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Ein unbeachtetes Detail in der Geschichte der Potsdamer Garnisonkirche
Kürzlich bekam ich das Buch von Werner Schwipps, Die Garnisonkirchen von Berlin und Potsdam (Berlinische Reminiszenzen VI), von 1964 geschenkt und bin darin über ein interessantes Detail gestolpert, das ich bisher nicht kannte. Das Buch ist sehr detailverliebt, vor allem aber war der Autor mit der Enkeltochter von Otto Becker, dem letzten Potsdamer Garnisonkirchenorganisten, verheiratet, weshalb das Buch einen starken Akzent auf Kirchenmusik legt.

„1939, kurze Zeit vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges, erhielt die Hof- und Garnisonkirche ein schwingendes Geläut. Der Studienrat Eugen Thiele hatte sich dafür eingesetzt und vorgeschlagen, vier Glocken mit den Tönen As, C, Es und F zu beschaffen. … Die finanziellen Mittel wurden durch Stiftungen beschafft … Am Sonnabend, dem 29. April 1939, wurden die Glocken vom Güterbahnhof feierlich eingeholt. Voran ritt auf Schimmeln das Trompeterkorps der Kavallerie. Dann folgten, von Abordnungen der Militärgemeinde und der Zivilgemeinde begleitet, die Wagen mit den Glocken. …
Der Sonntag Exaudi, 21. Mai 1939, wurde für die Glockenweihe bestimmt. Noch einmal hatte die Hof- und Garnisonkirche einen großen Tag. Fast dreitausend Menschen füllten sie bis auf den letzten Platz, als Heerespfarrer Damrath die Glocken einzeln aufrief und ihnen der Reihe nach ihren Weihespruch gab. Die größte Glocke As war dem Begründer und Erbauer der Kirche, Friedrich Wilhelm I., zugedacht. Die zweite Glocke C trug den Namen Friedrichs des Großen, die Glocke Es erinnerte an die Königin Luise. Die Glocke F war Hindenburg geweiht.“ (Werner Schwipps, Die Garnisonkirchen von Berlin und Potsdam, 1964, S. 96f)
Das von Eugen Thiele angestoßene Vorhaben stieß bei der Gemeinde zunächst auf wenig Gegenliebe – man hatte ja schon das berühmte Glockenspiel und scheute die Kosten. Doch Eugen Thiele ließ nicht locker und das zusätzliche freie Geläut konnte mittels Spenden (damals klappte das noch) realisiert werden. Interessant ist an diesem Geläut zum einen die Vierzahl der Glocken (üblich sind drei) und sodann die Tonfolge, ein As-Dur-Akkord nebst dem Grundton der Paralleltonart f-Moll.

Werner Schwipps erläutert in seinem Buch den Sinn der Tonfolge nicht, konnte aber bestimmt Latein und hat sich eins gefeixt. Beim Initiator Eugen Thiele muss ohnehin mit deutschem Gymnasiallehrerhumor gerechnet werden. Um die zu Grunde liegende Intention zu verstehen, muss man die Tonfolge programmatisch lesen als F-As-C-Es, also das lateinische Wort fasces für die Rutenbündel der römischen Liktoren. Die Liktoren waren im Römischen Reich ursprünglich Leibwächter, später Begleiter hoher Staatsbeamter, denen sie eben dieses Rutenbündel, die sogenannten fasces, vorantrugen. Im 20. Jahrhundert wurden die fasces mit dem darin befindlichen Beil zum Symbol der italienischen Faschisten, der Begriff Faschismus ist von fasces abgeleitet.
Die Glocken der Potsdamer Garnisonkirche läuteten also seit dem 29. April 1939 fröhlich und mit „sehr reinem Klang“ „Faschismus, Faschismus“, auch wenn sich die Tonfolge F-As-C-Es sicher nicht so leicht beim Hören entschlüsseln lässt wie das berühmte B-A-C-H.
Dass die F-Glocke Paul von Hindenburg gewidmet ist, ist im Kontext durchaus stimmig. Er hatte schließlich als Reichspräsident Adolf Hitler zum Reichskanzler gemacht und diesem am „Tag von Potsdam“ in der Garnisonkirche (und später noch einmal draußen für die Pressefotografen) die Hand gereicht und damit als Nationalkonservativer dem Faschismus in Deutschland zum endgültigen Durchbruch verholfen.
Dr. Uwe-Karsten Plisch ist Referent des Verbands der Evangelischen Studierendengemeinden in Deutschland (ESG) für Theologie, Hochschul- und Genderpolitik in Hannover
Eine längere Version des Texts erschien zuerst in: ansätze (Zeitschrift des ESG), Heft 1-2 2023, S. 11 – 12
Dieser Artikel konstruiert leider aus Unkenntnis einen Zusammenhang, der jeglicher musikalischer und liturgischer Verwendung von Glocken zuwider läuft und dessen in der Überschrift formulierte Quintessenz völlig absurd ist. Der Autor behauptet, dass die Vierzahl der Glocken ungewöhnlich sei, üblich seien drei. Das mag zwar für eine Dorf- und/oder Pfarrkirche zutreffen, wenn auch nur in lutherischer Tradition. Reformierte Kirchen dieser Größe haben i.d.R. nur zwei Glocken. Größere Stadtkirchen aber heben sich schon durch die Größe und Anzahl der Glocken von diesen kleineren Kirchen ab und haben, je nach Größe des Turms und Bedeutung der Kirche, mehr als drei Glocken. Die benachbarte Nikolaikirche verfügt ebenfalls über vier Glocken, ebenso wie die Friedenskirche im Schlosspark Sanssouci. Auch die „programmatische Interpretation“ der Geläutedisposition in F As C Es ist ein gedanklicher Lapsus. Die Disposition der Schlagtöne war As°, C`, Es` und F`, also ein gebräuchliches Glockenmotiv, nämlich aufsteigend gesungen das „Wachet auf ruft uns die Stimme“ – Motiv in der Tonart As-Dur. Für das Erkennen eines musikalischen Motivs ist die Tonhöhe und die Reihenfolge der Töne unabdingbar, so wie beim vom Autor erwähnten B-A-C-H, was nur in dieser Reihenfolge und Tonlage als ebendieses Motiv erkannt wird. Die o.g. Disposition der Garnisonkirche hätte niemals, auch nicht von einem Hörer mit relativem oder absolutem Gehör, als F As C Es gehört und gedeutet werden können, da der Autor das F` in seiner Interpretation zu einem F° als Grundton disponiert, was aber der musikalischen Realität widerspricht. Jeder musikalisch geschulte Hörer hörte das „Wachet auf ruft uns die Stimme“- Motiv, das geschulte Gehör war dann in der Lage, die Töne As, C, Es und F als Schlagtöne zu benennen. Insofern läuteten die Glocken der Potsdamer Garnisonskirche mitnichten „seit dem 29. April 1939 fröhlich und „mit sehr reinem Klang“ „Faschismus, Faschismus“ „, sondern „Wachet auf ruft uns die Stimme“.
Matthias Overbeck, Glockensachverständiger der Ev. Kirche von Westfalen
Sie bieten ein andere Erklärung für die Auswahl der Glockentöne. Diese muss dabei keineswegs im Widerspruch zu der Erkläung des von Ihnen kristierten Aufsatzes stehen, es könnte auch eine Doppelkodierung vorliegen. Aufgrund eines Mangels an bislang bekannten historischen Quellen ist er schlichtweg unmöglich zu klären, ob die eine oder die andere oder beide Erklärung zutreffend sind. Insofern ist auch Ihre Bewertung der von Ihnen kritisierten Erkläung als „völlig absurd“ zurückzuweisen.