Zwei Rezensionen zu „Deutsche Krieger“

Guido Sprügel und Wolfram Wette

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(1) Kampfkultur und Brunnenbau. Rezension von Guido Sprügel, zuerst erschienen in: Jungle World 4/2021 – 28.01.2021

»Soldaten sind Krieger, die kämpfen und auch töten müssen.« Dieser Satz steht groß auf der Rückseite von Sönke Neitzels jüngst erschienenem Buch »Deutsche Krieger«. Das wirkt etwas plakativ und führt in die Irre. Der Autor beschäftigt sich nicht mit den psychologischen Problemen des Soldatentums oder der Charakterstruktur des Kriegers, sondern liefert vielmehr eine fundierte Militärgeschichte Deutschlands seit 1870/1871. Neitzel, der an der Universität Potsdam lehrt, spannt den Bogen vom Deutschen Heer der Kaiserzeit über die Reichswehr und die Wehrmacht bis hin zur Nationalen Volksarmee (NVA) und zur Bundeswehr.

Die Uniformen und Hoheitsabzeichen wechselten ebenso wie die poli­tischen Systeme; doch ein Leutnant des kaiserlichen Heeres, ein Leutnant der Wehrmacht und ein Zugführer der Task Force Kunduz haben aus Sicht Neitzels auch vieles gemeinsam. Sein Buch zeigt Traditions­linien auf und ergründet die Kontinuitäten; der inhaltliche Schwerpunkt des 800 Seiten starken Werks liegt auf der Bundeswehr, während die Nationale Volksarmee nur in einem vergleichsweise kurzen Kapitel behandelt wird.

Neitzel zeigt, dass sich die Fallschirmjäger der Bundes­wehr in der Tradition ihrer Vorgänger­organisation in der NS-Zeit sahen. Ihrem Abzeichen, dem herab­stoßenden Adler, fehlte lediglich das Hakenkreuz in den Klauen.

Der Bundeswehr wirft Neitzel vor, sie habe es versäumt, immer klar zwischen Geschichte und Tradition zu unterscheiden, so dass mitunter die deutsche Militärgeschichte ohne grundlegende Ausnahmen als zu wahrende Tradition reklamiert worden sei. »Die Wehrmacht ist in keiner Form traditionsstiftend für die Bundeswehr. Einzige Ausnahme sind einige herausragende Einzeltaten im ­Widerstand. (…) Das ist eine Selbstverständlichkeit, die von allen getragen werden muss.« So formulierte es 2007 die damalige Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Neitzel kommt in seinem Band zu einer ganz anderen Einschätzung. Die Wehrmacht sei von »Anfang an in der DNA der Bundeswehr« eingeschrieben gewesen. Die »Kampfkulturen« der Soldaten hätten die unterschiedlichen Systeme überdauert.

Der Autor bezieht sich damit auf das Konzept der tribal cultures, das beschreibt, wie die amerikanischen Ureinwohner, die sich in ihrer Lebensweise, ihrem Dialekt und ihrer jeweiligen sozialen Organisation voneinander stark unterschieden und miteinander rivalisierten, dennoch gemeinsame Kriegszüge unternahmen. Neitzel macht seine These anschaulich: Ein deutscher Soldat wurde und wird einer Waffengattung zugeordnet. Die Panzertruppe ist stolz auf ihre rosa Kragenspiegel, während die Infanterie sich mit Jägergrün schmückt. Krieg führt man dennoch gemeinsam. Nach der Einführung der grauen Uniform (»Feldgrau«) in der Kaiserzeit bildeten sich Kampfkulturen heraus, die das Kriegsende 1918 und auch 1945 überdauerten.

Neitzel zeigt, dass sich die Fallschirmjäger der Bundeswehr in der Tradition ihrer Vorgängerorgani­sation in der NS-Zeit sahen. Ihrem Abzeichen, dem herabstoßenden Adler, fehlte lediglich das Hakenkreuz in den Klauen. Weil der Soldat eben auch Krieger sei, berufe er sich gerade in Zeiten ausbleibender militärischer Auseinandersetzungen auf die »heroischen« Taten der Vergangenheit. Dass Fallschirmjäger im Zweiten Weltkrieg Kreta mit einem extrem verlustreichen Einsatz eingenommen hatten – darauf war die Truppe auch in der Bundesrepublik noch immer stolz.

Sehr genau und kenntnisreich umreißt Neitzel die Grundzüge des Vernichtungskriegs der deutschen Wehrmacht und problematisiert immer wieder die Bezugnahme auf verbrecherische Akte, Personen und Traditionen. Er zeigt auch recht sachlich, dass Kontinuität vor allem darin besteht, dass die Streitkräfte sich weniger mit der zivilen Gesellschaft der Gegenwart als mit den soldatischen Traditionen identifizieren. Daran konnte auch das neue Rollenbild des Soldaten in der 1955 gegründeten Bundeswehr als »Bürger in Uniform« nichts ändern. Der Vorgänger der Bundeswehr war die Wehrmacht und die Bibliotheken und Kioske der fünfziger Jahre waren ­gespickt mit »Erlebnisberichten« front­erfahrener Wehrmachtssoldaten. Die Taktik des »Gefechts der verbundenen Waffen« wurde in der Weimarer Zeit entwickelt, in der Wehrmacht weiterentwickelt und prägt auch die Kampfvorstellungen der Bundeswehr.

In den Jahren nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wandelte sich die Bundeswehr von einer stehenden Armee des Kalten Kriegs in eine kämpfende Truppe. Immer wieder bettet Neitzel diese Wandlung in den gesellschaftlichen Kontext ein; Kritiker kommen zu Wort, die langen Bundestagsdebatten zum Thema werden aufbereitet.

Fast nebenbei erwähnt Neitzel auch mögliche Kriegsverbrechen oder aber illegale Beteiligungen an Kriegshandlungen. So sollen bereits 1991 rund 200 bis 300 Bundeswehrsoldaten als Freiwillige im jugoslawischen Bürgerkrieg gekämpft haben. Die Männer seien für ein verlängertes Wochenende oder im Urlaub »an die Front« gefahren, um »Kampferfahrung zu sammeln«. In vielen Fällen hätten Vorgesetzten das gedeckt. Sollte dies zutreffen, ist es zwar juristisch sicherlich verjährt, politisch aber immer noch brisant.

Ähnliches gilt für die Berichte aus Afghanistan. Wenn Neitzel schreibt, dass »selbst hartgesottene Soldaten des KSK erschüttert« gewesen seien, »als ihnen Amerikaner nonchalant davon berichteten, wie sie gefangene Taliban exekutierten«, stellt sich die Frage nach nicht aufgearbeiteten Kriegsverbrechen sehr konkret.

In dieser Hinsicht herrsche in Deutschland eine Doppelmoral, so Neitzel: Lange Zeit wurde der Begriff des Kriegs tabuisiert, obwohl deutsche Soldaten mit Kriegsgerät im Einsatz waren. Man möchte Auslandseinsätze der Bundeswehr, aber am liebsten im Bereich des Brunnenbaus. Über die kriegerischen Aufgaben wird geflissentlich hinweggesehen. An dieser Stelle mahnt der Militärhistoriker eine schonungslose Auseinandersetzung mit der Aufgabe und Funktion der Bundeswehr an. Wozu überhaupt Streitkräfte? Wenn man sie will, sollte man sie als »militärisches Projekt ernst nehmen«. Entscheide man sich dagegen, entspräche dies »dem Bruch, den der Zweite Weltkrieg im Verhältnis der Deutschen zum Militär ausgelöst hat«; dann wären »steigende Wehretats nicht mehr nötig«.

Guido Sprügel arbeitet als freier Journalist unter anderem für die Jungle World und das Neue Deutschland. Wieter Infos: http://spruegel.eu/

(2) Kämpfen, töten, sterben, Rezension von Wolfram Wette, zuerst erschienen in Frankfurter Rundschau 77. Jg. (2021), Nr. 35, 11.2.2021, S. 28

Als die Bundeswehr in den 1990er Jahren mit dem Slogan „Schützen, Helfen, Retten“ für eine neue Militärpolitik warb, ging es darum, die an Frieden durch Abschreckung gewohnte deutsche Bevölkerung auf weltweite Bundeswehreinsätze als „Neue Normalität“ einzustimmen. Nun tönt der Historiker Sönke Neitzel, die „Kernaufgabe“ des Kriegers sei „Kämpfen, Töten, Sterben“. Die Politik müsse sich da „ehrlich machen“.

Schrille Vokabeln sind ein Kennzeichen Sönke Neitzels. In Potsdam, einst Hort des Militarismus, hat er inzwischen den einzigen deutschen Lehrstuhl für Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt inne. Vom Land Brandenburg und der Bundeswehr eingerichtet, ist die Professur eng vernetzt mit dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr.

Seine „Militärgeschichte“ lässt der Autor mit der Reichsgründung 1871 beginnen. Viele seiner Thesen überzeugen nicht. So seine Ansicht, die Reichswehr der Weimarer Republik sei kein „Staat im Staate“ gewesen, also besonders staatstragend. Gab es nicht den Militärputsch von 1920, verbunden mit den Namen Kapp und Lüttwitz, der die Reichsregierung zur Flucht aus Berlin zwang, weil die Reichswehr nicht bereit war, sie zu schützen?

Das Buch

Sönke Neitzel: Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte. Propyläen 2020. 816 S., 35 Euro.

Den roten Faden des über 800 Seiten starken Bandes bildet die Suche nach dem „Krieger“ in der jüngeren deutschen Geschichte. „Was haben“, fragt der Autor, jedweden politisch-historischen Rahmen ausblendend, „ein Leutnant des Kaiserreiches, ein im Nationalsozialismus sozialisierter junger Wehrmachtoffizier und ein Zugführer der Task Force Kundus des Jahres 2010 gemeinsam?“ Um am Ende zu der banalen Aussage zu gelangen: In den Kampftruppen der Bundeswehr habe „das von manchem Soziologen totgesagte Kriegertum überlebt“. Diese beherrschten noch heute „das Handwerk des Krieges“ und scheuten sich keineswegs, ihre „Frontkämpfergemeinschaft“ und ihren „Kriegshabitus“ zur Schau zu stellen. Das habe man beim Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr beobachtet, den Neitzel mit zum Teil spektakulärem Hintergrundwissen beschreibt, das er in etwa 200 Zeitzeugengesprächen gewonnen haben will. Gleichwohl bleibt seine Darstellung einseitig. Von den zahlreichen traumatisierten Soldaten und Soldatinnen erfährt man nichts. Auch nichts von denen, die seither Zweifel am Kriegshandwerk umtreiben.

Der Autor konstatiert „Dissonanzen“ zwischen den „Kriegern“ im Auslandeinsatz und der Politik sowie der Zivilgesellschaft. Auch hier drängt sich die Frage auf, wie repräsentativ die Haltungen jener sind, die den Krieg erneut wie eine Art Errungenschaft betrachten. Neitzels Fazit: Die Finanzausstattung der Bundeswehr sei unzureichend und der Weg zu einer militärisch handlungsfähigen „Vollwert-Armee“ noch weit. Außerdem mache die Zivilgesellschaft nicht mit: „Am strukturellen Pazifismus der Bundesrepublik hat sich auch in den letzten Jahren nichts geändert.“ Auf die Idee, dass diese Einstellung vieler Deutscher zu Recht eine Lehre aus zwei von deutschen Machthabern entfesselten Weltkriegen ist, kommt er nicht. Neitzel ist Bellizist und Revisionist. Der Regierung und dem Parlament wirf er Unehrlichkeit vor und fragt: „Will man wirklich demokratische Krieger?“ Und plädiert dafür, das Militär wieder mehr „vom Krieg her zu denken“.

Neitzels Literaturauswahl weckt nicht gerade Vertrauen. Was nicht in seinen Rahmen passt bzw. Auffassungen widerspricht, schiebt er beiseite und bleibt unerwähnt. Der nationalsozialistische Autor und SS-Obersturmbannführer Paul Carell wird mit gleich fünf Titeln aufgeführt. Das wichtige Buch von Carl Friedrich von Weizsäcker über „Kriegsfolgen und Kriegsverhütung“ (1971) dagegen hat er nicht gelesen. Der Atomphysiker und sein Team vom Max-Planck-Institut zur „Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt“ kamen schon damals zu der Einsicht: Ein Krieg in Mitteleuropa zerstörte alles, was er bewahren wollte. Nur noch eine Politik der Kriegsverhütung sei vertretbar. Seitdem übt sich eine wachsende Mehrheit unserer Gesellschaft darin, den „Ernstfall Frieden“ einzuüben. Dabei sind viele Widersprüche aushalten. Das gehört dazu.

Neitzels wissenschaftlich eingefärbte Krieger-Nostalgie wirkt wie aus der Zeit gefallen und als Versuch, den „Ernstfall Krieg“ wiederherzustellen. Solches Denken gedeiht jedoch nicht nur im Potsdamer Elfenbeinturm, sondern ist auch in der Bundeswehr seit ihren Anfängen weit verbreitet. Vor einigen Jahren hat kein Geringerer als der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Hans-Otto Budde, ein gelernter Fallschirmjäger, eine zivilisatorische Reißleine durchtrennt, indem er den „Staatsbürger in Uniform“ abservierte und einen neuen Soldatentypus forderte: „Wir brauchen den archaischen Kämpfer, und den, der den High-Tech-Krieg führen kann.“ Der General, der seinen Soldaten ein Vorbild sein soll, dürfte sich von dem Politiker Alexander Gauland bestätigt fühlen, der in einer Rede vom 2. September 2017 in Thüringen, mitten im Bundestagswahlkampf, als Spitzenkandidat der AfD, mit der Drohung für Aufsehen sorgte: Wenn Franzosen und Briten stolz auf ihren Kaiser oder den Kriegspremier Winston Churchill seien, „haben wir das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“.

Der nach 1945 in Deutschland vollzogene zivilisatorische Schritt lebt von der Verabschiedung des kriegerischen Helden, nicht von seiner Restauration. So gesehen, bietet Neitzel die Begleitmusik für eine Kämpfer- und Krieger-Ideologie, für die im rechtsextremen Spektrum der Politik wie auch von restaurativen Traditionalisten in der Bundeswehr geworben wird. Eine der Ursachen für die Renaissance dieses Denkens sind die Auslandseinsätze der Bundeswehr, in denen die Devise „Kämpfen, Töten, Sterben“ erstmals wieder seit 1945 praktiziert worden ist. Die Politik muss sich selbstkritisch fragen, ob sie auf diesem Weg weitergehen will oder nicht.

Wolfram Wette ist Historiker und Friedensforscher. von 1971 bis 1995 Mitarbeiter am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) in Freiburg im Breisgau. 1990 habilitiertes er sich mit einer Biographie zu Gustav Noske. Von 1998 bis 2005 war er als außerplanmäßiger Professor für Neueste Geschichte am Historischen Seminar der Universität Freiburg tätig. Er ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats Lernorts Garnisonkirche.

Sönke Neitzel: Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine ­Militärgeschichte. Propyläen-Verlag, Berlin 2020, 816 Seiten, 35 Euro

Online seit: 22. Mai 2021

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