„Der Geist von Potsdam“ gegen den „Geist von Weimar“

Matthias Grünzig

Zentraler Aufmarsch der reaktionären bündischen und nationalen Jugendverbände vor der Garnisonkirche in Potsdam (um 1930). Bundesarchiv 102-00774

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Die Potsdamer Garnisonkirche ist durch den „Tag von Potsdam“ weltbekannt geworden [1]. Weniger bekannt ist, dass die Garnisonkirche schon vor 1933 eine deutschlandweite Bedeutung hatte. Sie übte eine geradezu magnetische Anziehungskraft aus auf Nationalisten, Militaristen und Antisemiten aller Couleur. Mehr noch: die Potsdamer Garnisonkirche war der Symbolbau der extremen Rechten schlechthin. Hier fanden zwischen 1918 und 1933 über 80 politische Veranstaltungen statt, fast alle hatten  eine rechtsradikale Tendenz.[2] Kaum ein Gebäude wurde so verehrt wie die Potsdamer Garnisonkirche. Sie galt als „heiliger Ort der Erinnerung“, als „Heiligtum Preußen-Deutschlands“, als „nationales Heiligtum für jeden Preußen“, als „Wallfahrtsort aller national denkenden und fühlenden Kreise“, als „Wallfahrtsort von Millionen Deutscher“ und als „Pilgerstätte“, in der „die vaterländisch gesinnten Kreise sich Stärkung für den Kampf um das echte Deutschtum suchen“.[3] Ich will in meinem Vortrag darstellen, weshalb gerade die Potsdamer Garnisonkirche diese Karriere machte und welche Konsequenzen daraus erwuchsen.

Die Entstehung des „Geistes von Potsdam“

Der Ausgangspunkt dieser Karriere war eine Krise der nationalistischen und militaristischen Kräfte nach 1918. Der November 1918 war für diese Kräfte ein Trauma. Der Krieg war verloren, die vermeintlich unbesiegbare Armee war geschlagen, es folgte ein harter Friedensvertrag mit Gebietsabtretungen. Außerdem musste die Armee von einer Friedensstärke von 450.000 Mann auf 100.000 Mann reduziert werden.[4] Die Monarchie wurde gestürzt, die Macht wurde von den verhassten Sozialdemokraten übernommen. Und fast am schlimmsten war: der bewunderte Kaiser, dem sie die Treue bis in den  Tod geschworen hatten, floh wenig ruhmreich in die Niederlande. Damit war der Kaiser als Identifikationsfigur erledigt.[5]

Die neue Republik bezog ihre Legitimation aus der Distanzierung von der preußischen Militärtradition. Sie bezog sich auf den Geist von Weimar, also den Geist der Weimarer Klassik. Der Geist von Weimar stand für Demokratie, für Liberalität, für eine friedliche Außenpolitik. Dieser politische Mythos wurde auf der ersten Tagung der Nationalversammlung am 6. Februar 1919 im Deutschen Nationaltheater Weimar begründet. Hier hielt Reichskanzler Friedrich Ebert eine programmatische Rede:

„Die alten Grundlagen der deutschen Machtstellung sind für immer zerbrochen. Die preußische Hegemonie, das hohenzollernsche Heer, die Politik der schimmernden Wehr sind bei uns für alle Zukunft unmöglich geworden. Wie der 9. November 1918 angeknüpft hat an den 18. März 1848, so müssen wir hier in Weimar die Wandlung vollziehen vom Imperialismus zum Idealismus, von der Weltmacht zur geistigen Größe. (…) Jetzt muss der Geist von Weimar, der Geist der großen Philosophen und Dichter, wieder unser Leben erfüllen.“[6]

Der Geist von Weimar wurde in der Folgezeit der zentrale politische Mythos der Demokraten. Auf ihn beriefen sich die SPD, aber auch das Zentrum, die Deutsche Demokratische Partei und das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Er wurde in unzähligen Reden beschworen, und im Wahlkampf zur Reichspräsidentenwahl 1925 trat der demokratische „Bürgerblock“ mit der Losung „Der Geist von Weimar gegen den Geist von Potsdam“ auf.[7]

Die Nationalisten und Militaristen dagegen waren gezwungen, nach neuen Orientierungen zu suchen. Diese Aufgabe war alles andere als einfach: Das Kaiserreich war kein Vorbild mehr, denn es hatte auch in den Augen der Rechten versagt, schließlich konnte es die Revolution nicht verhindern. Der Kaiser hatte versagt, denn er war geflohen.[8] Eine Rettung in der Not bot der Rückgriff auf das alte Preußen, und zwar vor allem auf die Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II., also die Zeit von 1713 bis 1786. Diese Zeit war das Vorbild für den „Geist von Potsdam“, der dem „Geist von Weimar“ entgegengesetzt wurde.[9]

Der „Geist von Potsdam“ war ein Sammelsurium verschiedener Motive: Ein zentrales Motiv war eine Begeisterung für militärische Stärke. Preußen investierte gerade unter Friedrich Wilhelm I. exorbitante Summen in die Rüstung, 1740 wurden unvorstellbare 81 Prozent des Staatshaushaltes für das Militär ausgegeben.[10] Diese Politik wurde nun als vorbildlich gerühmt. Ein weiteres Motiv war eine antidemokratische Haltung und die Sehnsucht nach einem starken Führer. Vor allem Friedrich Wilhelm I. wurde als ein Führer gelobt, der das Land mit harter Hand regierte, der das ganze Volk zu „Manneszucht, Pflichttreue und Vaterlandsliebe“ erzog. Das dritte Motiv war die Begeisterung für kriegerische Eroberungen. Hier stand vor allem Friedrich II. Pate, der Schlesien eroberte.[11] Das Ganze wurde ergänzt um einen aggressiven Antisemitismus, der sich oft bis zur Mordhetze steigerte.[12]

Der „Geist von Potsdam“ war also vor allem eine Kampfansage an die Demokratie. Er enthielt aber auch Kritik am Kaiserreich. Das Kaiserreich war nach dieser Lesart zu liberal gewesen, es hatte die SPD und Gewerkschaften geduldet, es hatte gewisse Freiheiten der Presse und des Theaters toleriert. Diese Freiheiten hätten die Wehrkraft unterhöhlt und die Niederlage mit verursacht.[13] Aus dieser Weltsicht resultierten dann auch klare politische Forderungen: Das ersehnte neue Reich, das oft auch „Drittes Reich“ genannt wurde, sollte die vermeintlichen Fehler des Kaiserreiches nicht wiederholen. Gefordert wurde eine Beseitigung bürgerlicher Freiheiten, eine Zerschlagung der Demokratie, eine massive Aufrüstung und schließlich ein neuer Krieg, der Deutschland die Weltmachtrolle bringen sollte.

Dieser „Geist von Potsdam“ entwickelte sich zur ideologischen Klammer, die die unterschiedlichsten rechtsextremen Organisationen verband. Auf den Geist von Potsdam beriefen sich die Deutschnationale Volkspartei, die NSDAP, der Stahlhelm-Bund der Frontsoldaten, der Reichskriegerbund Kyffhäuser und viele andere Organisationen.[14]

Die Potsdamer Garnisonkirche und der „Geist von Potsdam“

Die Potsdamer Garnisonkirche stand wie kein zweites Bauwerk für den „Geist von Potsdam“. Sie wurde von dem bewunderten Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. erbaut, sie war untrennbar mit der preußischen Militärtradition verbunden.[15] Dazu kam eine Architektur, die unübersehbar einen Machtanspruch formulierte. Die Garnisonkirche war ein monumentaler Bau, der das Potsdamer Stadtbild beherrschte. Der 88 Meter hohe Turm war das höchste Gebäude Potsdams. Gleichzeitig trug der Turm ein militärisches Bildprogramm zur Schau. Darstellungen von Waffenbündeln, Gewehren, Helmen und Trophäen sollten die militärische Macht der Hohenzollern darstellen.[16] Schon diese Architektur machte deutlich, wer in Potsdam das Sagen hatte: der König und vor allem das Militär. Mit diesem Gebäude konnte man sehr gut Machtansprüche öffentlichkeitswirksam inszenieren.

In diesem Punkte unterschied sich die Potsdamer Garnisonkirche von anderen wichtigen Kirchen. Die Berliner Garnisonkirche war zwar pro forma die wichtigste Garnisonkirche Deutschlands, doch praktisch war sie ein bescheidenes Gebäude ohne Turm, das im Berliner Häusermeer nicht groß auffiel.[17] Der Berliner Dom war zwar ein imposantes Gebäude, doch hier fehlte ein militärisches Bildprogramm. Zudem wurde seine Architektur, die sich stark an die italienische Renaissance anlehnte, von vielen Rechtsradikalen als undeutsch verurteilt.[18]

Deshalb war es kein Wunder, dass die Potsdamer Garnisonkirche nach 1918 zu einem politischen Symbolbau ersten Ranges avancierte. Hier fand am 24. November 1919 die viel beachtete Gegenveranstaltung zur Tagung der Deutschen Nationalversammlung in Weimar statt.[19] Hauptredner war der Weltkriegsgeneral Erich Ludendorff, der damals eine wichtige Führungsfigur des rechtsextremen Lagers war. Ludendorff hielt eine programmatische Rede. Zunächst interpretierte er die Novemberrevolution auf seine Weise:

„Und welches war die Ursache dieses abgrundtiefen Unglücks? Wir wichen zur Genugtuung unserer Feinde von dem alten Preußengeist ab, der uns groß gemacht hat. (…) Die Selbstsucht überwucherte alles Edle im Volk, und kein Gärtner war da, der das Unkraut mit Stumpf und Stiel ausrottete. Und die anderen ließen es wachsen, statt es zu zertreten. Und daran meine verehrten Anwesenden, trägt ein jeder von Ihnen mit die Schuld!“

Dann entwickelte er ein politisches Programm, das auf die Errichtung einer Militärdiktatur hinauslief. Ein weiterer Redner war Johann Rump. Rump war ein nationalistischer Pfarrer, der später der NSDAP beitrat. Rump bezeichnete die Demokratie als „Irrweg“ und geißelte die „furchtbare Schande des Heute“. Seine Rede endete mit einer Prophezeiung:

„Auf den Winter deutscher Schmach wird der Frühling deutscher Herrlichkeit folgen“[20]

Hochverratsprozeß gegen die Teilnehmer am Münchener Putsch vom 9. November 1923; München 1924. Erich Ludendorff in der Mitte, neben ihm Adolf Hitler. Bundesarchiv 102-00344A

Der Aufstieg des deutschen Rechtsextremismus

In den Folgejahren spielte die Garnisonkirche eine zentrale Rolle für die Etablierung rechtsextremer Organisationen, und zwar in dreifacher Hinsicht:

Erstens diente die deutschlandweit bekannte Kirche als politische Bühne, auf der sich rechtsextreme Organisationen öffentlichkeitswirksam inszenieren konnten. Die Liste der Nutzer der Garnisonkirche liest sich wie das Who is Who des deutschen Rechtsextremismus. Dazu zählte die NSDAP, aber es gab noch viele andere rechtsextreme Organisationen, die heute fast vergessen sind, die aber für die Zerschlagung der Weimarer Republik eine wichtige Rolle spielten. Ein Beispiel ist die Deutschnationale Volkspartei, die bis 1930 die führende rechtsextreme Partei Deutschlands war. Ebenso wichtig war der „Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten“. Er war eine paramilitärische Wehrorganisation, die Uniformen trug, die Wehrübungen durchführte, die Waffen besaß und die einen gewaltsamen Sturz der Demokratie zum Ziel hatte. Gleichzeitig betrieb der Stahlhelm Boykottkampagnen gegen jüdische Unternehmen. Das weibliche Pendant zum „Stahlhelm“ bildete der Bund „Königin Luise“. Der  Reichskriegerbund „Kyffhäuser“ war eine Organisation, die den Krieg verherrlichte. Und der Alldeutsche Verband war eine antisemitische Denkfabrik, die schon in den zwanziger Jahren die Vernichtung der Juden propagierte. Diese Organisationen hielten in der Garnisonkirche zahlreiche Veranstaltungen ab, auf denen politische Propaganda getrieben wurde.

Ein Beispiel ist die Reichsgründungsfeier der Deutschnationalen Volkspartei am 18. Januar 1921. Hier hielt der ehemalige Hofprediger Johannes Vogel eine viel beachtete Rede. Zuerst beschäftigte er sich mit der Novemberrevolution:

„Börse, Bühne und Presse bereiten vergiftend dem Materialismus den Boden, die Stimmen der Verdrossenheit nehmen zu: Los von der Wahrheit! Das Hyänentum bringt den Zusammenbruch, die Krone fällt, der Pöbel steigt herauf – und heute: Welch´ ein Armenhaus und Irrenhaus! Welch´ ein Skandal in der ganzen Welt! Eine wahrhaft welthistorische Pleite! Ein großes Reich der Lüge!“

Dann kam er auf den Versailler Vertrag zu sprechen, der seiner Meinung nach auf Verräter im eigenen Land zurückging:

„Die schändlichsten Bestimmungen von Versailles, die uns die Lebensadern abschnüren – o dieses Mißtrauen! – unser Volk glaubt nicht, daß sie von unsern Feinden stammen. Der Judas ist´s im eigenen Lande, der uns verraten hat. Und alle erneuten Forderungen und Demütigungen, unser Volk glaubt es nicht, daß sie immer noch aus der Angst der Franzosen kommen, es ist bestellte Arbeit, der Judas ist´s im eigenen Lande, der fort und fort uns anzeigt und verrät!“

Schließlich endete er mit einem Ausblick in die Zukunft: 

„Ich liebe Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt! Ich liebe es darum, weil es das in einer sündigen, unvollkommenen Welt dennoch menschenmögliche Reich christlicher Wahrheit und sozialer Liebe sein will. Ja, dann wird am deutschen Wesen noch einmal die Welt genesen – aber erst innerlich selbst genesen sein als Jünger und Jüngerin im Reiche der Wahrheit! Amen.“[21]

Dieser Tenor setzte sich bei Veranstaltungen in den folgenden Jahren fort. So erklärte der deutschnationale Politiker Reinhold Seeberg auf einer Veranstaltung am 9. November 1930:

„Am Gedenktage von Langemarck richten wir auch den Blick auf andere Novembertage, auf die von 1918 und die ihnen folgenden Zeiten, da Deutschland verstümmelt, geschändet, verhöhnt und ausgepreßt wurde. Diese Zeiten sind noch nicht überwunden, und um unser Volk aus der Verderbnis herauszuleiten, bedarf es der Führer, die erfüllt sind von jenem echt vaterländischen Geist, der in den Tagen von Langemarck unser Volk durchzog.“

Anschließend erhoben sich die Versammelten und sprachen einen Schwur aus:

„Am Tage der 16. Wiederkehr des großen Tages von Langemarck, an dem Deutschlands beste Söhne mit dem Deutschlandlied auf den Lippen für Volk und Vaterland in den Tod gegangen sind, gedenkt die deutsche akademische Jugend ihrer gefallenen Brüder in Stolz und Trauer und gelobt, ihnen nachzuleben in der Pflichterfüllung bis zum Letzten, in der selbstlosen opferbereiten Hingabe für Volk und Vaterland.“[22]

Ebenso wichtig wie die Reden war der äußere Rahmen. Die Veranstaltungen begannen meist mit dem Einmarsch von Fahnenträgern, die im Altarraum Aufstellung nahmen. Die Predigt hielten oft Pfarrer, die Mitglied im Stahlhelm waren, diese traten dann in Stahlhelm-Uniform an die Kanzel.[23] Zum Standardprogramm gehörte das Absingen nationalistischer Lieder. Mehrfach wurden auch Fahnenweihen durchgeführt. Nach der Veranstaltung fanden dann häufig Aufmärsche in der Breiten Straße statt. Eine wichtige Rolle spielte zudem das Glockenspiel: Auf ihm wurden nationalistische Lieder, wie „Die Wacht am Rhein“, „Siegreich woll´n wir Frankreich schlagen“ oder das „Westpreußenlied“ gespielt. Diese Lieder waren dann in der ganzen Stadt zu hören.

Die demokratisch gesinnten Schwarz-Rot-Goldenen Verbände des Reichsbanne – hier bei einem Aufmarsch in Potsdam Oktober 1924 – hatten keine Verbinudng zur Ganrisonkirche. Bundesarchiv 102-00774

Im Gegenzug gab es zwischen 1918 und 1933 in der Garnisonkirche keine einzige Veranstaltung einer explizit demokratischen Organisation. Es gab keine Veranstaltungen der SPD, des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, des demokratische Sport- und Kulturkartells Potsdam oder des Gewerkschaftskartells Potsdam.

Die Garnisonkirche hatte aber auch noch eine zweite Funktion: Sie diente als Integrationsfaktor für das rechtsextreme Lager. Viele Veranstaltungen boten ein Aufmarschfeld für die unterschiedlichsten rechten Organisationen. Beispiele waren die Heldengedächtnisfeiern, die jedes Jahr Ende Februar / Anfang März stattfanden oder die Altveteranentage, die rund um den 2. September stattfanden. Dort marschierten Fahnendelegationen der unterschiedlichsten rechtsextremen Organisationen auf, die Fahnenträger nahmen im Altarraum Aufstellung und demonstrierten damit ihre Eintracht.

Dazu kam, dass die Pfarrer, die an der Garnisonkirche tätig waren, ihre Bekanntheit für eigene politische Aktivitäten nutzten. Ihr Hauptanliegen war dabei die Vernetzung der rechtsextremen Organisationen im Sinne einer rechten Einheitsfront. Ein Beispiel ist Johannes Vogel. Vogel war bis 1918 Hofprediger Wilhelms II., anschließend wurde er Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei.[24] Gleichzeitig bemühte er sich um gute Kontakte zur NSDAP. Beispielsweise führte er am 13. März 1926 eine Fahnenweihe der NSDAP durch. Auf dieser erklärte er, dass das Hakenkreuz den Bund des alten Germanentums mit der christlichen Kirche verkörpern würde. Bei dieser Fahnenweihe marschierten dann auch Ehrenformationen der Deutschnationalen Volkspartei und des Stahlhelm auf, um die Eintracht im rechten Lager zu demonstrieren.[25] Auch später trat Johannes Vogel auf Wahlveranstaltungen der NSDAP auf.[26]

Ein anderes Beispiel ist Curt Koblanck. Koblanck war bis zur Revolution ein kaisertreuer Garnisonpfarrer. Später pflegte er freundschaftliche Beziehungen zu den unterschiedlichsten rechten Organisationen.[27] Er unterstützte den Stahlhelm finanziell[28], gleichzeitig trat auch er auf NSDAP-Veranstaltungen auf. Auf einer Wahlkampfveranstaltung der NSDAP am 20. November 1932 rief er die Anwesenden zum Kampf gegen die Demokratie auf. Er erklärte: „Wir wollen die Schwerter nicht einrosten lassen, sondern auf Posten stehen.“[29]

Es gibt noch eine dritte Funktion, die die Garnisonkirche ausfüllte: Sie war ein wichtiges Verbindungsglied zwischen rechtsextremen Organisationen und Teilen der Reichswehr. Hintergrund war auch hier wieder der Geist von Potsdam. Dieser Geist war für große Teile der Reichswehr wichtig, die von Offizieren der alten kaiserlichen Armee dominiert wurde. Das galt ganz besonders für die Stadt Potsdam. Hier war das Infanterieregiment 9 stationiert, das die Tradition des 1. Garde-Regiments zu Fuß, also des preußischen Elite-Regiments, fortsetzte. Dieses Regiment war wegen seiner demokratiefeindlichen Gesinnung berüchtigt.[30]

Folgerichtig fanden in der Garnisonkirche zahlreiche Veranstaltungen statt, bei denen Abordnungen der Reichswehr und rechtsextremer Organisationen gemeinsam auftraten. Ein Beispiel waren die jährlichen Heldengedächtnisfeiern, weitere Anlässe boten die Geburts- und Sterbetage Friedrichs II.. Daneben gab es in der Garnisonkirche Veranstaltungen militärischer Veteranenverbände, die von Vertretern der Reichswehr und Rechtsextremisten besucht wurden. Die Folge war eine zunehmende Zusammenarbeit. Beispielsweise wurden 1932 auf dem Truppenübungsplatz Döberitz wöchentlich Wehrausbildungen mit der SA und dem Stahlhelm durchgeführt.[31]

Der demokratische Widerstand

Wie reagierten nun die demokratischen Organisationen auf diese Entwicklung? Vor allem die SPD, das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und die Gewerkschaften führten einen engagierten und mutigen Kampf gegen den „Geist von Potsdam“. Sie organisierten immer wieder Gegenveranstaltungen, in denen der „Geist von Potsdam“ verurteilt wurde. Beispielsweise erklärte der SPD-Politiker Johannes Stelling auf einer Kundgebung am 26. Oktober 1924:

„Dem Geist von Potsdam (…) setzen die Republikaner den Geist von Weimar entgegen. Dem Geist, der sich in Obrigkeitsstaat, in Rache, in Kastengeist und in der Reaktion verkörpert, stellt der Republikaner den Geist der Nächstenliebe, den Geist der Kultur, den Volksstaat und das gleiche Recht für alle entgegen. Im Weimarer Geist wollen wir kämpfen mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln. Wir wollen werben um die Herzen und die Seele der Wankenden und wollen uns rüsten zur Abrechnung mit den Feinden von Fortschritt und Kultur.“[32]

Am 9. Oktober 1927 forderte der SPD-Politiker Robert Schmidt:

„Potsdamer Geist ist Rückschritt! (…) Weg mit diesem Geist! Vorwärts für das neue Deutschland, dessen Träger das Volk ist.“[33]

Am gleichen Tag erklärte der Zentrumspolitiker Carl Spiecker:

„Der Geist von Potsdam ist durch den Geist von Weimar überwunden worden. Ueber Preußen hat Deutschland gesiegt.“[34]

Eine wichtige Rolle im Kampf gegen den „Geist von Potsdam“ spielte das „Potsdamer Volksblatt“. Das Potsdamer Volksblatt war eine SPD-Zeitung, die die rechtsextremen Umtriebe entschieden bekämpfte. Diese Zeitung verurteilte regelmäßig die Veranstaltungen in der Garnisonkirche. Eine Rede von Johannes Vogel bei einer Fahnenweihe am 14. November 1924 bezeichnete die Zeitung als einen „Skandal ohnegleichen“. Die Zeitung brandmarkte, dass Vogel „in einem wohl selten erreichten Maße die Kirche zum politischen Versammlungslokal erniedrigt und einen Bibeltext zu hetzerischen Ausfällen gegen die republikanische Staatsverfassung mißbraucht“ hätte.[35] Ebenfalls 1924 heißt es:

„Der Alt-Potsdamer Geist droht wieder aufzuerstehen. Was bedeutet das? Außenpolitisch: die Ablehnung jeder Verständigung, die Wiedergeburt des Säbelgerassels, welches die Vorkriegszeit beherrschte, (…) und damit neues Unglück über unser Volk. Innnenpolitisch: die Zerschmetterung der Republik, die vollständige Herrschaft der Militärwillkür und die Unterdrückung jeder freiheitlichen Regung.“[36]

1932 forderte das Potsdamer Volksblatt:

„Den Kriegshetzern hüben und drüben gilt der Kampf der organisierten Arbeiterschaft. Möge dieser Kampf sich so stark entfalten, daß es zu einem neuen, alles bisherige in den Schatten stellenden gegenseitigen Abschlachten der Völker nicht mehr kommt. (…) zeugt endlich das Leben und mordet den Krieg.“[37]

Letztendlich konnte dieser Kampf den Weg in die Diktatur nicht aufhalten. Die letzte Kundgebung der SPD in Potsdam fand am 12. Februar 1933 statt. Auf dieser sprach Erich Kuttner:

„Der „Geist von Potsdam“ feiert wieder Triumphe. An das Volk tritt die Frage heran, ob es sich den Terroristen beugen will oder ob es soviel Mannesmut besitzt, um Widerstand zu leisten.“[38]

Nach der Kundgebung begannen Einheiten der SA- und des Stahlhelm, die Teilnehmer zu verprügeln. Und Erich Kuttner wurde, wie so viele andere auch, am 6. Oktober 1942 im Konzentrationslager Mauthausen ermordet.

Die große Kyffhäuser-Parade in Potsdam, fand unter Beteiligung der Reichswehr und aller nationaler Verbände, vor der historischen Garnisonkirche am 2. Juli 1933 statt ! Der Reichswehrminister v. Blomberg, (links Mitte im Stahlhelm) und der Präsident des Kyffhäuserbundes, General der Artillerie von Horn, neben dem Reichswehrminister, nehmen auf der Ehrentribüne vor der Garnisonkirche den großen Vorbeimarsch der Reichswehr und der nationalen Verbände ab. Bundesarchiv 102-14740

Fazit

Mein Fazit lautet: Die Potsdamer Garnisonkirche war mit dem Aufstieg des Rechtsextremismus in Deutschland auf das engste verbunden. In der Garnisonkirche wurde sichtbar, dass der Rechtsextremismus eben nicht nur aus der NSDAP bestand, sondern dass er eine viel breitere Strömung war. Dabei waren die Grenzen zwischen den einzelnen rechtsextremen Organisationen fließend. In der Garnisonkirche wurde der Nährboden bereitet, auf dem schließlich das Dritte Reich entstehen sollte.

Matthias Grünzig, geb. 1969 in Berlin, Literatur- und Theaterwissenschaftler, Journalist und Buchautor. 2017 publiziert er das Buch: „Für Deutschtum und Vaterland: Die Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert“

Anmerkungen

[1] Vortrag auf der Tagung „Das Projekt Garnisonkirche“ in Potsdam am 18.3.2017
[2] vgl. Matthias Grünzig: Für Deutschtum und Vaterland, Berlin 2017, S. 129-140.
[3] Dem Gedächtnis der Kaiserin, in: Potsdamer Tageszeitung, 23.10.1928; 200 Jahre Potsdamer Garnisonkirche, in: Potsdamer Tageszeitung, 30.7.1932; Hans Zappe: Das Soldatenherz des Preußentums, in: Der Tag, 31.7.1932; Das Erinnerungsfest der Deutschen Burschenschaft in Potsdam, in: Potsdamer Tageszeitung, 15.6.1925; 200-Jahrfeier der Garnisonkirche, in: Potsdamer Tageszeitung, 1.8.1932; Zweihundertjahrfeier der Potsdamer Garnisonkirche, in: Reichsbote, 29.7.1932.
[4] Johannes Erger: Der Kapp-Lüttwitz-Putsch, Düsseldorf, 1967, S. 50.
[5] Erich Ludendorff: Meine Kriegserinnerungen 1914-1918, Berlin, 1940, S. 216.
[6] Friedrich Ebert: Schriften, Aufzeichnungen, Reden. Mit unveröffentlichten Erinnerungen aus dem Nachlaß, Zweiter Band, Dresden, 1926, S. 155 f..
[7] Anzeige, in: Potsdamer Volksblatt, 17.4.1925.
[8] vgl. Stephan Malinowski: Vom König zum Führer, Deutscher Adel und Nationalsozialismus, Frankfurt / Main, 2004, S. 229; 27. Januar, in: Der Stahlhelm, Nr. 3, 1.2.1921, S. 1; Kaiserin Auguste Viktoria +, in: Der Stahlhelm, Nr. 8, 15.4.1921, S. 1; 1919, in: Alldeutsche Blätter, Nr. 1, 4.1.1919, S. 1 f.; Der Sieg des Judentums, Kreuzigung und Auferstehung des deutschen Geistes, in: ebenda, Nr. 27, 5.7.1919, S. 213-216.
[9] Preußen und das Alldeutschtum, in: Alldeutsche Blätter, Nr. 50, 13.12.1919, S. 417 ff..
[10] Hans J. Hillerbrand: Das Bündnis zwischen Thron und Altar, 1688-1740, in: Julius H. Schoeps (Hrsg.): Preußen, Geschichte eines Mythos, Berlin, 2001, S. 36.
[11] Gedächtnisfeier in der Garnisonkirche, in: Potsdamer Tageszeitung, 25.11.1919; Frontsoldatentag und Reichsgründungsfeier, in: Der Stahlhelm, Nr. 3, 1.2.1921, S. 26.
[12] z.B. Deutsch sollst Du leben, in: Deutsch-Nationale Zeitung, Nr. 1, 1.10.1919; Versammlung des Bezirks I Berlin, am Freitag, dem 19. September 19, abends halb 8 Uhr, im großen Saal des Böhmischen Brauhauses, in: ebenda; Die Ursache des Zusammenbruchs, in: Alldeutsche Blätter, Nr. 4, 25.1.1919, S. 28; Der Sieg des Judentums, Kreuzigung und Auferstehung des deutschen Geistes, in: ebenda, Nr. 27, 5.7.1919, S. 213-216.
[13] z.B. Grümold: Die Idee des Stahlhelm zur Zeit der Wahl, in: Stahlhelm Nr. 11, 1.6.1920; August Eigenbrodt: Der fehlerhafte Kreis unserer Politik seit Beginn der neunziger Jahre, in: Alldeutsche Blätter, Nr. 37, 13.9.1919, S. 311 f..
[14] z.B. Tagung des Gesamtvorstandes des Alldeutschen Verbandes in Potsdam am 18. Mai 1930, in: Alldeutsche Blätter, Nr. 11, 24.5.1930, S. 81; Die Mobilmachung der Stahlhelmer, in: Potsdamer Tageszeitung, 7.5.1927; Landesverbandstag des Bundes „Königin Luise“ in Potsdam, in: Potsdamer Tageszeitung, 25.6.1929; Feststunden im Luftschiffhafen, in: Potsdamer Tageszeitung, 15.6.1928; Die Potsdamer Stahlhelmtage, in: Potsdamer Tageszeitung, 9.5.1927.
[15] Hartmut Rudolph: Die Potsdamer Hof- und Garnisongemeinde, in: Bernhard R. Kroener (Hg.): Potsdam, Staat, Armee, Residenz in der preußisch-deutschen Militärgeschichte, Frankfurt/Main, Berlin, 1993, S. 218.
[16] Ludwig Bamberg: Die Potsdamer Garnisonkirche, Berlin, 2006, S. 85-90.
[17] Barbara Kündiger, Dieter Weigert: Der Adler weicht der Sonne nicht – 300 Jahre Berliner Garnisonkirche, Berlin, 2004.
[18] Ernst Badstübner: Der Berliner Dom – zur Bedeutung seiner Baugestalt und seines bildkünstlerischen Schmucks, in: Der Berliner Dom, Zur Geschichte und Gegenwart der Oberpfarr- und Domkirche zu Berlin, Berlin 2001, S. 81-89
[19] Ludendorff in der Potsdamer Garnisonkirche, in: Germania, Nr. 544, 26.11.1919; Ludendorff in Potsdam, in: Germania, Nr. 545, 27.11.1919; Das Kultusministerium gegen die Potsdamer Totenfeier, in: Berliner Lokal-Anzeiger, 26.11.1919; Eine Kundgebung in der Garnisonkirche zu Potsdam, in: Tägliche Rundschau, 25.11.1919; Neue Ludendorff-Demonstration, in: Vorwärts, Nr. 604, 26.11.1919.
[20] Gedächtnisfeier in der Garnisonkirche, in: Potsdamer Tageszeitung, 25.11.1919, Eine Kundgebung in der Garnisonkirche zu Potsdam, in: Tägliche Rundschau, 25.11.1919; zur Rolle Johann Rumps während der NS-Zeit: Werner Bethge: Evangelische Christen zwischen Anpassung und Opposition, Band II: Evangelische Christen in Potsdam und Nowawes/Babelsberg im Spannungsfeld zwischen politischer Gleichschaltung und Selbstbehauptung, 1935-1945, Potsdam, 1996, S. 10 f..
[21] Johannes Vogel: Predigt bei der 50jährigen Gedenkfeier an die Aufrichtung des Neuen Deutschen Reiches gehalten in der Garnisonkirche zu Potsdam am 18. Januar 1921, Potsdam, 1921.
[22] Heldentag in der Garnisonkirche, in: Potsdamer Tageszeitung, 10.11.1930.
[23] Deutsche Zeitung, 30.6.1929.
[24] Bezirksgruppe Brandenburger Vorstadt der DNVP, in: Potsdamer Tageszeitung, 11.3.1933.
[25] Schreiben Betr. Deutscher Abend in Potsdam am 13.3.26 von Ernst H. Overmann (Berliner Gaugeschäftsführer der NSDAP) an Gau Groß-Berlin, Leitung der NSDAP, Bezirksgruppe Potsdam vom 26.3.1926, BArch, NS 36/10.
[26] z.B. Anwesend Hofprediger Dr. Vogel, in: Potsdamer Volksblatt, 22.12.1932.
[27] Briefwechsel siehe DstA, Po-G 85/223, Po-G 153/237, Po-G 331/333.
[28] Schreiben vom 26.9.1931 von Stahlhelm an Curt Koblanck, DstA, Po-G 153/237.
[29] Der Leser will wissen, in: Potsdamer Volksblatt, 26.11.1932.
[30] Wolfgang Paul: Das Potsdamer Infanterieregiment 9 1918-1945, Osnabrück, 1983, S. 41, 457; O Deutschland, hoch in Ehren!, in: Potsdamer Volksblatt, 29.3.1924; Die republikanische Reichswehr, in: Potsdamer Volksblatt, 24.8.1925; Um die politische Neutralität der Reichswehr, in: Potsdamer Volksblatt, 28.11.1932.
[31] Naziausbildung in Döberitz, in: Potsdamer Volksblatt, 10.2.1932; G.V.A. und Deutscher Volkssportverein, Rep. 2A I Pol. 1104, Bl. 374-391; Schreiben Betrifft: Staatsfeindliches Treiben politischer Verbände auf dem Truppenübungsplatz Döberitz von Ehrig (Amtsvorsteher des Amtsbezirks Dallgow) an den Landrat in Nauen vom 26.1.1932, BLHA, Rep. 2A I. Pol. 1104 Bl. 363 f.; Schreiben Betrifft: Geländesport auf dem Truppenübungsplatz Döberitz, Kreis Osthavelland von Siering (Landrat Osthavelland) an den Preußischen Minister des Innern vom 4.2.1932, BLHA, Rep. 2A I. Pol. 1104 Bl. 367; Der Regierungspräsident von Potsdam: Vermerk vom 6.2.1932, BLHA, Rep. 2A I. Pol. 1104 Bl. 372 f.; Schreiben von Siering (Landrat Osthavelland) an den Preußischen Minister des Innern vom 7.11.1931, BLHA, Rep. 2A I Pol. 1109, Bl. 302; Eine merkwürdige Reichswehr-Uebung, in: Volkswacht, 23.4.1932; Schreiben von Landrat Jüterbog-Luckenwalde an den Regierungspräsident von Potsdam vom 25.4.1932, BLHA, Rep. 2A I Pol. 1030, Bl. 169.
[32] Ein Sonntag der Republik, in: Potsdamer Volksblatt, 27.10.1924.
[33] Schwarz-Rot-Gold marschiert in Potsdam, in: Potsdamer Volksblatt, 10.10.1927.
[34] Die Zentrumsrede am Potsdamer Reichsbannertage, in: Potsdamer Volksblatt, 17.10.1927.
[35] Ein Potsdamer Vogel-Hetzlied. Unerhörter Mißbrauch der Kanzel, in: Potsdamer Volksblatt, 24.11.1924.
[36] Alt-Potsdamer Geist, in: Potsdamer Volksblatt, 4.6.1924.
[37] Bomben und Giftgas über Potsdam, in: Potsdamer Volksblatt, 30.9.1932.
[38] Die Sozialdemokraten eröffnen den Wahlkampf, in: Potsdamer Volksblatt, 16.2.1933.

Online seit: 21. Mai 2020

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