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Der Tag von Potsdam war ein komplexes Geschehen mit vielen Facetten. Ich will in meinem Vortrag einige Aspekte beleuchten. Zunächst will ich etwas zur Ausgangslage sagen. Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Gleich nach dem 30. Januar und verstärkt nach dem Reichstagsbrand am 27.Februar 1933 setzte ein Terror gegen Sozialdemokraten, Gewerkschaftler, Kommunisten, aber auch demokratische Journalisten, wie Carl von Ossietzky, ein. Zehntausende Gegner des Regimes wurden verschleppt, gefoltert und auch schon ermordet. Demokratische Grundrechte, wie die Pressefreiheit, die Versammlungsfreiheit, das Demonstrationsrecht wurden mit der Verordnung zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 abgeschafft.[1] Gleichzeitig begann ein Terror gegen die jüdische Bevölkerung.[2] Die Potsdamerin Miami von Mirbach empörte sich schon am 11. März 1933 in einem Leserbrief über, so wörtlich „Terrorakte“ gegen die jüdische Bevölkerung.[3]
Dennoch war Hitler noch weit davon entfernt, ein Alleinherrscher oder der Führer des deutschen Volkes zu sein. Er war vielmehr Kanzler einer Koalition aus NSDAP, der Deutschnationalen Volkspartei und dem Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten. Selbst in dieser Koalition war Hitlers Führungsrolle keineswegs unumstritten. Ein wichtiger Konkurrent war Alfred Hugenberg. Hugenberg war Vorsitzender der Deutschnationalen Volkspartei. Diese Partei hatte zwar relativ wenige Wählerstimmen, sie hatte bei den Reichstagswahlen im November 1932 nur 8,5 Prozent erreicht. Aber sie hatte eine starke Position in der Beamtenschaft, in der Justiz, in der Polizei, beim Militär und in der Wirtschaft.[4]
Zudem war Hugenberg der Inhaber des Hugenberg-Konzerns, des größten Medienimperiums in Deutschland. Zu diesem Konzern gehörten zahlreiche Zeitungen und die UFA. Hugenberg war in der neuen Regierung Wirtschaftsminister. Viele sahen in Hugenberg den eigentlichen starken Mann in der Reichsregierung.
Noch wichtiger war der Reichspräsident Paul von Hindenburg. Der Reichspräsident hatte in der Weimarer Republik wesentlich mehr Macht als der heutige Bundespräsident und auch als der Reichskanzler. Er konnte den Reichskanzler nach Belieben entlassen, er hatte auch den Oberbefehl über das Militär. Zudem verfügte Hindenburg über eine enorme Autorität. Vor allem beim Militär genoss er aufgrund seines Sieges bei Tannenberg im Ersten Weltkrieg und seiner Rolle als Chef der Obersten Heeresleitung ein enormes Prestige. Das Verhältnis vieler Reichswehrgeneräle zur NSDAP war dagegen ambivalent. Einerseits unterstützten sie viele Ziele der NSDAP. Andererseits hegten auch viele Generäle, die meist aus dem Adel stammten, einen gewissen Standesdünkel gegenüber Hitler, der es nur zum Gefreiten gebracht hatte. Hitler brauchte aber für seine Kriegspläne die Unterstützung der Generäle, deshalb konnte er sie nicht einfach durch Terror ausschalten, sondern er musste sie für sich gewinnen.
Alle Versuche der NSDAP, Hindenburg in einer direkten Konfrontation zu besiegen, wie bei den Reichspräsidentenwahlen am 13. März und 10. April 1932, waren gescheitert. Andererseits war Hindenburg 85 Jahre alt, die Nachfolgefrage war ein allgegenwärtiges Thema.[5]
Die Strategie der Anbiederung
Wie ging die NSDAP mit dieser Situation um? Sie betrieb vor allem eine Strategie der Anbiederung an Hindenburg. Während des Wahlkampfes der NSDAP zu den Reichstagswahlen am 5. März 1933 wurden Hindenburg und Hitler als einträchtiges Paar inszeniert.
Der „Tag von Potsdam“
Diese Strategie erlebte mit dem Staatsakt am „Tag von Potsdam“ ihren Höhepunkt. Sie prägte schon die Organisation des Staatsaktes. Sein Ablauf wurde nicht von der NSDAP verordnet, sondern gemeinsam zwischen der NSDAP, der Reichswehr, Hindenburg und anderen rechtsextremen Organisationen, wie der DNVP und dem „Stahlhelm“ ausgehandelt.[6] Diese Strategie setzte sich in den Presseberichten im Vorfeld des „Tages von Potsdam“ fort.
Einen Höhepunkt markierte die Rede Hitlers in der Garnisonkirche, in der er eine rhetorische Verbeugung vor Hindenburg vollführte. Hier erklärte er: „In unserer Mitte befindet sich heute ein greises Haupt. Wir erheben uns vor Ihnen, Herr Generalfeldmarschall. Dreimal kämpften Sie auf dem Felde der Ehre für das Dasein und die Zukunft unseres Volkes. Als Leutnant in den Armeen des Königs für die deutsche Einheit, in den Heeren des alten deutschen Kaisers für des Reiches glanzvolle Aufrichtung, im größten Krieg aller Zeiten aber als unser Generalfeldmarschall für den Bestand des Reiches und für die Freiheit unseres Volkes.
Sie erlebten einst des Reiches Werden, sahen vor sich noch des großen Kanzlers Werk, den wunderbaren Aufstieg unseres Volkes und haben uns endlich geführt in der großen Zeit, die das Schicksal uns selbst miterleben und mit durchkämpfen ließ.
Heute, Herr Generalfeldmarschall, läßt Sie die Vorsehung Schirmherr sein über die neue Erhebung unseres Volkes. Dieses, Ihr wundersames Leben ist für uns alle ein Symbol der unzerstörbaren Lebenskraft der deutschen Nation. So dankt Ihnen heute des deutschen Volkes Jugend, und wir alle mit, die wir Ihre Zustimmung zum Werk der deutschen Erhebung als Segnung empfinden. Möge sich diese Kraft auch mitteilen der nunmehr eröffneten neuen Vertretung unseres Volkes.
Möge uns dann aber auch die Vorsehung verleihen jenen Mut und jene Beharrlichkeit, die wir in diesem für jeden Deutschen geheiligten Raume um uns spüren, als für unseres Volkes Freiheit und Größe ringende Menschen zu Füßen der Bahre seines größten Königs.“[7]
Dann kam es zum Höhepunkt des Staatsaktes, den berühmten Handschlag zwischen Hitler und Hindenburg. Wie wurde dieser Handschlag von den Zeitgenossen wahrgenommen?
Ich will fünf Beschreibungen von Zeitzeugen zitieren. Der erste Zeitzeuge ist Otto Dibelius. Dibelius war Generalsuperintendent der Kurmark und Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei. Dibelius schrieb:
„Dann nimmt Adolf Hitler das Wort zur Erwiderung. Würdig, ernst und eindrucksvoll sind seine Worte. Zum Schluß der Rede die Kundgebung an den Reichspräsidenten. Alles erhebt sich. Als das letzte Wort gesprochen ist, tritt Hitler von dem Pult zurück. Der Reichspräsident tut einen Schritt nach vorn und streckt ihm die Hand entgegen. Hitler ergreift sie und beugt sich tief, wie zum Kuß, über die Hand des greisen Feldmarschalls. Es ist eine Huldigung in Dank und Liebe, die jeden ergriffen hat, der sie mit ansah.“[8]
Der zweite Zeitzeuge ist Alfred Rittner. Rittner war Mitglied im Gemeindekirchenrat der Zivilgemeinde der Garnisonkirche und Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei. Später wurde er Mitglied der NSDAP. Rittner notierte:
„Während dieser Huldigung für den tiefverehrten Reichspräsidenten und des Gelöbnisses, den alten Potsdamer Geist der Frömmigkeit, Ordnung und Sauberkeit zu pflegen und zu erhalten, hatte sich die Festversammlung erhoben. Der greise Feldmarschall reichte dem Reichskanzler die Hand, gleichsam eine Vermählung zwischen einer großen Vergangenheit und einer hoffnungsfrohen Zukunft. Ein erhebender und ergreifender Augenblick für den, der ihn miterleben durfte.“[9]
Der dritte Zeuge ist Johannes Keßler. Keßler war ehemaliger Hofprediger, der auch an der Garnisonkirche tätig war. Keßler berichtete:
„Hitler verneigte sich vor Hindenburg, sie reichten sich die Rechte und sahen einander still und tief in die Augen. Da fühlten wir unmittelbar: jetzt vereinigen sich zwei Mächte, zwei Zeiten, zwei Welten: das reife Alter und die männliche Jugend, die ehrwürdige Vergangenheit und die sich anbahnende Zukunft, der Heerführer mit dem Blücherkreuz und der Volksführer mit dem Hakenkreuz, der soldatische, aristokratische, konservative Volksheros und der Mann aus dem Volke, der unerbittlicher Kämpfer, der Bahnbrecher eines neuen Reiches; beide aber eins in dem einen Lebenswillen und Lebensziel: patriae inserviendo consumo – meinem Vaterlande dienend, verzehre ich mich.“[10]
Der vierte Zeuge ist Hugo Vogel, der als eine Art „Leibmaler“ von Hindenburg tätig war. Ein geplantes Bild zum „Tag von Potsdam“ konnte Vogel aber nicht mehr vollenden, da er schon 1934 starb. Vogel schrieb:
„Hindenburg hatte sich zum Schluß der Rede erhoben. Nun tritt Hitler auf ihn zu. Die beiden Männer reichen sich die Hände zu langem, festem Druck – es war wie ein Treuegelöbnis. Hitler tiefgeneigten Hauptes vor dem ihm gegenüberstehenden greisen Walter des Reiches, dem Leiter des Weltkrieges, Generalfeldmarschall von Hindenburg.“[11]
Der letzte Zeuge ist Andre Francois-Poncet, der französische Botschafter in Berlin, der ebenfalls in der Garnisonkirche zugegen war. Francois-Poncet schilderte die Szene etwas nüchterner:
„Der Feldmarschall und Adolf Hitler reichen einander die Hände vor der Versammlung, die sich erhoben hat.“[12]
Wir sehen also, dass dieser Handschlag keine flüchtige oder zufällige Handlung war, sondern dass er bewusst inszeniert war. Wir sehen auch, dass er einen tiefen Eindruck hinterließ. Zudem wurde er als eine Art Treuegelöbnis angesehen. Das hatte mit den Wertvorstellungen gerade in militärischen Kreisen zu tun. Hier hatte eine Handschlag zwischen Männern eine ungeheure Bedeutung, er galt mehr als eine Unterschrift unter einen Vertrag. Schließlich spielte das unterschiedliche Alter der beiden Hauptakteure eine Rolle. Das Bündnis zwischen Hindenburg und Hitler war das Bündnis zwischen einem 85-jährigen Mann, der die Vergangenheit verkörperte und einem 43-jährigen Mann, der für die Zukunft stand. Angesichts dieses Altersunterschiedes wurde dieser Handschlag als eine Art Stabübergabe interpretiert. Der alte Hindenburg reicht den Stafettenstab an den jungen Hitler weiter.
Von dem Handschlag in der Garnisonkirche gab es höchstwahrscheinlich kein Foto. Der Grund war: Die weihevolle Atmosphäre des Staatsaktes sollte nicht durch Fotografen gestört werden. Deshalb wurden die Fotografen auf die zweite Empore verbannt, sie durften sich nicht erheben. Folgerichtig gibt es wenig Fotos vom Staatsakt.[13]
Die Konsequenzen des „Tages von Potsdam“
Welche Konsequenzen hatte der „Tag von Potsdam“? Der „Tag von Potsdam“ stieß bei fast allen Akteuren aus dem rechtsextremen Lager und auch bei der Generalität auf große Zustimmung.[17] Gleichzeitig war dieser Tag mit einem enormen Prestigegewinn für Hitler verbunden, er war nun der unbestrittene Führer des rechten Lagers.
Folgerichtig unterstellten sich zahlreiche rechtsextreme Organisationen Adolf Hitler. Der „Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten“ unterstellte sich am 27. April 1933 dem Oberbefehl Adolf Hitlers. Der Stahlhelm-Führer Franz Seldte wurde Mitglied der NSDAP. Der Bund Königin Luise, das weibliche Pendant zum Stahlhelm, unterstellte sich im Mai 1933 Adolf Hitler. Der Reichskriegerbund „Kyffhäuser“ unterstellte sich am 5. Mai 1933 Adolf Hitler. Die Deutschnationale Volkspartei dagegen erlebte einen rasanten Auflösungsprozess. Es kam nach dem „Tag von Potsdam“ zu massenhaften Übertritten von der Deutschnationalen Volkspartei zur NSDAP, ganze Landesverbände traten zur NSDAP über.[18] Am 27. Juni 1933 schloss die Deutschnationale Volkspartei – gegen den Willen Hugenbergs – einen Freundschaftsvertrag mit der NSDAP, der die Selbstauflösung der DNVP vorsah. Im Gegenzug wurden die Mitglieder des DNVP als Vorkämpfer des Dritten Reiches anerkannt.[19]
Vor allem aber wurde Hitler nach dem Handschlag von Potsdam als der legitime Erbe Hindenburgs angesehen. Daher konnte Hitler nach Hindenburgs Tod am 2. August 1934 die Machtbefugnisse des Reichspräsidenten übernehmen. Mehr noch: die Wehrmacht wurde am 3. August auf Adolf Hitler persönlich vereidigt. Damit war die nationalsozialistische Machtergreifung abgeschlossen. Der „Tag von Potsdam“ markierte eine zentrale Station auf diesem Weg.[20]
Der Text ist das Manuskript des gleichnamigen Vortrags auf der Veranstaltung „Garnisonkirche der Nation – Gesegnete Kriege vor 1933“ am 22.3.2018 im Alten Rathaus in Potsdam
[1] Dietrich Bracher/Wolfgang Sauer/Gerhard Schulz: Die nationalsozialistische Machtergreifung, Köln/Opladen, 1962, S. 54-58, 72-74, 82-88
[2] Vgl. auch: Schaufenstersturm in Potsdam, in: Potsdamer Volksblatt, 14.2.1933
[3] Leserbrief Miami von Mirbach, in: Potsdamer Tageszeitung, 11.3.1933
[4] Otto Meissner: Ebert, Hindenburg, Hitler, Erinnerungen eines Staatssekretärs, 1918-1945, Esslingen/München, 1991, S. 285
[5] Wolfram Pyta: Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, München 2007, S. 808 ff.
[6] Matthias Grünzig: Für Deutschtum und Vaterland. Die Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert, Berlin 2017, S. 144-164
[7] Der Tag der deutschen Wende, in: Völkischer Beobachter, 22.3.1933
[8] Otto Dibelius: Wochenschau, in: Berliner Evangelisches Sonntagsblatt, 2.4.1933
[9] Alfred Rittner: Der feierliche Staatsakt vom 21. März 1933 in der Garnisonkirche zu Potsdam, in: Gemeindekirchenrat (Hrsg.): Die Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam, Potsdam 1933
[10] Johannes Keßler: Ich schwöre mir ewige Jugend, S. 229 f.
[11] Hugo Vogel: Erlebnisse und Gespräche mit Hindenburg, Berlin 1935, S. 118
[12] Andre Francois-Poncet: Als Botschafter in Berlin 1931-1938, Mainz 1949, S. 109
[13] Grünzig: Für Deutschtum und Vaterland, S. 163
[17] Klaus-Jürgen Müller: Das Heer und Hitler. Armee und nationalsozialistisches Regime 1933-1940, Stuttgart 1969, S. 35
[18] Grünzig: Für Deutschtum und Vaterland, S. 178 f.
[19] Sitzung der Landesführer am Dienstag, dem 27.6.33 Nachmittag, Vorsitz: Reichsminister Dr. Hugenberg, BArch R 8005/493, Bl. 1-9
[20] Joachim Fest: Hitler. Eine Biografie, Frankfurt a. M./Berlin 1993, S. 650-655
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