Dietrich Bonhoeffers Kriegsideologie vor 1933

Detlef Bald

6

In seinem Buch über Dietrich Bonhoffers „Weg in den Widerstand“ schildert Detlef Bald, welche bellizistische Theologie dieser während der Weimer Republik vertrat, bevor er sich ab 1930 gegen die nationalsozialistische Judenverfolgung und die erstarkenden Deutschen Christen positionierte.

In der Weimarer Zeit hatte die Mehrheit des Bürgertums keine Zweifel an dem Selbstverständnis, Krieg sei „ein Glied in Gottes Weltordnung“. Universitäre Theologen – Emmanuel Hirsch, Paul Althaus oder Friedrich Gogarten mit ihrer politischen Theologie des deutschen Volkstums – ließen sich da von niemandem überbieten; auch die Kirchenleitungen, so Generalsuperintendent Otto Dibelius, erkannten im Volkstum „Gottes Gebot“ erfüllt. Bonhoeffer selbst hatte entsprechende Bibelauslegungen gerade auch bei seinem akademischen Lehrer, Reinhold Seeberg, prononciert vorgefunden, aber hatte sich von dessen steiler Version als dogmatischem „Starrsinn“ distanziert.[1] Aber Seeberg steigerte bei Äußerungen über Volk, Geschichte und Krieg noch die allseits bekannte Auffassung Luthers über den Gehorsam der Soldaten aus christlicher Gewissenhaftigkeit. Bonhoeffer differenzierte schon, wenn er Luther für die Gegenwart verständlich machte, aber wenn es in dieser Zeit um Nation und Krieg ging, fand sich Bonhoeffer in den Mainstream der Theologie verstrickt und übernahm auch das allgegenwärtige Selbstverständnis der Verkündigung, die bald als völkisch unterlegte, problematische Tendenz einer „neulutherischen religiösen Aufwertung des Volksgedankens“ sich abzeichnete.[2]

In seiner Dissertation verfolgte Bonhoeffer den wissenschaftlich fortschrittlichen Ansatz, Kirche und Gesellschaft soziologisch zu analysieren; dieser Aspekt wird gerne herausgehoben. Doch ein anderer Schwerpunkt galt dem Thema Staat, Nation und Militär; er begründete ausführlich die Bedeutung des Militärs theologisch. Militär, Einsatz, Krieg wurden als Teil eines göttlichen Plans eingeordnet. Ein zentraler Satz aus seiner Feder lautet: „Dort, wo Völker angerufen werden, da ist Wille Gottes zur Geschichte.“ Und er fuhr fort, damit kein Zweifel an der Interpretation dieses Grundsatzes aufkäme: wenn ein Volk „sich unter Gottes Willen beugend in den Krieg zieht, um seine Geschichte, seine Sendung in der Welt zu erfüllen, (…) da weiß es sich von Gott aufgerufen, da soll Geschichte werden, da ist Geschichte nicht mehr Mord.“[3] Keinen Konflikt gab es für ihn, Gottes Wirken zum Wohl der Nation auch im Krieg zu identifizieren. Diese Symbiose von Gottes Wirken im Erfolg der Nation formulierte Bonhoeffer geradezu grandios, man spürt die theologische Passion. Das war seine Lebenswelt, sie entsprach dem, natürlich in dem nüchternen Habitus seines Vaters Karl Bonhoeffer formulierten Ansatz der Stärkung der Armee durch die medizinischen Methoden der Psychiatrie. Es ging ja um das Kriegsglück.

Eine derart massive Formulierung im Geist der zeitgenössischen Luthertheologie vertrat Bonhoeffer nicht nur im Manuskript seiner Dissertation im Jahr 1927, sondern sie finden sich auch 1929, als er seine bekannte Predigt zu diesem Thema in Barcelona hielt. Er scheint direkt an der zitierten Passage anzuknüpfen, wenn es von der Kanzel hieß: in den Schlachten des Weltkrieges habe sich bei der deutschen Armee keineswegs „die Erbärmlichkeit des Christentums und seiner Kirchen“ gezeigt; das Gegenteil sei der Fall, die Kirche habe sich niemals „dem Kriegsdienst widersetzen“ wollen, sondern sie hätte sich hinter die Nation gestellt. Ausdrücklich wandte er sich gegen den Vorwurf, Krieg führen bedeute Menschen ermorden; ungeheuerlich sei es, einen Satz auszusprechen wie: „Der Krieg ist nichts als Morden, der Krieg ist ein Verbrechen, kein Christ kann in den Krieg gehen.“[4] Dieser Vorwurf unterlaufe christliches Denken.

Ausgiebig setzte er sich mit der Verbindlichkeit der Bergpredigt auseinander und formulierte dramatisch seine Schlussfolgerung auf die selbst gestellte Frage: „Hat uns die Bergpredigt dann wirklich gar nichts Neues zu sagen?“ mit absoluter Eindeutigkeit, sie, die Bergpredigt, gäbe „für den Christen keine ethischen Prinzipien“.[5] An Deutlichkeit ließ Bonhoeffer abschließend keinen Zweifel: „Es ist das größte Missverständnis, wenn man die Gebote der Bergpredigt etwa wieder selbst zum Gesetz macht, indem man sie wörtlich auf die Gegenwart bezieht.“ Es gelte „die Freiheit vom Gesetz“.[6] (…)

In dem angesprochenen Vortrag in Barcelona im Februar 1929 argumentierte Bonhoeffer ausführlich, wann und wie Krieg für Staaten zu rechtfertigen sei. Er bekannte sich für das Anwenden von Waffengewalt: „ich werde die Waffe erheben (…), die Liebe zu meinem Volk wird den Mord, wird den Krieg heiligen.“ Denn der Mensch sei Teil seines Volkes. „Das ist so göttliche Ordnung, denn Gott schuf die Völker“. Doch Bonhoeffer weitete den Rahmen für staatliches Handeln sehr weit auf „das Verhältnis von Geschichte und Volk, von Volk und Gott“ aus; da tun sich Tore auf zum völkischen Denken, dessen Überlegenheit gegenüber anderen Völkern zwar nicht von der Vorsehung, sondern von Gott selbst gelenkt und vorbestimmt erscheint. Verführerische Worte klingen an, wie ein geheimnisvoller Auftrag: „Jedes Volk aber hat einen Ruf Gottes in sich, Geschichte zu gestalten, ins Leben der Völker ringend mit einzutreten.“ Bonhoeffer zieht diesen Faden rigide bis zum Äußersten: „Gott ruft das Volk zur Mannhaftigkeit, zum Kampf und Sieg.“ Und schlussendlich rechtfertigte er den Eroberungskrieg, „ein Volk“ könne „über das Leben anderer Völker“ hinweggehen – denn „Gott ist der Herr der Geschichte.“ Ein Volk werde sich diesem „heiligen Willen“ beugen.[7] Wie selbstverständlich beschwor Bonhoeffer die nationale Geschichte als von Gott gelenkt und nahm diesen bellizistischen Habitus an.

Diese Thesen der nationalen Kriegstradition vertrat Bonhoeffer also in ähnlicher Gedankenführung der Legitimation der Kriege in seiner Dissertation von 1927 wie noch in Barcelona 1929. Die pazifistische Kritik, hiermit einen „Schwertglauben“ (Friedrich Wilhelm Foerster) zu vertreten, war ihm völlig fremd. Er verfocht das Recht auf Krieg gemäß dem Denken des Lutherprotestantismus. Die Analogie des Denkens in Vortrag und Dissertation ist offenkundig, auch einfach zu erklären, denn in Barcelona hat er das Manuskript der Dissertation für die Drucklegung bearbeitet. Er hatte sich intensiv wieder in den Text eingearbeitet und für den Druck „vieles neu“ formuliert; es war für ihn kein einfaches „Streichen und Kürzen“ gewesen.[8]

Bonhoeffer war semantisch vorsichtig. Den Begriff des Volkes führte er auf das Alte Testament zurück, auf diese „Wirklichkeit“ in Israel und die Hebräische Bibel. Von diesem Grund aus folgte seine Auslegung – und er bezog „Volk“ doch auf die historische Gegenwart des 20. Jahrhunderts. Er argumentierte biblisch, formulierte aber hochaktuell politisch, nahe an der völkischen Sprache. Diese am Ende bellizistische Haltung aber hatte auch eine Schlagseite, die in einer gesellschaftlichen Kontinuität zu sehen ist und wenige Jahre später im Nationalsozialismus zutage treten sollte. Denn Bonhoeffer war so kühn, die Grundfragen einer christlichen Ethik, wie er diesen Vortrag tituliert hatte, auf den Satz zu beziehen: „Die Ethik ist Sache des Blutes und Sache der Geschichte.“ Es gäbe keine menschlich, christlich oder allgemein verbindliche Ethik, vielmehr sei sie national, von der Geschichte eines jeden Volkes bestimmt, also „eine deutsche Ethik und eine französische Ethik wie eine amerikanische Ethik“.[9] Es ist tatsächlich eine zwangsläufige Folge, dass Bonhoeffer in der zeitgenössischen Tradition zu dem – in der heutigen Bewertung – ungeheuerlichen Schluss kommt: „Christentum und Ethik haben gar nichts miteinander zu tun, christliche Ethik gibt es nicht.“[10]

Die national-protestantische Welt der Spätzeit des Kaiserreiches fand noch einmal am Ende der zwanziger Jahre in der bellizistisch getragenen leidenschaftlichen Wortgewalt Bonhoeffers ihren Ausdruck. Sicherlich war es bürgerlich-akademisch formuliert, doch er nutzte ideologische Begriffe der völkischen Herkunft. Er stellte Bezüge zum Recht auf Krieg her und sah im militärischen Sieg den Beweis des rechten Volkshandelns und der Überlegenheit einer Nation. Mit prägenden Worten bediente sich Bonhoeffer des zeitgenössisch-völkischen Vokabulars, dem Krieg volle Legitimation zu geben. Allein, die theologisch geleitete Argumentation folgte dem nationalistischen Revanchismus und nährte den sozialdarwinistischen Fundus. Er feilte mit an Elementen der Geschichte des deutschen Sonderweges.

Bonhoeffer übernahm als Theologe in diesen politischen Belangen von Krieg und Frieden bis 1929 die übliche protestantische Position. Aus diesem Geist heraus war wenige Jahre später der Schritt hin zur Ideologie des brisanten, rechtslastigen, vor allem von Pastoren der Deutschen Christen, als sie den Nationalsozialismus unterstützten, nicht mehr weit.[11] Diese Haltung, Krieg mit der Bibel zu begründen, vertrat Bonhoeffer bis zum Alter von 23 Jahren. Diese Ausführungen zum Recht auf Krieg zeigen eine Seite Bonhoeffers, die in ihrer Bedeutung selten herausgestellt wird; diese Seite in seinem Leben mag aus dieser oder jener Perspektive negativ oder belastend in der Bewertung Bonhoeffers erscheinen, so wurde sie auch „als das Anstößigste aus dem Nachlass Bonhoeffers“ bezeichnet, daher bedürften sie einer „sorgfältigen Auslegung“.[12] Doch die historische Redlichkeit sollte diesen Bellizismus, den er wie die deutsche Theologie vertrat, angemessen darstellen; Bonhoeffer war einer, und zwar ein guter Vertreter dieser Disziplin.

Diese Position Bonhoeffers bietet den Hintergrund, die kommende Phase des existenziellen Wandels seines Lebens nach 1930 in der gebotenen Deutlichkeit zu charakterisieren und ihre Qualität hervorzuheben. Zu betonen ist, vor und nach diesem Wandel war Bonhoeffer eminent politisch.

Der Aufsatz ist ein Auszug aus dem Kapitel „Bellizistische Traditionen“ aus dem Buch von Detlef Bald: Dietrich Bonhoeffer – der Weg in den Widerstand 1906 – 1945. „Ich bete für die Niederlage meines Landes“. Verlag wbg Academic, Darmstadt 2021, S. 32-36. Mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.

Detlef Bald ist Politikwissenschaftler und Militärhistoriker und war bis 1996 wissenschaftlicher Direktor des Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr in München. Als freiberuflicher Publizist befasst er sich insbesondere mit Themen der Friedensforschung, mit dem Widerstand der Weißen Rose und mit Dietrich Bonhoeffer.


[1] Vgl. Detlef Bald: Das „Liebeswerk des Krieges“ – ein „traditionell-dogmatischer Starrsinn“. Bonhoeffer und sein Lehrer Seeberg, in: Verantwortung, 56/2015, S. 60 ff.
[2] Heinz E. Tödt: Dietrich Bonhoeffers ökumenische Friedensethik, in: H. Pfeiffer (Hg.): Frieden – das unumgängliche Wagnis. Die Gegenwartsbedeutung der Friedensethik Dietrich Bonhoeffers, München 1982, S. 86.
[3] Sanctorum Communio, in: DBW, Bd. 1, S.74.
[4] Grundfragen einer christlichen Ethik, Barcelona, 8. Februar 1929, in: DBW, Bd. 10, S. 335 f.
[5] Grundfragen, ebenda, S. 329.
[6] Grundfragen, ebenda, S. 332.
[7] Grundfragen, ebenda, S. 339.
[8] Bonhoeffer an R. Seeberg, Barcelona, 20. Juli 1928, in: DBW, Bd. 10, S. 84.
[9] Grundfragen, ebenda, S. 323.
[10] Grundfragen, ebenda, S. 327.
[11] Vgl. Wolfgang Huber, Hans-Richard Reuter: Friedensethik, Stuttgart 1990.
[12] Heinz Eduard Tödt: Theologische Perspektiven nach Dietrich Bonhoeffer, hrsg. von Ernst-Albrecht Scharffenorth, Gütersloh, 1993, S. 126.

Online seit: 15. Mai 2023

Einen Kommentar verfassen:

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert