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Potsdam 21. März 1933, Handschlag zwischen Reichskanzler Hitler und Reichspräsident von Hindenburg, aus: Berliner Illustrierte Zeitung (undatiertes Sonderheft, 21.3.1933). Die Bildunterschrift lautet: „Nach dem Festakt in der Garnisonkirche: Der Reichspräsident verabschiedet sich vom Reichskanzler. Fot. N.Y.T.“
Das Foto vom Handschlag zwischen dem neu ernannten Reichskanzler Adolf Hitler in dunklem Frack und dem hochdekorierten Reichspräsidenten Paul von Hindenburg in der Uniform des preußischen Generalfeldmarschalls mit der Pickelhaube auf dem Kopf ist ein ‚Schnappschuss’. Zwischen beiden Männern steht in der Uniform der Reichswehr und mit dem neuen Stahlhelm der Kompaniechef der Ehrenkompanie des Infanterieregiments 9, der den Händedruck der höchsten Repräsentanten des neuen Staates zu beglaubigen scheint. Zwischen Hitler und dem Kompaniechef wiederum ist dem Fotografen halb verdeckt ein Mann mittleren Alters ins Bild geraten. Bei ihm handelt es sich um den Fotografen Georg Pahl, der wie kein anderer die Machteroberung der Nationalsozialisten fotografisch begleitet. Links von Hitlers Kopf ist – ebenfalls halb verdeckt – die berühmte Pelzmütze der Husaren mit Totenkopf und Federbusch zu erkennen, wie sie Generalfeldmarschall August von Mackensen – zeitweise Adjutant von Kaiser Wilhelm II. und Bewunderer Hitlers – zu tragen pflegt. Neben dem Fotografen und daher auf diesem Bild nicht zu erkennen, steht Reichswehrminister Werner von Blomberg. Die Personenkonstellation, die dem Fotografen ins Bild geraten war, ist keineswegs zufällig. Vielmehr ist sie Ausdruck des Bestrebens sowohl von Hindenburg als auch von Hitler das Militär in den Staatsakt einzubinden und auf diese Weise die Skepsis so mancher Konservativer gegenüber dem Nationalsozialismus auszuräumen.
Der Händedruck zwischen dem Repräsentanten der alten und dem der neuen Macht zum Ende des Staatsaktes ist das eigentliche Thema Bildes, wiewohl dieser sich optisch selbst nicht im Zentrum des Bildes befindet. Hitler verneigt sich respektvoll vor Hindenburg. Ob er mit dieser Höflichkeitsgeste mehr verbindet, etwa die Vereinigung von alter preußischer Tradition und nationalsozialistischem Aufbruch, von alter und neuer Rechten, von einfachem Soldaten und Feldmarschall, wissen wir nicht. Eigentlicher Akteur der Szene indes ist Hindenburg, der auf Hitler herabblickt und schon durch seine Körpergröße das Bild dominiert. Fast scheint es, dass er mit seinem Handschlag Hitler die Macht überträgt.
Der Ort der Geste: der Platz vor der evangelischen Garnisonkirche in der Stadtmitte von Potsdam, da im Gotteshaus selbst nicht fotografiert werden durfte. Die Garnisonkirche ist ein symbolischer Ort, ein „preußisches Walhalla“ (Martin Sabrow), den sich die NS-Führung bewusst ausgesucht hat, da er in der Vergangenheit wie kein anderer das Bündnis von Thron und Altar zum Ausdruck gebracht hatte.
Der Anlass der Geste: das Zusammentreten des am 5. März 1933 neu gewählten Reichstags, der sich infolge des Reichstagsbrandes nicht im Reichstag selbst konstituieren kann. An eine Eröffnungssitzung, wie sie in der parlamentarischen Praxis üblich ist, ist nicht gedacht. Vielmehr soll der ‚Tag von Potsdam’ die Botschaft der Verbundenheit der neuen Regierung mit der preußischen Tradition und den militärischen Eliten herausstellen, zumal die Macht der Nationalsozialisten noch keineswegs gefestigt ist und die SA Ansprüche anmeldet, die erste militärische Kraft im Reich zu werden – ein Affront für die Generalität. Auch der Zeitpunkt ist bewusst gewählt: am 21. März 1871 hat im Berliner Schloss unter Anwesenheit des Kaisers die erste Reichstagssitzung des neu gebildeten Deutschen Reiches stattgefunden und war Otto von Bismarck zum Reichskanzler ernannt worden. Potsdam ist auf Geheiß des Oberbürgermeisters festlich geschmückt. Tausende nehmen an dem Spektakel teil. Der Rundfunk berichtet landesweit in einer Live-Übertragung.
Bei der Verabschiedung kommt es dann zu dem Händedruck, der vermutlich – ähnlich wie die Teppichszene 1949 mit Konrad Adenauer auf dem Petersberg bei Bonn oder der Kniefall Willy Brandts 1970 in Warschau – nicht vorher minutiös geplant, sondern eine reflexartige Geste des Respekts und der Höflichkeit Hitlers gegenüber dem greisen Reichspräsidenten und ehemaligen Feldmarschall ist, die aber gleichwohl ins Kalkül der Verantwortlichen passt.
Mit der Fotografie und ihrer Publikation gerinnt die spontane Geste allerdings zum denkmalswürdigen Bild. Wie keine andere Aufnahme scheint sie den Hoffnungen des national gesinnten Bürgertums und der konservativen Eliten nach Aussöhnung mit den Nationalsozialisten zu entsprechen, die deren Repräsentanten noch ein Jahr zuvor als ‚Herrenklub’ verspottet hatten. Für die Mehrzahl der Deutschen dürften der Staatsakt und der Handschlag von Potsdam zudem den lang ersehnten nationalen Aufbruch symbolisiert haben.
Die Aufnahme von Eisenhart erscheint erstmals in der Sonderausgabe der Berliner Illustrirte Zeitung zum 21. März 1933 unter etlichen anderen Aufnahmen bekannter Fotografen großformatig auf Seite 19. Anders als vielfach behauptet, avanciert sie so schon synchron – und nicht erst diachron – zum Bild des historischen Ereignisses. Auch Georg Pahl hat eine Aufnahme vom Handschlag gemacht – gleichsam den ‚Gegenschuss’ zur Fotografie von Eisenhart. Diese kommt aber längst nicht so symbolträchtig daher wie der ‚Schnappschuss’ seines Kollegen, der zur „landesweiten Populärikone“ (Ulrich Keller) der Machteroberung bzw. „zum ikonografischen Hauptsymbol der ‚Potsdamer Rührkomödie’“ (Martin Sabrow) werden sollte.
Mit der am selben Tag wie dem Staatsakt in Potsdam beschlossenen ‚Verordnung zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung’ ist künftig jedwede Kritik an der Regierung, ihren Uniformen und Abzeichen unter Strafe gestellt und mit Gefängnis bedroht. Noch am selben Tag geht das Konzentrationslager Oranienburg in Betrieb, am Tag danach das KZ Dachau. Mit dem zwei Tage später beschlossenen Ermächtigungsgesetz, das die schrankenlose Machtausdehnung der Nationalsozialisten legalisiert, ist die Machteroberung der Nationalsozialisten abgeschlossen.
Die Fotografie vom Handschlag begegnete mir erstmals im Geschichtsbuch der Oberstufe. Lange Zeit verband sich mit dem Bild bei mir die Deutung, Hitler habe sich hier aus bewusstem Kalkül Hindenburg und den konservativen Eliten unterworfen. Erst der Aufsatz von Günther Kaufmann von 1977 und später der von Manfred Görtemaker begründeten Zweifel an dieser Deutung und motivierten mich, der Geschichte des Bildes genauer nachzugehen.
Mutationen und Medientransfer
Ikonografiegeschichtlich ist der Handschlag als Symbol von Verständigung und Einheit weder neu noch zufällig. Vielmehr war er Ausdruck eines verbreiteten gesellschaftlichen Bedürfnisses nach nationaler Einheit, Verbrüderung und Überwindung der Klassenschranken. Auf riesigen Plakaten hatte der Hindenburgausschuss im Wahlkampf 1932 mit ihm zur Wiederwahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten mobilisiert. Mit dem symbolischen Händedruck hatte auch die NSDAP bei der Reichstagswahl vom 5. März 1933 auf ihren Plakaten um die Wählergunst geworben. Auf dem Plakat In grösster Not wählte Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler, wählt auch Ihr Liste 1 stehen Hitler und Hindenburg beim Händedruck gleichberechtigt und auf Augenhöhe nebeneinander, obwohl Hindenburg mit einer stattlichen Körpergröße von 1,98 23 Zentimeter und damit einen ganzen Kopf größer als Hitler war. Ein anderes Plakat zeigte einen Arbeiter, einen Bauern und einen Angestellten beim gemeinsamen Händedruck vor der Schriftzeile: „Adolf Hitler hat euch in 13 Jahren zusammengebracht! Deutsche Kopf-und Handarbeiter! Deutsche Bauern! Laßt euch nicht mehr auseinanderreißen!“
An diese Symbol- und Bildtradition konnte das Eisenhart-Foto vom 21. März unmittelbar anknüpfen. Zugleich entsprach dessen Aufnahme passgenau der von der NS-Propaganda seit 1932 betriebenen visuell-symbolischen Abrüstung ihrer Bildsprache, mit der sich die NSDAP als seriöse künftige Staatspartei darzustellen versuchte, die für unterschiedlichste Klassen und Schichten wählbar sein sollte.
Es ist nicht richtig, wie verschiedentlich in Wissenschaft und Publizistik behauptet, dass die Aufnahme Eisenharts erst nach 1945 Karriere gemacht habe. Das Gegenteil ist der Fall. Erstmals erschien diese innerhalb eines Bildberichts in der Sonderausgabe der Berliner Illustrirten Zeitung zum ‚Tag von Potsdam’bereits am selben Tag neben Aufnahmen anderer Fotografen. Als Herkunftsnachweis wurde „N.Y.T.“ angegeben: das Kürzel für die New York Times. Dass in dieser Ausgabe gleich mehrere Aufnahmen u.a. auch des jüdisch-stämmigen Bildreporters Martin Munkácsi erschienen, die nicht unbedingt den Selbstinszenierungswünschen der NS-Propaganda entsprachen, war Ausdruck einer längst noch nicht hundertprozentig funktionierenden ‚Gleichschaltung’. Auch im Rahmen der Berichterstattung zum Tode Hindenburgs wurde Eisenharts Aufnahme z.T. großformatig in etlichen deutschen Zeitungen publiziert, so rechts und links leicht beschnitten im Sonderheft Die Woche vom 2. August 1934 mit der Unterzeile: „Der Reichspräsident und der Reichskanzler am Tag von Potsdam 21. März 1933. Mit einem Händedruck nimmt Hindenburg, der Präsident des Reiches, die Bekräftigung der Treue vom Führer entgegen. Der Hüter der großen alten Tradition und der Führer der jungen gewaltigen deutschen Bewegung sind eins geworden.“ Kein anderes Bild schien das durch Hitler und Hindenburg repräsentierte Bündnis von nationaler Revolution und monarchistisch-militärischer Tradition eindrucksvoller zu beglaubigen als Eisenharts Aufnahme. Zur Herkunft hieß es nun allerdings: „Scherls Bilderdienst“. Über eine amerikanische Agentur gelangte das Foto auch in die internationale Presse, so etwa in die französische VU, die das Bild am 6. Dezember 1933 im Rahmen einer Rückschau auf die vergangenen Jahre in Deutschland publizierte.
Über den Fotografen ist nur so viel bekannt, dass er zu den renommierten Berliner Pressefotografen zählte. Er war 1933 u.a. für die New Yorker Times, 1936 für die Presse Photo GmbH und während des Krieges für eine Propagandakompanie der Wehrmacht tätig. Eine Fotografie zeigt ihn 1929 zusammen mit seinen Kollegen vor dem Berliner ‚Wintergarten’, als diese auf die Ankunft einer französischen Politikerdelegation warten.
Vermutlich aufgrund der auch als unterwürfig zu deutenden Haltung Hitlers gegenüber Hindenburg machte Eisenharts Fotografie in der NS-Presse im engeren Sinne keine Karriere. Der Illustrierte Beobachter – die Wochenillustrierte der NSDAP – verzichtete darauf, den ‚Tag von Potsdam’ auf einem Cover zu illustrieren. Vielmehr setzte er auf sein Titelblatt vom 25. März 1933 eine ähnliche Aufnahme vom Zusammentreffen Hitlers mit Hindenburg anlässlich des Volkstrauertags vom 10. März 1933. Wie auf der Aufnahme Eisenharts flankieren auch hier Uniformierte den Händedruck zwischen beiden Politikern, weitere Zuschauer sind indes nicht zu erkennen. Hitler und Hindenburg sind vollständig als Personen zu sehen. Vor allem aber scheint Hindenburg nicht väterlich auf Hitler herabzublicken, sondern begegnen sich beide Männer auf gleicher Höhe; zudem nimmt Hitler keine gebeugte, sondern eine aufrechte Haltung ein, was dem Selbstverständnis der NSDAP eher entsprach.
Aufgrund der ikonischen Energie, die der Pathosformel des Handschlags innewohnte und gewiss auch, weil sie den Interpretationsbedürfnissen vieler Zeitgenossen entsprach, machte Eisenharts und eben nicht Pahls Aufnahme Karriere. Diese Energie ließ das Bild in der Folge von der Zeitungsfotografie auf andere mediale Träger wie Buch- und Zeitschriftencover sowie auf Bildpostkarten und Gemälde überspringen. Während dieses Medientransfers unterlagen das ursprüngliche Bild und sein Motiv bildverändernden Bearbeitungen und Umdeutungen. Noch 1933 erschienen in hoher Auflage etliche Bildpostkarten mit dem oftmals retuschierten bzw. freigestellten Motiv Eisenharts und Bildunterschriften wie „Die Führer des Vaterlands in Potsdam am 21. März 1933“ oder „Reichspräsident von Hindenburg und Reichskanzler Adolf Hitler begrüßen sich am 21.3.1933 in Potsdam“. Ebenfalls noch 1933 erschien die Aufnahme in bearbeiteter Form auf dem Umschlag einer vom Berliner Verlag Mittler und Söhne herausgegebenen regimetreuen Dokumentation von Hans Wendt zum ‚Tag von Potsdam’, bei dem die Hauptakteure von den Zuschauern im Hintergrund freigestellt sind und an ihre Stelle der Schatten der Garnisonkirche einmontiert ist, die symbolisch dem Handschlag Segen spendet.
Rückseite einer Gedenkmünze zum Tode Hindenburgs aus dem Jahr 1934.
Auch die Malerei nahm sich des Motivs an. Der Porträtmaler und überzeugte Nationalsozialist Carl Langhorst übersetzte den Handschlag von Potsdam 1933 in ein farbiges Ölgemälde, das als Reproduktion auch in Postkartenformat vertrieben wurde. Der Maler verlegte den Handschlag dabei kurzerhand in das Innere der Garnisonkirche vor einen in das Licht eines Sonnenstrahls getauchten Altar. Zugleich reduzierte er den Größenunterschied zwischen Hitler und Hindenburg, indem er Hindenburg kurzerhand seiner Pickelhaube beraubte und deutlich kleiner darstelle, als er tatsächlich war. Von Langhorsts Bild existieren zwei Versionen. Auf dem Gemälde von 1933 verneigt sich Hitler fast ehrfürchtig vor dem Reichspräsidenten, während auf einer Überarbeitung von 1935 die scheinbar unterwürfige Haltung Hitlers deutlich abgeschwächt ist und sich beide Männer nun auf Augenhöhe begegnen. Die offenkundige Absicht des Malers: den Schulterschluss zwischen traditioneller und neuer Elite mit dem Segen von Gott und Kirche auszustatten und den Handschlag nicht als Unterwerfungsgeste erscheinen zu lassen. Ebenfalls noch 1933 präsentierte auch der Historienmaler Georg Marschall – ein Schüler von Adolph von Menzel und Anton von Werner – ein Gemälde mit dem Titel Tag von Potsdam, auf dem sich Hitler und Hindenburg spiegelverkehrt in einem schlossähnlichen Interieur ebenfalls auch auf Augenhöhe begegnen. Ebenso wie die Gemälde von Langhorst und Marschall als Bildpostkarte vervielfältigt und vertrieben wurden, erging es auch einer Zeichnung von Heinz Wewer mit dem Motiv des Handschlags, in dem dieser nun völlig entkontextualisiert vor der Reichsflagge und der NSDAP-Fahne stattfindet, Hitler in Parteiuniform geschlüpft ist und nur mehr im Bildhintergrund der Turm der Garnisonkirche mit der zum Christuskreuz mutierten Wetterfahne an das historische Ereignis erinnert. Turm und Kreuz statten die Szene nun zusätzlich mit dem Segen der Kirche aus.
Das Motiv des Handschlags war schließlich so populär, dass es der Akteure im Bild gar nicht mehr bedurfte, sondern nur mehr der Handschlag selbst ausreichte, um die Szene zu identifizieren, so auf der Rückseite einer Gedenkmünze aus Anlass des Todes von Hindenburg 1934, auf der der Handschlag von einem Hakenkreuz überwölbt ist. Dass die Fotografie Eisenharts binnen kurzer Zeit ikonischen Status erhalten hatte, zeigte sich schließlich daran, dass sich auch das politische Exil noch 1933 des von seinem Hintergrund freigestellten Motivs bediente. John Heartfield gestaltete mit ihm das Cover der Broschüre Hitler der Eroberer. Die Entlarvung einer Legende des ehemaligen Chefredakteurs des Berliner Tageblatts, Rudolf Olden, die noch 1933 im nach Prag übersiedelten Malik-Verlag erschien.
Pathosformel der Machtübertragung
Von Aby Warburg wissen wir, dass bestimmte emotional aufgeladene figurale Darstellungen die besten Garanten für das Wirkungspotenzial von Bildern sind. Sie bilden so etwas wie den „Treibstoff der Bildenergie“ (Martin Schulz). Solche von Warburg als Pathosformeln bezeichnete Symbolhandlungen existieren zuhauf in der christlichen Ikonografie, ob im Bild des Gekreuzigten, in der Darstellung Marias als leidender Mutter mit dem Leichnam des vom Kreuz genommenen Jesus, der Pietà, oder in der biblischen Allegorie des ungleichen Kampfes zwischen David und Goliath. Besonders reich an Bedeutungsvarianten sind ausdrucksstarke Bewegungen der Finger, Hände und Arme – vom einfachen Zeigegestus über den Handschlag und die geballte Faust bis hin zum Gruß. Als der Körperteil, mit dem die meisten Arbeiten verrichtet werden, erlangte die Hand in vielen Gesellschaften schon früh eine besondere Bedeutung.
Das ikonische Potenzial solcher Pathosformeln hat sich über Zeiten und Räume und durch unterschiedliche mediale Träger hindurch bis hinein in die Bilder der Gegenwart erhalten. Zu solchen Symbolhandlungen gehört auch der Handschlag, der sich als bewusste Geste der Verständigung und Bindung bzw. der translatio imperii, der Herrschaftsübertragung, seit dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert im griechischen Kulturraum auf Münzen nachweisen lässt. Wer auf den Staat Einfluss nehmen wollte, musste auch in Rom öffentlich sichtbar machen, dass andere ihn unterstützten und anerkannten. Als Pathosformel, die Vertrauen, Verbrüderung und Überwindung der Zwietracht ausdrückte, blieb der Handschlag vor allem in der Frühphase des NS-Regimes ein beliebtes Bildmuster der Gemeinschafts- und Verbrüderungspropaganda. Er avancierte gleichsam zur Pathosformel der Machtübertragung.
Unter impliziter Bezugnahme auf die Symbolgeste von Potsdam 1933 erlebte der Händedruck eine für Ikonen typische politische Kanonisierung. Vor allem die ‚Deutsche Arbeitsfront’ (DAF) bediente sich der Geste als Formel ihrer ‚Volksgemeinschafts’-Propaganda. Auf Postkarten und Plakaten zum 1. Mai 1934, dem ‚Tag der Arbeit’, gaben sich auf ihnen, z.T. von der Person Hitlers besiegelt, der Hüttenarbeiter und der Ingenieur die Hand, um dadurch die Einheit der Arbeitenden der ‚Stirn’ und der ‚Faust’ zum Ausdruck zu bringen, zu der es während der Republik nicht gekommen war, die allerdings auch im ‚Dritten Reich’ ein Wunschtraum blieb. Auf anderen Plakaten der DAF war es Hitler selbst, der dem deutschen Arbeiter vor dem Zahnrad der Arbeitsfront die Hand reichte und damit etwa für die Sammelaktionen für das Winterhilfswerk warb. Dass ausgerechnet die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, die SED, nach 1945 an diese Symboltradition anknüpfte und die verschlungenen Hände zur Ikone des sozialistischen Nachkriegsdeutschlands erklärte, sei hier nur am Rande angemerkt.
Postkarte der DAF zum 1. Mai 1934, Slg. Otto May (Hildesheim); Postkarte des Verlages Franz Eher Nachf., München 1933 zum NSPAD-Reichsparteitag 1933, Slg. Otto May (Hildesheim); Plakat, Entwurf Mjölnir o.D.
Mit der Propagandapostkarte Nürnberg 1933. Einig das Volk – Stark das Reich des Münchner Parteiverlages Franz Eher Nachf., auf der sich zwei mächtige Arbeiterarme vor der Stadtkulisse Nürnberg und unter dem Schutz des Reichsadlers die Hand reichen, warb auch die NSDAP selbst bereits 1933 für ihren ‚Parteitag des Sieges’. Fast dieselbe Geste findet sich auf einem Plakat ‚Mjölnirs’ für den ‚Volksbund für das Deutschtum im Ausland’, das die Verbundenheit der Auslandsdeutschen mit den reichsdeutschen Volksgenossen zum Ausdruck bringen sollte, sowie einem Plakat der Polizei, mit dem die Parole ‚Die Polizei – dein Freund, dein Helfer“ visuell unterfüttert werden sollte.
Indes wäre es vermessen zu behaupten, die Pathosformel des Handschlags wäre ausschließlich von den Nationalsozialisten vereinnahmt worden. Ihr sozialer Gebrauch und ihre Popularität indes gingen weit über das nationalsozialistische Milieu hinaus. So bediente sich etwa die Winterhilfe der Jüdischen Gemeinde zu Berlin der visuellen Formel auf ihrem Signet, das den stilisierten Handschlag vor dem Davidstern zeigte. Im Lauf der weiteren Jahre verlor die Pathosformel des Handschlags an Bedeutung. Allenfalls als ‚normale’ Begrüßungsgeste etwa beim Empfang von Staatsgästen spielte sie in den Medien noch eine Rolle. Andere Bilder symbolisierten nun die ‚Volksgemeinschaft’ (>PARTEIADLER UND ‚ARISCHE MADONNA’). Erst gegen Ende des Krieges tauchte sie auf dem Titelblatt des Illustrierten Beobachters am 12. April 1945 noch einmal auf, als Hitler im Garten der Neuen Reichskanzlei fast auf den Tag genau 12 Jahre nach dem Händedruck von Potsdam eine Delegation von ausgezeichneten Hitlerjungen empfing. Die Aufnahme des Fotografen der Agentur Heinrich Hoffmann, Andreas Gayk, auf der Hitler dem 12-jährigen Hitlerjungen Alfred Czech die Hand reicht, ist das letzte publizierte Bild von Hitler überhaupt. Aus der Vielzahl der an diesem Tag gemachten Fotografien wurde für die Presseveröffentlichung die Aufnahme des Händedrucks zwischen Hitler und Czech als Symbol der kampfbereiten, opferwilligen, dem Führer treu ergebenen deutschen Jugend ausgewählt. Mit dem Händedruck besiegelten beide symbolisch das Bündnis zwischen Hitler und seinem kampfbereiten Volk, repräsentiert und beglaubigt von einer mutigen und siegesgewissen Jugend. Während die Wochenschau die Szene in ihrem Gesamtverlauf dokumentierte, gerann in der Fotografie des Handschlags dieser zum bedeutungsschweren Sinn-Bild. Mit der Aufnahme wurde zugleich eine Asymmetrie in Szene gesetzt, die auch als Symbolsprache der Hoffnung gedeutet werden konnte: Der mutige David in Gestalt des Hitlerjungen wird gegen den unmittelbar vor der Tür stehenden, aber nicht sichtbaren übermächtigen Goliath in Gestalt der Roten Armee ins Feld geschickt. Mit solchen symbolischen Inszenierungen sollte für die Untergangsgesellschaft ein Sinnzusammenhang erzeugt werden, demzufolge es sich lohne, weiterhin zu Hitler zu stehen. War die NS-Propaganda 1932 mit dem übermächtigen Arbeiterprometheus angetreten (>‚PROLET-ARIER’), endete sie 1945 mit dem Hoffnungsbild des kleinen David. Stand am Beginn des NS-Regimes der symbolgeladene Handschlag von Potsdam zwischen Hitler und dem greisen Hindenburg, so am Ende der Händedruck zwischen dem kranken und müden Diktator und einem 12-jährigen Jungen.
Nachgeschichte
Nach 1945 eignete sich die Fotografie vom ‚Tag von Potsdam’ im Westen hervorragend zur Selbstviktimisierung der Deutschen. Im Kontext der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit tauchte das Bild – z.T. retuschiert und beschnitten, z.T. in der Adaption des Gemäldes von Langhorst – in Schulbüchern, Fachpublikationen, Ausstellungen und sonstigen Printmedien auf, weil es das Geschehen nicht nur in einer symbolischen Geste verdichtete und personalisierte, sondern weil es scheinbar die bewusst inszenierte Täuschung des deutschen Volkes dokumentierte, die sie de facto nicht war. „Hitler täuscht das Volk durch Berufung auf ehrwürdige Tradition“ lautete etwa der Titel eines Schulwandbildes, welches das freigestellte Foto Eisenharts in eine Fantasieumgebung stellte. Das Foto geriet zum Symbolbild der ‚Machtergreifung’. Die Fotografie – so auch Rudolf Herz – wirke wie „die kongeniale Stilisierung einer genau kalkulierten Geste im rechten Augenblick“.[1] Das Deutsche Historische Museum in Berlin interpretiert in seiner Dauerausstellung das Bild bis heute als propagandistische Inszenierung von Goebbels. Danach habe sich Hitler bewusst vor dem Reichspräsidenten verneigt, was seine Wirkung im Ausland nicht verfehlt habe. Auf Plakaten von Antifa-Gruppen gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche wurde der grafisch freigestellte Handschlag demgegenüber zum Sinnbild des Bündnisses zwischen Nationalsozialismus und bürgerlicher Elite. Jeder holte sich aus dem Foto das, was ihm passte. Vielfach ist das Foto Eisenharts nach 1945 übrigens mit dem Foto vom Handschlag zwischen Hitler und Hindenburg am Volkstrauertag 1933 bzw. am Heldengedenktag 1934 verwechselt worden. Dem Historiker Klaus Scheel gelang der ‚Coup’, das freigestellte Handschlag-Foto vom ‚Heldengedenktag’ 1934 auf dem Cover zu seinem Buch 1933. Der Tag von Potsdam als das Foto vom historischen ‚Tag von Potsdam’ auszugeben. Ähnliches geschah auf dem Umschlag einer französischen Publikationen zur ‚Machtergreifung’. Ein bekannter Verlag zählte die Fotografie nicht zu Unrecht zu den „Bildern der Deutschen“. Wie populär die Fotografie von Eisenhart in der Zwischenzeit ist, zeigte sich Mitte März 2019, als sie für einige Tage als ‚historisches Bild’ überall in Deutschland auf digitalen City-Light-Postern in Bahnhöfen und Shopping Malls auftauchte.
Gerhard Paul ist ein deutscher Historiker und war bis zu seiner Emeritierung 2016 Professor für Geschichte und ihre Didaktik an der Universität Flensburg. 2020 erschien sein Buch Bilder einer Diktatur: Zur Visual History des ‚Dritten Reiches‘, in dem er die Bilderwelt des Nationalsozialismus nicht nur interpretiert, sondern auch nach ihren Produktions- und Rezeptionsbedingungen fragt. Der hier veröffentlichte Beitrag ist dem Buch entnommen. Wir danken dem Autor für die Genehmigung zur Widerveröffentlichung
Quellen und Literatur:
Expedition Geschichte 3. Realschule Baden-Württemberg Klasse 9/10, hrsg. von Uwe Uffelmann u.a., Frankfurt a.M. 2002.
Für Korrekturen und ergänzende Hinweise bedanke ich mich ganz herzlich bei meinem Potsdamer/Berliner Kollegen Prof. Dr. Martin Sabrow.
Christoph Kopke/Werner Treß (Hrsg.): Der Tag von Potsdam. Der 21. März 1933 und die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur, Berlin/Boston 2013.
Manfred Görtemaker: Der Händedruck von Potsdam – Symbol der Machtergreifung, in: Bilder im Kopf. Ikonen der Zeitgeschichte (Ausst.-Kat.), Bonn 2009, S. 30-39.
Matthias Grünzig: Für Deutschtum und Vaterland. Die Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert, Berlin 2017.
Ulrich Hägele: Meister der Lüfte, fröhliche Biertrinker und ein untertäniger Diktator. Zur visuellen Ethnographie einer französisch-deutschen Nachbarschaft, in: Georg Bollenbeck/Thomas La Presti (Hrsg.): Traditionsanspruch und Traditionsbruch. Die deutsche Kunst und ihre diktatorischen Sachwalter, Wiesbaden 2002, S. 95-107.
Rudolf Herz: Hoffman & Hitler. Fotografie als Medium des Führer-Mythos (Ausst.-Kat.), München 1994.
Jesko von Hoegen: Der „Marschall“ und der „Gefreite“. Visualisierung und Funktionalisierung des Hindenburg-Mythos im „Dritten Reich“, in: kunsttexte.de 1/2009, S.1-16, online: <https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/8240/von-hoegen.pdf?sequence=1&isAllowed=y>
Günther Kaufmann: Der Händedruck von Potsdam – die Karriere eines Bildes, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 48 (1997), S. 295-315.
Ulrich Keller: Bilder der „Machtergreifung“. Staatsreportagen zwischen Apologie und Distanzierung, in: Gerhard Paul (Hrsg.): Das Jahrhundert der Bilder. Bd. 1: 1900-1949, Göttingen 2009, S. 428-435.
Andreas Kitschke: Die Garnisonkirche Potsdam. Krone und Schauplatz der Geschichte, Berlin 2016.
Lars Lüdicke: Inszenierung und Instrumentalisierung. Der „Tag von Potsdam“, in: Michael C. Bienert/Lars Lüdicke (Hrsg.): Preußen zwischen Demokratie und Diktatur. Der Freistaat, das Ende der Weimarer Republik und die Errichtung der NS-Herrschaft, 1932-1934, Berlin o.J., S. 241-270.
Gerhard Paul: „Das letzte Aufgebot“. Hitlers letzter Propagandatermin am 20. März 1945, ebd., S. 690-697.
Wolfram Pyta: Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, München 2007.
Christoph Raichle: Hitler als Symbolpolitiker, Stuttgart 2014.
Martin Sabrow: Der „Tag von Potsdam“. Zur doppelten Karriere eines politischen Mythos, in: Kopke/Treß (Hrsg.): Der Tag von Potsdam, S. 47-86.
Klaus Scheel: 1933. Der Tag von Potsdam, Berlin 1996.
Martin Schulz: Ordnungen der Bilder. Eine Einführung in die Bildwissenschaft, München 2005.
Martin Warnke: Vier Stichworte: Ikonologie – Pathosformel – Polarität und Ausgleich – Schlagbilder und Bilderfahrzeuge, in: Werner Hofmann/Georg Syamken/Martin Warnke: Die Menschenrechte des Auges. Über Aby Warburg, Frankfurt a. M. 1980, S. 53-83.
Astrid Wenger-Deilmann/ Frank Kämpfer: Handschlag – Zeigegestus – Kniefall. Körpersprache, Gestik und Pathosformel in der visuellen politischen Kommunikation, in: Gerhard Paul (Hrsg.): Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, S. 188-205.
Thomas Wernke: Der Handschlag am „Tag von Potsdam“, in: Kopke/Treß (Hrsg.): Der Tag von Potsdam, S. 8-46.
[1] Herz: Hoffmann & Hitler, S. 206.
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