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Widerrede gegen Mythen zum Tag von Potsdam.
Der „Tag von Potsdam“ liegt als schwere Erblast über dem Projekt des Wiederaufbaus der Garnisonkirche. Kaum ein Medienbericht verzichtet auf einen Hinweis hierzu. Und so war es für die Wiederaufbaubefürworter naheliegend, nach Wegen zu suchen, diesen Sachverhalt zu relativieren. Der „Ruf aus Potsdam“ von 2004 war in der Hinsicht beherzt. Er machte aus dem Symbolort der Täter ein Symbol der Opfer. Es hieß, die Kirche sei von den Nationalsozialisten missbraucht, und dann zum Opfer von Bombenkrieg und DDR-Krieg geworden. Schon vier Jahr zuvor hat Andreas Kitschke, der Hauptgeschichtsschreiber der Wiederaufbauinitiative, die zentralen Argumente für diese Darstellung geliefert. Er behauptet, der Tag von Potsdam sei lediglich eine „Dreiviertelstunde des Missbrauchs“ der Kirche gewesen, die eigentlich für eine positive Tradition christlichen Glaubens und preußischer Tugenden stünde. Preußische Adel und das Militär hätten „der nationalsozialistische Bewegung äußerst ablehnend gegenüber“ gestanden und der Generalsuperintendent der Kurmark Otto Dibelius hätte versucht, die Nutzung der Garnisonkirche für diese politische Veranstaltung zu verhindern.[1] Jahre später ergänzt er dies mit der Behauptung, Adolf Hitler habe „an jenem Tag von Potsdam lediglich eine Nebenrolle“[2] gespielt und hätte diesen „als demütigend empfunden“, das Ereignis seit erst nachträglich zu einem für die nationalsozialistische Bewegung bedeutendem stilisiert worden, und ohnehin sei die Kirche „nie wieder Schauplatz“ nationalsozialistischer Propagandaveranstaltungen[3] gewesen.
Kitschke steht mit seiner Darstellung nicht ganz alleine. Die Historiker Martin Sabrow, Christoph Kopke und Werner Treß behaupten, dass das legendäre Foto vom Handschlag zwischen Hindenburg und Hitler in der Nazi-Zeit quasi nicht verwendet worden sei, und erst nach 1945 Karriere gemacht hätten, „entsprach die in der Verneigung Hitlers vor dem greisen Reichspräsidenten zum Ausdruck gekommene Demutsgeste doch kaum dem Allmachtsanspruch der NS-Bewegung und ihrer Propaganda.“[4] Der Tag von Potsdam sei aus nationalsozialistischer Perspektive „symbolpolitisch in vieler Hinsicht so missraten“[5] gewesen, schien er den „symbolpolitischen Sieg des monarchischen Restaurationsgedanken über die braune Revolutionsideologie“ zu unterstreichen.[6] Die „Entscheidung für die Potsdamer Garnisonkirche [drohte] eine ganz ungewollte Signalwirkung zu entfalten“.[7] Diese Darstellung wurden dann später auch von anderen übernommen, wie etwa dem Magazin der Spiegel[8] oder dem Historiker John Zimmermann.[9]
Doch hält sie einer Überprüfung stand? Eine schnelle Recherche zeigt, dass das Handschlagfoto in vielen NS-Publikationen zum Tag von Potsdam prominent genutzt wurde, wie etwa dem damaligen Leitmedium, dem Völkischen Beobachter.[10] Offenkundig war den Nazis die Angelegenheit alles andere peinlich, wie Der Spiegel vermutete. Im Gegenteil: Sie war ein essentieller Baustein nationalsozialistischer Propaganda und Geschichtsschreibung. Und das Ereignis war auch keineswegs eine gewaltsame, missbräuchliche Aneignung eines Ortes oder einer Tradition gewesen. Die fatale Wirkung des Tages lag ja gerade darin, dass die legitimen Repräsentanten von Kirche, Militär und monarchischer Tradition daran demonstrativ mitwirkten und Adolf Hitler als neuen Machthaber symbolisch inthronisierten, ihm zum Erbe historischer Traditionen machten. Das galt auch für die Institution der Kirche, die sich eben nicht der Durchführung des Tags von Potsdam wiedersetzte. Im Gegenteil: Der Gemeindekirchenrat hatte dem zugestimmt, und Generalsuperintendenten Dibelius hat am Tag von Potsdam die Predigt in der Nikolaikirche gehalten, in der er die neuen Machthaber freudig begrüßte.[11]
Die Eingrenzung des Tages von Potsdam auf den kurzen, vermeintlich unbedeutenden Augenblick von einer dreiviertel Stunde wird den historischen Tatsachen nicht gerecht. De facto hatte der Tag von Potsdam eine vierzehnjährige Vorgeschichte und eine zwölfjährige Nachgeschichte und wird erst in diesem größeren zeitlichen Zusammenhang verständlich.
1918/1933
Der Tag von Potsdam steht in direkter Korrespondenz zu Ereignissen 14 Jahre zuvor. Mitte Dezember 1918 rief Major Graf zu Eulenburg das von ihm geführte 1. Garde-Regiment zu Fuß in der Garnisonkirche zusammen. Major und Regiment weigerten sich, sich der demokratischen Revolution und der sich formierenden Republik zu fügen. Sie akzeptierten nicht die militärischen Niederlage und die Abdankung des Kaisers, sondern beschworen die Dreiheit von Hohenzollern-Preußen-Militär und sprachen ihre Verbundenheit gegenüber ihrem Kommandeur Generalmajor Prinz Eitel Friedrich von Preußen aus. Graf zu Eulenburg legte das Kommando nieder und das 1. Garde-Regiment zu Fuß löste sich auf, und zwar am Ort der Garnisonkirche.[12] Sie taten dies nicht in Resignation, sondern in Hoffnung auf andere Zeiten. Die entstehende Republik verstanden sie als zu überwindenden Zwischenzustand. Die Regimentszeichen, welche an die Sieger übergeben werden sollten, ließen sie verschwinden, um sie später in die Garnisonkirche zurückzubringen.
Ein knappes Jahr später veranstalteten Deutschnationale Volkspartei für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs eine Heldengedächtnisfeier in der Garnisonkirche, bei welcher der ehemalige Oberbefehlshaber des Königlichen Heeres Erich Ludendorff in Anwesenheit von Prinz Eitel Friedrich eine Brandrede gegen die Republik hielt und quasi der Schaffung einer neuen Militärdiktatur das Wort redete.[13] Diese Feier war Auftakt von Dutzenden von Großveranstaltungen der antidemokratischen, nationalen und rechtsradikalen Kräfte in der Garnisonkirche, welche in den folgende Jahren das Wiederaufleben des Geistes von Potsdam herbeisehnten.
Deutlich formulierten die Weltkriegsveteranen im Semper-Talis-Bund ihre Zukunftsvision: „Am 13.12.1918 wurde das Erste Garderegiment hier in unserer alten Garnisonkirche vor der Gruft der beiden großen Preußenkönige in unbeflecktem Ehrenkleide begraben. So soll es ruhen, bis Preußen wieder einst aufsteigt zu neuer Größe und mit ihm sein Erstes Graderegiment.“[14] Und: „Wir hoffen und wünschen, daß noch einmal Zeiten über Deutschland emporsteigen, wo Friedrichs des Großen Geist das deutsche Herz wieder erfüllt und fortreißt, wo die alten Fahnen wieder über einem neuen Gardecorps wehen, wo auch unser altes Regiment neu entsteht, getragen von dem alten Geist: Semper talis!“[15]. Am 21. März 1933 schien dieser Wunsch in Erfüllung zu gehen. In Anwesenheit von Prinz Eitel Friedrich und weiterer Repräsentanten des Hauses Hohenzollern übertrug Reichspräsident Hindenburg, der ab August 1916 bis Kriegsende gemeinsam mit Ludendorff Oberster Heeresleiter gewesen war, symbolisch die militärische und herrschaftliche Tradition auf Adolf Hitler. In diesem Narrativ der „nationalen Erhebung“ war der neue Reichskanzler die lang herbeigesehnte Reinkarnation des preußischen Geistes. Erst aus diesem Zusammenhang wird verständlich, wie es binnen weniger Tage der Vorbereitung möglich gewesen war, eine solche Massenmobilisierung und Masseneuphorie zu entfalten. Dazu gehört auch, dass sich der Tag keineswegs auf Potsdam beschränkte, sondern im ganzen Reich gefeiert wurde. Kinder hatten schulfreie und Staatsbedienstete arbeitsfrei, um Liveübertragung im Rundfunk zu folgen und an den zahllosen Feiern aller Ortens teilzuhaben. Auf diesen Moment hatten viele Kräfte seit vierzehn Jahren hingewirkt. In dieser Hinsicht war er alles andere als spontan und zufällig, auch wenn in der revolutionären Umbruchsituation konkrete Einzelheiten sehr kurzfristig entschieden wurden.
Auch die Nationalsozialisten selbst hatten ihre Vorliebe für Potsdam und die Garnisonkirche schon Jahre zuvor entdeckt. Adolf Hitlers „Mein Kampf“ ist voll von Referenzen auf Friedrich den Großen und Josef Goebbels Tagebücher seit Mitte der 1920er Jahre voll von hymnischen Bemerkungen über Potsdam: „Potsdam! Friedrich der Große, genannt der Alte Fritz. Die Stadt der Soldaten. Das Stadtschloß. Der Kanal. Kasernen! Kasernen! Exerzierplätze! ‚Üb‘ immer treu und Redlichkeit‘“ schrieb Goebbels etwa am 17. September 1926. Anlässlich seines Auftritts auf dem Gautag der NSDAP in Potsdam besuchte Goebbels die Garnisonkirche am 10. September 1927, Hitler fantasierte in eine Rede im November 1928 über die Wiederauferstehung von Friedrich dem Großen aus der Gruft in der Potsdamer Garnisonkirche.[16]
Am 4. April 1932 notiert Goebbels zu einem Auftritt Hitlers: „Nach Potsdam. Stadion. 50.000. Hitler redet sehr gut. Der Geist Friedrichs steht auf.“[17] Hitler zieht Parallelen zwischen dem Aufstieg der NS-Bewegung und dem Aufstieg Preußens. Nach seiner Rede marschieren SA- und SS-Formationen mit Fackeln und gesenkten Fahnen unter Trommelwirbel an der Garnisonkirche vorbei. Die Kirche hat ihr von Fackelträgern flankiertes Turmportal geöffnet.[18]
Am 1./2. Oktober 1932 feiern die Jugendorganisationen der NSDAP ihren Reichsjugendtag in Potsdam, der auch schon als „Tag von Potsdam“ bezeichnet wird. Reichsjugendführer Baldur von Schirach hat – wie er sagt – die „Stadt Potsdam auserwählt, weil sie wie keine zweite Stätte die heiligsten Begriffe unserer deutschen Nation offenbart. Friedrich der Große und die preußische Armee heißt Führertum, Sozialismus und Pflichterfüllung“.[19] Er legt an der Garnisonkirche einen Kranz für Friedrich den Großen nieder „als Gruß und Bekenntnis zu jenem Unbeugsamen, der der erste Diener seines Volkes war.“ Später ziehen zehntausend Jugendliche und NS-Funktionäre an der Garnisonkirche mit Fahnen vorbei. Am Vorabend spricht Adolf Hitler zu 70.000 Anwesenden, und Prinz August Wilhelm begeistert sich gegenüber dem Völkischen Beobachter über das Wiedererwachen des preußischen Geist: „Bewundert viel und viel gescholten, befreit dieser in den großen geschichtlichen Traditionen begründete Geist, den man tot geglaubt und tot zu reden bestrebt war, ein neues erwachtes deutsches Geschlecht. […] Ihm [Adolf Hitler] gehört das Vertrauen von uns allen, die den Zusammenbruch erlebten, ihm der unerschütterliche Glaube der Jugend, die mit uns zusammen Deutschlands Zukunft in völliger, sich selbst verleugnender Hingabe schaffen will. Alle für Führer – Volk – Vaterland – Heil Hitler!“[20]
21. März 1933
Im 21. März 1933 kulminiert eine vierzehnjährige Entwicklung und zugleich markiert er den symbolischen Beginn der nationalsozialistischen Diktatur. Gerade als Moment des Übergangs ist er keine reine nationalsozialistische Feier, sondern eine Manifestation und Inszenierung eines großen überparteiliches Bündnisses antidemokratischer Nationalisten aus Politik, Militär, Adel und Kirche, welches sich in ähnlicher Konstellation bereits im Oktober 1931 zur Harzburger Front zusammengeschlossen hatte. Während damals die Initiative von DNVP und Stahlhelm ausging, folgte der Tag nun der Regie der NSDAP, welche auf dem Weg zur Diktatur noch auf Bündnispartner angewiesen war. Anders als erhofft hatte die NSDAP bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933 keine absolute Mehrheit errungen. Doch das Bündnis vom 21. März sicherte die notwendige Zweidrittelmehrheit für die Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes zwei Tage später, dem mit Ausnahme der SPD alle anderen neun noch im Reichstag vertretenen Parteien zustimmten.
Abgesehen von dieser konkreten machtpolitischen Funktion verlieh der Tag von Potsdam der nun entstehenden nationalsozialistischen Diktatur eine historische Legitimität. Die alten Eliten des untergegangenen Kaiserreichs übergaben symbolisch die Staffel an die nationalsozialistische Führung. Und genau dies kam in dem Händedruck zwischen Hindenburg und Hitler zum Ausdruck, der anders als gerne behauptet von der nationalsozialistischen Propaganda in Wort und Bild vielfach gewürdigt wurde. So heißt es etwa in dem Millionenfach erschienenen Bildsammelalbum ‚Deutschland erwacht: Werden, Kampf und Sieg der NSDAP: „Diese Händedruckt heiligt, ein jeder spürt es, das neue Reich mit dem Segen einer jahrtausendalten Tradition.“[21] Der Militärprediger a.D. der Garnisonkirche Potsdam Johannes Kessler beschrieb diesen Moment mit den Worten: „Hitler verneigte sich vor Hindenburg, sie reichten sich die Rechte und sahen einander still und tief in die Augen. Da fühlten wir unmittelbar: jetzt verneigen sich zwei Mächte, zwei Zeiten, zwei Welten: das reife Alter und die männliche Jugend, die ehrwürdige Vergangenheit und die sich anbahnende Zukunft, der Heerführer mit dem Blücherkreuz und der Volksführer mit dem Hakenkreuz“.[22]
In der NS-Literatur wird nicht selten das Ereignis sakral-mythisch überhöht, wie etwa in einem Gedichtband für die Feiern des Dritten Reichs, in dem wiederholt die Wiederauferstehung Friedrich des Großen am Tag von Potsdam imaginiert wird: „Der König schläft? Hier seins Grabes Schwelle […] Hier lebt, was in der Welt für tot gehalten […] Das Grab springt auf! Die Fahnen rauschen mächtig, und auf der Schwelle stehst du, stolz und prächtig, Friedericus Rex, nein, du verlässt uns nicht. […] Hell klingt dein Glockenspiel aus alter Zeit, Du kommst, das Reich in Hitlers Hand zu legen.“[23]
1933/ 1945
Mit dem Tag von Potsdam wurde die Garnisonkirche Potsdam zur sakralen Geburtsstätte des Dritten Reichs. Ein wahres Pilgertum setzte ein. 350.000 Menschen suchte den nationalsozialistischen Weiheort auf, ein Vielfaches der Besucherzahlen im Vergleich zu den Zeiten der Weimarer Republik.[24] Strenge Maßgaben schützten seine Aura. Filmaufnahmen waren in diesem „einzigartigen deutschen Nationalheiligtum“[25] sogar für die Produktion von Propagandafilmen verboten, ebenso wie Veränderungen an der Ausstattung, denn „der Altarraum [muss] so erhalten bleiben […], wie er dem deutschen Volk durch das gewaltige Geschehen am 21. März 1933 bekannt ist.“[26] Die Kirche wird für unzählige NS-Veranstaltungen genutzt, aber auch hier bestehen Bedenken der Entweihung. So notiert Goebbels am 26. Januar 1934 in seinem Tagebuch: „Potsdam H.J. Fahnenweihe. Schirach hält in der Garnisonkirche eine sehr gute Rede. Aber warum gerade dort. Entwertung unserer Tradition.“[27] Dass es zu keinen weiteren Massenaufmärschen in Potsdam kommt, hat freilich noch einen anderen Grund: Potsdam ist schlichtweg zu klein für zentrale NS-Massenkundgebung, zu denen regelmäßig Hundertausende kommen. Dies wird bereits beim Reichsjugendtags 1932 konstatiert.
Vor allem in den Anfangsjahren dient der Tag von Potsdam in der NS-Propaganda der Festigung der Legitimität der Diktatur. Diese Erinnerungskultur wird auch in den Folgejahren fortgesetzt, auch wenn sich das Regime nun Angesicht seiner politischen und wirtschaftlichen „Erfolge“ mehr und mehr auf sich selbst begründen kann. Dies zeigen beispielsweise die für Briefmarken und Münzen verwendeten Motive. Anstelle von Friedrich dem Großen und der Garnisonkirche rücken nun mehr und mehr Darstellungen von Adolf Hitler und weiterer NS-eigener Motive in den Vordergrund. Zum Kriegsbeginn 1939 erfolgt allerdings eine bemerkenswertes moderne Neuinterpretation eines klassischen Motivs preußischer Militärtradition: Anstelle des Garde-Regiments paradiert nun eine motorisierte Panzerkompanie mit Panzerspähwagen entlang den Menschenmassen an der Breiten Straßen, an der mit großer Hakenkreuzfahne geschmückten Garnisonkirche vorbei. . Der Überfall auf Polen kann als vierte Teilung Polens und damit als modernes Reenactment der Expansionspolitik Friedrich des Großen verstanden werden.
Die Niederlage der Wehrmacht in der Schlacht um Stalingrad im Februar 1943 führt zu einem erneuten Aufleben historischer Legitimation. Die NS-Führung thematisierte Friedrich den Großen und den preußischen Geist nun wieder vermehrt. Bereits im Mai 1942 notierte Goebbels in seinem Tagebuch: „Die beste preußische Gesinnung hat der Führer in diesem Winter bewiesen. Sie kann sich an friderizianischen Vorbildern messen, und die soviel auf Preußentum verweisen, die haben in diesem Winter genauso versagt, wie die Generäle Friedrich des Großen manchmal in kritischen Situationen versagt haben.“[28] Zugleich tauchen in Goebbels Tagebuch zunehmend kritische Töne über Potsdam und sein Milieu auf.
Am 21.März 1943 schrieb der Chefredakteur des Völkischen Beobachters Wilhelm Weiß unter dem Titel „Heldengedenktag. Der Tag von Potsdam“ den Aufmacher zum 10. Jahrestages: „Seit bald vier Jahren erstrahlt der Ruhm deutscher Soldaten im härtesten Kriege, den sie jemals zu führen hatten, im hellsten Glanze. Aber ihr Mut und ihre Tapferkeit wären niemals von so unvergänglichen Siegen bekrönt worden, wenn nicht die Wehrmacht des neuen Reiches an allen Fronten von dem kühnen und zuversichtlichen Geiste erfüllt wären, den ihr die Männer von Potsdam entschlossen mit auf den Weg gaben. Wieder triumphiert heute der Geist von Potsdam an allen Fronten […] Indem der Nationalsozialismus nach Potsdam ging, verlor er nichts von seinem revolutionären Schwung und von dem politischen Aktivismus der Kampfzeit. Aber mit dem Bekenntnis zu den wertvollen Überlieferungen der Vergangenheit legt er das unerschütterliche Fundament für den Neubau eines Reiches, das wieder fähig war, den Stürmen der Zeit die Stirn zu bieten. ‚Die Vermählung zwischen den Symbolen der alten Größe und der jungen Kraft‘, wie sich der Führer in seiner Ansprache in der Garnisonkirche ausdrückte, wurde so zur Voraussetzung für die Schöpfung des erste großdeutschen Nationalreiches.“ Es war „der starke Wille, der mit der Idee des ewigen deutschen Soldatentums den wirklichen Genius der Deutschen vor zehn Jahren zu neuem Leben erweckte.“[29]
In der selben Zeit um den 10. Jahrestags herum wurden in einer Geheimaktion die Särge Friedrich des Großen und seines Vaters sowie die Fahnen und Standarten aus der Garnisonkirche in den unterirdischer Bunker „Kurfürst“ in Eiche bei Potsdam, die Hermann Göring als Befehlszentrale diente, vor den britischen Luftangriffen in Sicherheit gebracht.[30] Das zuvor als unberührbare geltende Heiligtum des Tag von Potsdam war aufgelöst. Laut Goebbels wollte Hitler den Sarg Friedrich des Großen nie wieder in die Potsdamer Garnisonkirche zurückführen, sondern dem NS-Regime quasi einverleiben: Entweder in einem neu zu errichtenden Mausoleum in Sanssouci, oder in die große Soldatenhalle des geplanten Neubaus für das Kriegsministeriums.[31] Hitler nahm auch als einziges Schmuck in den Führerbunker das von Anton Graff 1781geschaffene Gemälde Friedrich des Großen. Für seinen von Goebbels beauftragten und ab Oktober 1943 produzierten Durchhaltefilm „Kolberg“ durfte Veit Halan die Gruft in der Garnisonkirche filmen, aus der inzwischen allerdings das „Allerheiligste“ entfernt worden war. Der Film mit den letzten Aufnahmen der Garnisonkirche vor ihrer Zerstörung kam zum 12. Jahrestag der nationalsozialistischen Machtergreifung am 30. Januar 1945 zur Uraufführung.
Fazit
Der Tag von Potsdam in der Garnisonkirche war ein zentrales Motiv der NS-Geschichtsschreibung und -Mythologie. Als Schwellenereignis markierte er den Endpunkt des Aufstiegs der NSDAP zur Macht und zugleich die symbolische Geburtsstunde des „Dritten Reichs“. Die Vorgeschichte des Tages reichen 14 Jahre zurück, seine propagandistische Auswertung dauert bis Zusammenbruch des NS-Regimes 12 Jahre später an. Hierbei wurden alle verfügbaren Medien genutzt: zahllose Filme, Diapositiv-Bildband, Rundfunksendungen und Rundfunkpausenzeichen, unzählige Bücher und Sonderausgaben von Zeitungen, Gedichte, Reiseführer, Schallplatten, Geld- und Gedenkmünzen, Souvenirs, Postkarten, Sammelbilder und Reklamemarken, Gemälde, Gebrauchsgegenstände wie Uhren und Bierkrüge etc.. Sowohl die historische Relevanz des Ereignisses wie auch seine propagandistische Ausbeutung haben dazu geführt, dass der Bau der Garnisonkirche heute nicht ohne dieses mehr gedacht werden kann. Dies gilt leider nicht nur für die kritische Erinnerungskultur, sondern auch für rechtsradikale Kreise. So gibt es in Neonazikreisen seit langem Schallplatten und CDs vom Tag von Potsdam zu kaufen, deren Covers die Garnisonkirche zeigen.[32]
Richtig ist auch, dass sich die Geschichte der Garnisonkirche von 1735 nicht auf den Tag von Potsdam reduzieren lässt. Anders gesagt, dass sich die Kritik an der Garnisonkirche nicht hierauf reduzieren lässt. Sicherlich war das NS-Regime keine zwangsläufige Folge von Preußen, auch wenn es fraglich ist, hier von einem Missbrauch des Erbes zu sprechen, eher von seiner Deformation. Aber von Anbeginn war diese Kirche ein Ort, an dem Untertanengengeist gepredigt, bald auch die Angriffskriege auf Polen gehuldigt, antidemokratische, völkische und bellizistische Ideologien verkündet und die Niederschlagung der demokratischen Revolution von 1848 und die Kolonialkriege gesegnet worden sind.
Was das Wiederaufbauprojekt betrifft, so wird es dem selbst formulierten Anspruch eines „Lernorts Deutscher Geschichte“ nicht gerecht. Um das umstrittene Projekt zu legitimieren, verfolgt die Fördergesellschaft für den Wiederaufbau seit Anbeginn einen Geschichtsrevisionismus, der durch verzerrte Darstellungen, umfassende Auslassungen und alternative Fakten eine geschönte und verfälschte Geschichte dieses Baus vermittelt. Dies betrifft auch gerade die Darstellungen zu Tag von Potsdam.
Exemplarisch für die Argumentation ist die Behauptung, die Kirche sei gegen ihren eigenen Willen für diesen Festakt genutzt und missbraucht worden. Verschwiegen wird hierbei nicht nur, dass der Gemeindekirchenrat der Zivilgemeinde der Nutzung mit großer Begeisterung zugestimmt hatte. Die Forschung mehrerer Historiker hat anhand umfangreicher Quellenstudien nachgewiesen, dass Generalsuperintendent Otto Dibelius als oberste Kirchenleitung die innerkirchlichen Widerstände aus dem Weg räumte und somit die Durchführung der Feier in der Garnisonkirche ermöglichte. Er ließ es sich auch nicht nehmen, an dem Tage den Festgottesdienst abzuhalten, in dem er das neue Regime freudig begrüßte. Aber von diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen lässt sich die Fördergesellschaft nicht beirren, sondern gibt stattdessen die Aussage eines NSDAP-Politikers aus dem Jahr 1937 unhinterfragt als die korrekte Beschreibung des historischen Sachverhalts wieder.[33]
Der wissenschaftliche Beirat der Stiftung Garnisonkirche weiß es besser, aber lässt die Fördergesellschaft gewähren. So trägt das Projekt des Wiederaufbaus der Garnisonkirche seit Jahren dazu bei, deutsche Geschichtsschreibung zu verfälschen und die Bedeutung des Tag von Potsdam zu relativieren.
Anmerkungen
[1] Die Kirche, 17.12.2000
[2] Andreas Kitschke: Die Garnisonkirche, Berlin bebra verlag 2016, S. 179
[3] Ebenda, S. 180
[4] Christoph Kopke und Werner Treß, Hrsg., Der Tag von Potsdam: der 21. März 1933 und die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur, Europäisch-jüdische Studien : […], Beiträge, Bd. 8 (Berlin Boston, Mass: De Gruyter, 2013). S. 1
[5] Martin Sabrow, Der „Tag von Potsdam“. Zur doppelten Karriere eines politischen Mythos, in ebenda, S. 82
[6] Ebenda, S. 77
[7] Ebenda, S. 75
[8] Der Spiegel, 22/2017, S. 102
[9] 13. Podcast des ZMSBw – Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr: „Die Garnisonkirche Potsdam“, Oktober 2020
[10] Ausgabe vom 21. März 1934
[11] Siehe die Forschungen von Manfred Gailus und Matthias Grünzig hierzu.
[12] Albrecht Hannibal, Semper Talis: eine Brandenburg-preußisch-deutsche Geschichte, Edition Octopus (Münster: Verlag-Haus Monsenstein und Vannerdat, 2009). Band 1, S. 748
[13] Matthias Grünzig, Für Deutschtum und Vaterland: die Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert (Berlin: Metropol, 2017). S. 82-87
[14] Zur Einweihung des Semper Talis Monument am 24.6.1924
[15] Oberpfarrer Paul Thiede: Aus Potsdam. Erinnerung an unsere alte Soldatenkirche, in der Zeitschrift Semper Talis, Heft 26 1927, S. 16/17
[16] Adolf Hitler, Rede „Freiheit und Bro“ auf der NSDAP-Versammlung in Hersbruck am 30. November 1928, in Hitler Reden Schriften Anordnungen. Februar 1925 bis Januar Band III Zwischen den Reichstagswahlen Juli 1928 – September 1930, Teil 1 Juli 1928 – Februar 1929, Hg. vom Institut für Zeitgeschichte München 1994, S. 283
[17] Joseph Goebbels, Tagebucheintrag vom 5.4.1932
[18] Grünzig, Für Deutschtum und Vaterland. S. 101
[19] Geleitwort von Baldur von Schirach zu: Der Tag von Potsdam : 100 Bilddokumente vom größten Jugendaufmarsch der Welt / Mit einem Geleitwort Baldur von Schirach (München: Deutscher Jugendverlag, 1933). S. 13
[20] Hunderttausend auf dem Marsch zum Stadion, Völkischer Beobachter, Erstes Beiblatt, 4.10.1932
[21] Deutschland erwacht : Werden, Kampf und Sieg der NSDAP. Text von Wilfried Bade, 776.-875. Tsd. (Hamburg-Bahrenfeld: Cigaretten- Bilderdienst, 1933). S. 90
[22] Johannes Keßler, Ich schwöre mir ewige Jugend [Erinnerungen] (Leipzig: P. List, 1935). S. 222
[23] Anna Marie Koeppen, Potsdam, in: Gedichte für die Feiern des Dritten Reichs: Der Tag von Potsdam, 21. März 1933, Bd. 8, Goerlichs geschichtliche Gedichtsbogen (Breslau: Goerlich, 1934). S. 116
[24] Ludwig Bamberg, Die Garnisonkirchen des Barock in Berlin und Potsdam : Baukunst im Kontext / Ludwig Christian Bamberg (Hildesheim: Georg Olms Verlag, 2018). S. 394
[25] Verfügung des Regierungspräsidenten an die Diana-Tonfilm GmbH, zitiert nach Bamberg. S. 397
[26] Der Gemeindekirchenrat der Zivilgemeinde der Garnisonkirche am 20.11.1939 an den Regierungspräsidenten, zitiert nach Bamberg. S. 394
[27] Joseph Goebbels, Die Tagebücher. 2,3: Teil 1, Aufzeichnungen 1923 – 1941 Oktober 1932 – März 1934, hg. von Angela Hermann (München: Saur, 2006). S. 362
[28] Die Tagebücher von Josef Goebbels, Teil 2, Band 4, April – Juni 1942 / bearb. von Elke Fröhlich, Eintrag vom 24.5.1942, S. 360
[29] Völkischer Beobachter, Wiener Ausgabe, 21.3.1943, S. 1f.
[30] Hans Bentzien, Die Heimkehr der Preussenkönige. Mit Geleitworten von Louis Ferdinand Prinz von Preussen und Manfred Stolpe (Berlin: Verlag Volk und Welt, 1991). S. 27f. Andreas Kitschke, Die Garnisonkirche Potsdam: Krone der Stadt und Schauplatz der Geschichte, hg. von Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam e.V. (Berlin: edition q im be.bra verlag, 2016). S. 182f.
[31] Joseph Goebbels, Die Tagebücher: Teil 2 Diktate 1941 – 1945/ 8. April – Juni 1943, hg. von Elke Fröhlich, Bd. 8 (München: Saur, 1993). S. 281
[32] Documentary Series DS 361 (LP, 1. + 2. Teil)) und DS 1361 (CD): Der Tag von Potsdam – Von der Reichswehr zur Wehrmacht.
[33]So das Vorstandsmitglied der Fördergesellschaft Andreas Kitschke jüngst wieder in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 1.11.2022: Hitler war nur einmal hier, aber auch schon zuvor, etwa Die Kirche, 17.12.2000
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