätzung erfuhr? Und ist diese überhaupt zutreffend? Die Stadt Potsdam ließ im Herbst 2019 in Folge des offenen Briefs das Glockenspiel abstellen und beauftragte im Folgejahr das Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) mit einem Gutachten hierzu. (download.pdf). Das Gutachten ging aber auf die Kritk nicht weiter ein, und bewertete das Objekt selber lediglich als konservativ bzw. nationalkonservativ. Dieser beschönigenden Darstellung folgend wurde das Glockenspiel im Juli 2021 unter Denkmalschutz gestellt.
Im September 2021 legten Prof. Dr. Micha Brumlik und Prof. Philipp Oswalt als Vertreter des Lernorts Garnisonkirche gegen die Form der Unterschutzstellung eine Fachaufsichtsbeschwerde bei der Kulturministerin des Landes Brandenburg Dr. Manja Schüle ein. Zudem legte der Lernrort ein eigenes wissenschaftliches Gutachten und folgendes Pressestatement vor:
Die Form der kürzlich erfolgten denkmalpflegerischen Unterschutzstellung des Glockenspiels auf der Plantage ist ein weiterer Schritt eines seit 30 Jahren fortgesetzten kollektiven Versagens der tonangebenden Kräfte der Potsdamer (Stadt)gesellschaft bei der notwendigen Abgrenzung von extremistischen Kräften am rechten Rand. Das Objekt ist nicht nur das erste unter Schutz gestellte Objekt der „Neuen Rechten“, es ist auch Symbol des „Potsdamer Handschlags“, des Schulterschlusses von erheblichen Teilen der Gesellschaft mit Gruppierungen am rechten Rand.
Das neue Gutachten des Lernorts belegt auf Basis einer mehrjährigen Recherche, dass dieses „Potsdamer Wahrzeichen“ nicht – wie gerne behauptet – Beispiel für ein westdeutsches Engagement aus der Mitte der Gesellschaft für die Wiedervereinigung ist, sondern sich im Wesentlichen der Unterstützung von Wehrmachtsveteranen und ihren rechtsgerichteten Sympathisanten verdankt. Diese gaben mit dem Glockenspiel ihrer revisionistischen, das NS-Regime verharmlosende und unsere Demokratie diskreditierende Haltung dauerhaften Ausdruck. Zu den Unterstützern gehörten ein Dutzend Veteranenverbände, monarchistische Vereine und evangelikale Gruppen, welche ein Deutschland in den Grenzen von 1937 forderten, die Kolonialkriege und den rechtsradikalen Stahlhelm – Bund der Frontsoldatenverherrlichten, die deutsche Kriegsschuld und die Verbrechen der Wehrmacht leugneten, ausländerfeindliche Hetze betrieben und sich auch zuweilen homophob äußerten.
Viele Personen und Institutionen der Neuen Rechten spielten hierbei eine Rolle, ob als Ideengeber, Unterstützer oder Befürworter. Hierzu gehörten etwa Hellmut Diwald, Albrecht Jebens, Reinhard Uhle-Wettler, Karl Feldmeyer, Alexander Gauland und Menno Aden, das Studienzentrum Weikersheim, die Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft und die Zeitschrift Junge Freiheit.
Doch nicht als Mahnmal bezüglich solcher Positionen wurde das Objekt unter Schutz gestellt. Die Begriffe Neue Rechte, Revisionismus oder Rechtsextremismus kommen weder in der Denkmalbegründung noch in dem ihm vorausgehenden Gutachten des ZZF vor. Nachweislich falsch wird stattdessen behauptet, die Initiative sei beispielhaft für breit in der Gesellschaft verwurzelte „Bestrebungen in den westlichen Bundesländern vor der Wende, Wiederaufbauprojekte in der DDR anzustoßen und zu unterstützen“. Dem politischen Mahnmal wird zudem eine städtebauliche Relevanz und eine Hochwertigkeit als Musikinstrument angedichtet, die es nachweislich nicht hat. Gegen diesen haltlos beschönigenden und politisch unverantwortlichem Akt haben der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Micha Brumlik und der Architekt Prof. Philipp Oswalt bei der Kulturministerin des Landes Brandenburg Dr. Manja Schüle eine Fachaufsichtsbeschwerde eingelegt.
Auch der Politikwissenschaftler Claus Leggewie sieht bei dem Potsdamer Glockenspiel das Problem der Öffnung, jedenfalls mangelnden Abgrenzung konservativer Positionen zu antidemokratischen Positionen der Neuen Rechten. Diese schafft eine Grauzone zwischen originär konservativen und revisionistisch-rechten Positionen. Leggewie plädiert für eine Stärkung des Konservativismus und appelliert: „Konservative achtet darauf, mit wem ihr Euch zusammentut!“. Bei dem Glockenspiel sei eine unmissverständliche Grenzziehung bislang ausgebleiben.
Der Thüringer Soziologe und Rechtsextremismusexperte Matthias Quent spricht von einer „Verzahnung von rechtsextremen mit konservativen Strukturen und Ansichten auf dem politischen Feld der Erinnerungskultur. Dies entspricht der Normalisierungsstrategie der äußersten Rechten, größere Resonanzräume für revisionistische und antidemokratische Narrative geöffnet werden sollen. Immer wieder wird die fehlende Abgrenzung nach rechts außen gerade in Ostdeutschland ausgenutzt, um in die politische Mitte vorzustoßen.“
Eine besondere Verantwortung für das gesellschaftliche Versagen sieht Prof. Philipp Oswalt bei den Trägern und Unterstützern des Wiederaufbauprojekts der Garnisonkirche. Die Fördergesellschaft betrieb dreizehn Jahre das Glockenspiel und warb mit ihm für ihre Ziele, zahlreiche Mitglieder waren jahrelang auch Unterstützer und Mitstreiters des Initiators des Glockenspiels, dem später offenkundig rechtsextremistischen Ex-Bundeswehroffizier Max Klaar. Sie sahen in ihm und seinem Glockenspiel das Initial für das Wiederaufbauprojekt. Aber auch führende Personen aus Politik und Kirche wie Jörn Schönbohm und Erwin Motzkus (CDU), Manfred Stolpe und Horst Gramlich (SPD), Propst Klaus-Günter Müller, Generalsuperintendent Günter Bransch und Generalsuperintendentin Heilgard Asmus unterstützen Klaar und die Traditionsgemeinschaft über mehr als ein Jahrzehnt, obwohl bereits von Anfang an die grundlegende Problematik bekannt war. Die Unterstützung von etablierter Seite hat zum Einsickern der geschichtsrevisionistischen Positionen der Neuen Rechte bis tief in die Gesellschaft geführt, dem nur mit einer klaren Zäsur begegnet werden kann, zu der auch die Distanzierung vom Ruf aus Potsdam von 2004 gehören muss.
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Das ist echt krass. Wie die Rechten hier in Potsdam ihre ideologischen Symbole pflanzen wollen und die Politik macht bis in die höchsten Ebenen mit.