Der preußische Adler in der deutschen Herrschaftsgeschichte. Eine Vogelkunde aus religionspolitischer Sicht

Horst Junginger

Der preußische Adler schützt den Reichsapfel gegen Frankreich und Österreich (Adopl Menzel, vor 1882)

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In den 320 Jahren seiner Existenz hat der Adler viele Höhen und Tiefen erlebt, nie aber seine Funktion als ein im christlichen Glauben fußendes Symbol der politischen Herrschaft verloren. Seine Nähe zum Himmel und zu den himmlischen Heerscharen befähigt den König der Lüfte in besonderer Weise, den Menschen Orientierung zu geben. Sie blicken zu ihm auf, und wenn sie ihre Zuversicht in ihn setzen, können sie auffahren mit Flügeln wie er. Seine Wesensart wird dann die ihre und sie profitieren von seinem Mut, seiner Stärke und seinem Weitblick.

Der Aufstieg Preußens zur Großmacht beruhte wesentlich auf der engen Beziehung zwischen Religion und Militär, die in der 1732 eingeweihten Garnisonkirche in Potsdam ihr geistiges Zentrum hatte. Die Garnisonkirche ragte nicht nur wie einer der „Langen Kerls“ aus der Leibgarde des Soldatenkönigs hoch in den Himmel auf. Sie war zugleich der Stamm- und Jagdsitz des preußischen Adlers. Er begleitete die preußischen Truppen auf Wappen und Emblemen bei allen ihren Feldzügen und Siegen. Mit der Niederwerfung Frankreichs stieg er 1871 zum Reichsadler und gesamtdeutschen Hoheitszeichen auf. Den Gipfel seines Einflusses erklomm er aber im Ersten Weltkrieg. Nie wurde mehr auf seine Macht vertraut und nie wurde er öfter abgebildet als in dieser Zeit.

Dem Ausspruch Friedrichs des Großen gemäß, dass Gott immer auf der Seite der stärksten Bataillone steht, hatte er nach der Niederlage eine schwere Zeit zu durchleben. Manche wollten ihm sogar ganz den Garaus machen. Die Republik ließ ihn zwar heraldisch am Leben, nahm ihm aber alle kriegerischen Attribute und königlichen Insignien. „Pleitegeier“ nannte ihn die politische Rechte deswegen. Fünfzehn lange Jahre dauerte die damnatio memoriae des Reichsadlers, bis er am „Tag von Potsdam“ im März 1933 wiederauferstand. Sein neuerlicher Höhenflug endete zwölf Jahre später in der „Nacht von Potsdam“, als am 17. April 1945 britische Flugzeuge mit der Garnisonkirche auch seinen Stammsitz zerstörten. Ohne festen Wohnsitz geisterte der Adler seitdem als Mythos in den Köpfen der Menschen herum.

Nach dem erfolgreichen Wiederaufbau der Garnisonkirche soll der Adler an die Spitze des Kirchturms zurückkehren. Erneut soll er den Kraftstrom zwischen der weltlichen und überweltlichen Herrschaft versinnbildlichen und zeigen, dass die Menschen in der Lage sind, sich zu neuen Höhen aufzuschwingen, wenn sie Glaubensstärke beweisen. Die gesamtdeutsche Vita des Adlers ist allerdings noch nicht zu Ende geschrieben. Im Moment sitzt er neben der Garnisonkirche in einer Voliere und harrt der Dinge, die da kommen.

Die Herrschaftslegitimation macht das unvergleichliche Wesen des Adlers als Symboltier und politisches Gruppenabzeichen aus. Im engeren Sinn ist seine Funktion auf das Militärische gerichtet. Das entspricht seiner Veranlagung am besten. Aus der Perspektive einer religionspolitischen Ornithologie steht das Adlersymbol für den produktiven Zusammenhang zwischen Glauben und Tun, der immer dann erneuert werden kann, wenn sich die Menschen der mystischen Verbindung zwischen dem Irdischen und Überirdischen bewusst sind.

All dies legt Horst Junginger, Professor für Religionswissenschaft und Religionskritik an der Universität Leipzig und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Lernorts Garnisonkirche in einem ausführlichen Essay dar, der mit einer ausdrucksstarken Bebilderung im Verlag spector books Leizpig im September 2021 erscheint.

Der preußische Adler schwebt mit ausgebreiteten Flügeln über dem Reichsapfel, in den Frankreich und Österreich bereits ihre Krallen geschlagen haben. Zeichnung aus „Vignette du ‚Traité entre l’impératrice–Reine [Maria Theresia von Österreich, H.J.] et le Roi de France‘“, in: Illustrations des Oeuvres de Frédéric le Grand par Adolphe Menzel, Bd. 1, Paris 1882,

Inhaltsübersicht des Bandes:

  • König des Himmels
  • Symbol für Preußens Aufstieg
  • Die Potsdamer Garnisonkirche, Stammsitz des Adlers
  • Religiöser und militärischer Drill als Programm
  • Gottesfurcht im Plural
  • Der Raubvogel Europas
  • Der Choral von Leuthen
  • Alte und neue Kriege
  • Der Adler im innenpolitischen Einsatz
  • Das nachrevolutionäre Aktionsfeld
  • Imperiale Macht und Größe
  • Im Höhenrausch: der Erste Weltkrieg
  • Nach dem Krieg ist vor dem Krieg
  • Der nationalsozialistische Reichsadler
  • Im Orkus der Schande und des Vergessens
  • Anamnese
  • Apotheose

Horst Junginger: Der preußische Adler in der deutschen Herrschaftsgeschichte. Eine Vogelkunde aus religionspolitischer Sicht
Spector Books Leipzig
erscheint September 2021
ISBN 978-3-95905-539-0 

Online seit: 6. Mai 2021

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