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Der ehemalige Studentenpfarrer, Dozent, Friedenspreisträger und Ehrendoktor Friedrich Schorlemmer ist am Montag, den 9. September 2024, im Alter von 80 Jahren gestorben. Er war in der Friedens-, Menschenrechts- und Umweltbewegung der DDR aktiv und er moderierte und kommentierte 30 Jahre lang die Entwicklung der Bundesrepublik kritisch. Mehr dazu unter http://www.friedrich-schorlemmer.de/texte.html
Anlässlich seines Todes schreibt Michael Bartsch in der taz „Der unbestechliche Blick des evangelischen Pfarrers knickte vor keinem der beiden Systeme ab, in denen er lebte. „Zwischen allen Stühlen sitze ich fest auf der Erde“, könnte man ein Gedicht des DDR-Autors Peter Hacks bemühen. Schorlemmers Boden und Maß aller Dinge blieben die Versöhnungs- und Liebesbotschaften Jesu, festgehalten im Neuen Testament. Was eine Vereinnahmung durch jegliche Staatsform ausschloss, auch die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.“
Mehrere Medien berichten dieser Tag zum Tode Schorlemmers. Einige würdigen sein Werk, die legendäre symbolische Aktion des Umschmiedens eines Schwertes zur Pflugschar beim Wittenberger Kirchentag 1983, seine Rede am 4.Nov.1989 auf dem Alexanderplatz oder die „Erfurter Erklärung“ von 1997, die auf mehr Gemeinwohl im Sinne des Artikels 14 Grundgesetz zielte.
Wir möchten an dieser Stelle an einen unserer Mitstreiter im Widerstand gegen Wiederaufbau der Garnisonkirche erinnern. Pfarrer Friedrich Schorlemmer war im August 2014 einer der Verfasser und Erstunterzeichner der Erklärung „Warum wir Christinnen und Christen keine neue Garnisonkirche brauchen.“ Zahlreiche Gespräche mit ihm waren für einige von uns eine Bereicherung. Auch war er MItunterzeichner der Petitionen des Lernorts „Bruch statt Kontinuität – Notwendig ist ein Lernort anstelle eines Identifikationsorts“ von August 2019 und „Garnisonkirche Potsdam: Keine Kirchturmhaube – Priorität für einen Lernort!“ von März 2021.
Anlässlich seines Todes dokumentieren wir hier einen Text zur Ganrisonkriche, den er im Oktober 2013 verfasst hatte:
Nie wieder: Gegen eine Rekonstruktion einer barocken Militärkirche
„Was vorüber ist, ist nicht vorüber“ (R Ausländer)
Ich schlage mein Neues Testament auf und bin mir sicher. Die Botschaft ist paradox: Die Garnison- und Hofkirche, hätte es nicht geben dürfen – auch nicht den „Tag von Potsdam“. Was demnächst unversehrt und makellos das Stadtbild wieder „heil“ machen soll, zeigt Ungeist in neuem Glanz. Indem man wiederaufbaut, will man sich zugleich distanzieren. Wie soll das gelingen? Die Fassade und die Botschaft, die man hinter ihr vermitteln will, passen nicht zusammen. Wer kann ausschließen, dass sich nicht auch der alte Ungeist hier eine neue Heimstatt sucht?
Die Garnisonkirche lässt sich nicht lösen von ihrer problematischen Geschichte. Sie bleibt das Mahnmal der zynischen und nationaltrunkenen Inszenierung des Schulterschlusses der alten bürgerlichen Elite mit den neuen nazistischen Machthabern. Am „Tag von Potsdam“ wurde sie in den fatalen Dienst der „nationalen Versöhnung“ gestellt zwischen Reichswehr, SA, SS, Kirche und Antidemokraten aller Couleur. Kreide hatte Hitler gefressen. In Cut und Zylinder schwadronierte er über eine einzigartige Erhebung, und – Hindenburg dankend – von der vollzogenen Vermählung „zwischen den Symbolen der alten Größen und der jungen Kraft“. Weiter im O-Ton: „Wir wollen uns redlich bemühen, diejenigen zusammenzuführen, die guten Willens sind und diejenigen unschädlich zu machen, die dem Volke zu schaden versuchen.“ Er sprach von „diesem für jeden Deutschen geheiligten Raum … zu Füßen der Bahre seines größten Königs.“ Unser „größter König“ bleibt Jesus Christus, der Friedensheiland. Oder?
200 Jahre Staatskirche
Diese Kirche hat von Anfang an zur geistigen Einschwörung für den Militärdienst gedient. Der 21. März 1933 war ein nationaler Symboltag. Am 21. März 1871 hatte die erste Sitzung des Reichstages nach der Gründung des Deutschen Reiches stattgefunden. Der Ort verkörpert die unselige Allianz der monarchistischen und militärischen Tradition Preußen-Deutschlands in seiner protestantischen Ausprägung. Hier waren die eroberten Fahnen und Feldzeichen ausgestellt worden. Die Sozialdemokraten hatten sich entschlossen, jener Zeremonie fernzubleiben. Und die Kommunisten waren bereits „durch nützliche Arbeit“ (so Innenminister Frick) in Konzentrationslagern verhindert. Diese staatliche Kirche war über zweihundert Jahre ganz Staatskirche – Symbol für die willige Bereitschaft des Christentums, sich für Machtzwecke vereinnahmen zu lassen. Hier wurde die vorrangige militärische Option bei politischen Konflikten – Expansion und Okkupation – abgesegnet. Hier wurde gebetet für „Deinen Gesalbten, Seine königliche Majestät in Preußen, unserm allergnädigsten Könige“ und deren „sieghafte Kriegsheere, getreue Diener und gehorsame Untertanen“ (so die Agenda von 1740).
Das Konzept, in dem wiedererrichteten Turm dem Beten, dem Erinnern, dem Bilden und dem Sehen – hinaufsteigend – Raum zu geben, finde ich in sich selbst ganz überzeugend. Aber warum ausgerechnet hinter dieser Fassade? Die Geschichte dieser Kirche bis 1945 müsste breiteren Raum einnehmen, bevor die Nachkriegszeit der kleinen Heilig-Kreuz-Gemeinde im Turm und Ulbrichts Sprengungsbefehl 1968 erzählt werden kann. Wenn man keinem neuen Geschichtsrevisionismus erliegen und wenn man den Mut zur Wahrheit hat, dann muss beleuchtet werden, welch problembeladener Ort künftig als Symbol für Versöhnung dienen soll. Wäre eine leere Fläche oder die jetzt verhandene Erinnerungsstätte nicht angemessener, weil sie die Wunde und Abgründe zeigt, das Stadtbild weiter störend?
Kontaminierter Raum
Dies ist ein historisch kontaminierter Raum. Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Wiederaufbau (miss-)verstanden werden kann für Verquickung von Militär und Kirche, für die Zelebrierung von Opfertod und Heldenkult. Hier wurde der Kriegsdienst gesegnet, die Krieger und ihre Fahnen. Hier war jahrhundertelang der Feind kein Mensch mehr, sondern nur ein zu besiegender Feind. Daran zu erinnern, bleibt nötig – aber nicht durch Rekonstruktion einer barocken Militärkirchen-Kulisse.
Selbst wenn es die Heimatkirche eines Henning von Tresckow war, der schließlich den Mut zum „Verrat“ bei der Vorbereitung des Tyrannenmordes fand: Sie alle hatten Hitler einen Treueeid geschworen. Sie hatten alle mitgemacht, bis Siege ausblieben und die militärische Wende durch Stalingrad einsetzte. Die Frage bleibt: Wären jene mutigen Offiziere auch umgeschwenkt, wenn sie Moskau als Sieger erreicht hätten? Siegen machte lange dumm und blind. Erst die Niederlage machte offensichtlich sehend.
Die im Zweiten Weltkrieg zerbombte, auf Ulbrichts Geheiß 1968 zusammen mit der Universitätskirche in Leipzig gesprengte Fast-Ruine der Garnisonkirche war und bleibt Symbol einer Verirrung und eines Missbrauchs der Friedens- und Versöhnungsbotschaft des Jesus aus Nazareth. Es liegt mir fern, jetzigen Akteuren restauratives oder gar militaristisches Denken zu unterstellen. Weil ich aber die Überschrift „Versöhnung“ oder „Kultur des Friedens“ bejahen kann, frage ich, worin sie sich manifestieren? Durch Umtaufen eines solchen Ortes? – Nein!
Kirche des Friedens
Mit der Ökumenischen Versammlung 1989 wollten wir aus der gezeichneten Dresdner Kreuzkirche heraus für alle sichtbar machen, was eine Kirche des Friedens bewegt und von welcher Hoffnung sie getragen ist: der Geist der Seligpreisungen, die Antithesen der Bergpredigt, der Einsatz für „Brot für die Welt“, für zivile Friedensdienste, für die Stärkung der UNO und für strikte Befolgung des Völkerrechts, für die Erinnerung an die Versöhnungsarbeit mit unseren östlichen Nachbarn, für die vorpolitische Mittlerrolle der Kirchen im Ost-West-Konflikt, für das Tradieren und Weiterentwickeln der Einsichten eines Bonhoeffer, der es eine der scheinheiligen Fragen der Schlange nannte: „Sollte Gott nicht gesagt haben, wir sollten wohl für den Frieden arbeiten, aber zur Sicherung sollten wir doch Tanks und Giftgase bereitstellen?“
Bonhoeffer sprach 1934 davon, dass der Friede nicht auf dem Weg der Sicherheit gefunden werden könne, sondern gewagt werden müsse. Die Kirche Christi müsse den Krieg verbieten und den Frieden Christi ausrufen über die rasende Welt. Eine Kirche des Friedens kämpft heute gegen das Geldverdienen mit Rüstung unter dem Vorwand der Sicherung von Arbeitsplätzen, gegen den fragwürdigen Ehrgeiz, einer der größten Waffenexporteure der Welt bleiben zu wollen und militärische Spitzentechnologie zu produzieren. Kirche des Friedens werden wir, wenn wir Orte schaffen, die deutlich machen, wann, wo, wie Christen mit der Bereitschaft zum Risiko für den Frieden eintreten.
Ergo: Der Platz auf dem die Garnisonkirche stand, kann nur ein Ort der Erinnerung sein für eine zu Recht gewissenszerknirschte Kirche, Ort der Buße und unter der Überschrift “ Selig sind die Friedfertigen, die Frieden machen, denn sie werden Gottes Kinder heißen“ für das „Nie wieder“. Ist es die List der Vernunft, das Wirken des Geistes oder nur Gleichgültigkeit, dass trotz der respektablen Unterstützerelite noch keine Spendeneuphorie zu erkennen ist?
Friedrich Schorlemmer
Erstmals erschienen in der Zeitschrift Zeitzeichen. Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft, November 2023
Radio Pax hat zu Friedrich Schorlemmer, Friedensengagement und Garnisonkriche mehrere Podacst ersteltl, die über folgende Links zugänglich sind:
1. Schwerter zu Pflugscharen – Prügel zu Klanghölzern
https://open.spotify.com/episode/5icma9r6MwAvKX5S8Mr1F8
2. Granatsplitter zu Winzermessern
https://open.spotify.com/episode/3ViibMaWzheKxSHH6wkngs
3. Potsdam Garnisonskirche – Das genagelte Osterei
https://open.spotify.com/episode/65S31rIvwr4Ap2ScI6Tior
Weitere Infos dazu auch auf der Facebookseite von Radio Pax, das Freie Radio in Brandenburg an der Havel:
https://www.facebook.com/radiopaxbrandenburg/
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