Der Garnison- und Hofprediger Max Schmidt. Von den Kolonialkriegen nach Potsdam und Leipzig

Hermann Düringer

Max Schmidt, 1864 - 1925

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Der Militärpfarrer und Hofprediger Max Schmidt[1] war nach seiner Tätigkeit als Feldprediger in den Kolonialkriegen in China und Südwest-Afrika von 1906 bis 1911 an der Garnisonkirche in Potsdam tätig; zunächst als Garnisonspfarrer, ab 1908 auch als kaiserlicher Hofprediger für die Zivilgemeinde zuständig.

Max Schmidt wurde 1864 in Stargard (Pommern) geboren. Nach seinem Theologiestudium, das er 1881 begann, arbeitete er zunächst als Privatlehrer an verschiedenen Stellen in Brandenburg, Sachsen und Schleswig-Holstein, bevor er ab 1889 als Lehrer tätig war, in Neustrelitz und in Schönberg bei Travemünde. 1892 trat er für vier Jahre die Stelle des Hilfspredigers und Militärgeistlichen in Neustrelitz an. 1896 wurde Schmidt als Divisionspfarrer nach Düsseldorf berufen und noch im gleichen Jahr nach Breslau versetzt. 1899 war er als Militärgeistlicher in Berlin, von wo aus er 1900-1901 als Felddivisionspfarrer das ostasiatische Expeditionskorps zur Niederschlagung des sog. Boxer-Aufstands in China begleitete.[2] Zurück, wurde er im Dezember 1901 Divisionspfarrer in Braunschweig.

Vom Sommer 1904 bis zum Sommer 1905 nahm Schmidt als Feldprediger an dem Feldzug der deutschen „Schutztruppe“ gegen die Hereros und Namas in Südwest-Afrika teil. 1906 wurde Max Schmidt Garnisonpfarrer der 1. Garde-Division an der Hof- und Garnisonkirche Potsdam, ab 1908 auch Hofprediger für die zivile Gemeinde. Ende 1911 wechselte er an die St. Nicolai-Kirche in Leipzig. Mit Unterbrechung des 1. Weltkriegs, den er noch einmal als Militärpfarrer mitmachte, blieb er bis zu seiner Pensionierung 1924 in Leipzig. Max Schmidt starb am 9. Oktober 1925.

Max Schmidts erste Buchveröffentlichung, der weitere folgten

Teilnahme als Feldgeistlicher am Kolonialkrieg gegen die Hereros und Namas in Südwest-Afrika 1904-1905

In der Person des Militärpfarrers Max Schmidt verknüpft sich die Geschichte der Potsdamer Garnisonkirche mit der Geschichte des deutschen Kolonialismus in Südwest-Afrika, genauer: mit der Geschichte des mörderischen Kolonialkriegs gegen Hereros und Namas 1904/1905. Nach seiner Rückkehr 1905 hat Schmidt seine Erfahrungen ausführlich niedergeschrieben und unter dem Titel „Aus unserem Kriegsleben in Südwest-Afrika“ [3] veröffentlicht.

Geradezu sehnsüchtig hatte Schmidt darauf gehofft und gewartet, das neugebildete 2. Feldregiment zur Unterstützung der Schutztruppe nach Südwestafrika begleiten zu dürfen, wo sich seit Januar 1904 die indigenen Hereros gegen die deutsche Kolonialmacht erhoben hatten. „Über die Schwere des südwestafrikanischen Aufstandskrieges konnte man sich … nicht hinwegtäuschen. Aber das Gebot des Gewissens sprach vernehmlich genug: Der Mann und der Christ gehören dahin, wo sie am allernötigsten sind.“ (3) Ca. fünf Wochen nach den Bataillonen des Feldregiments „durfte“ Schmidt, beauftragt vom Kriegsministerium, mit dem nächsten Post-Dampfer am 5. Juli hinterherreisen.

Schon die Sprache, die Schmidt für den Titel seines Buches wählte: „Aus unserem Kriegsleben“ lässt erkennbar werden, was bei der Lektüre immer deutlicher wird: Der Pfarrer Schmidt empfand sich als Teil der kämpfenden Truppe. Er trug die Uniform der „Schutztruppe“. Die Armbinde mit dem roten Kreuz führte er mit sich, aber trug sie nicht.  „Da von aufständischen Eingeborenen keine Rücksicht auf das rote Kreuz zu erwarten stand, waren auch wir mit Gewehr und Patronengurt, sowie mit einer Browning-Pistole bewaffnet.“ (5)[4]

Am 1. August kam Schmidt in Südwest-Afrika an, die kämpfende „Schutztruppe“ erreichte er erst am 15. August, vier Tage nach der sogenannten Schlacht am Waterberg. Die Hereros nennen sie: Schlacht am Ohamakari. Schmidt schreibt: „Zum Waterbergtage waren wir also zu spät gekommen. Das schmerzte…“

Der Waterbergtag war der 11. August 1904. Der Kommandeur der Kolonialarmee, Lothar von Trotha, war entschlossen – und darin eines Sinnes mit dem Chef des kaiserlichen Generalstabs Alfred von Schlieffen und Kaiser Wilhelm selbst – an diesem Tag die Hereros vernichtend zu schlagen. Wie entschlossen er war, mögen Äußerungen von ihm belegen: „Gewalt mit krassem Terrorismus und selbst mit Grausamkeit auszuüben, war und ist meine Politik. Ich vernichte die aufständischen Stämme in Strömen von Blut und Strömen von Geld. Nur auf dieser Aussaat kann etwas Neues entstehen.“

Am Waterberg siegten zwar seine Truppen, aber doch nicht vollständig. Die Hereros konnten entkommen, und sie flohen zur Trockensteppe der Omahake. Damit wollte von Trotha sich nicht zufriedengeben. Mit seiner Truppe verfolgte er die fliehenden Hereros, inklusive Frauen und Kinder ca. 80.000 Personen, davon etwa 8.000 Kämpfer. Er trieb sie immer weiter in die Wüste und schnitt sie von den wenigen umliegenden Wasserstellen ab, sodass 60- bis 70tausend Hereros, drei Viertel des Hererovolkes verschmachteten und verdursteten.

In seinem berüchtigten „Aufruf an das Volk der Herero“ hatte von Trotha unmissverständlich klargemacht, dass er an seiner Absicht, die Hereros zu vernichten, festhielt: Abschrift zu O.K. 17290 Osombo-Windembe, den 2. Oktober 1904. Kommando der Schutztruppe. J.Nr. 3737.
Ich, der große General der deutschen Soldaten, sende diesen Brief an das Volk der Herero. Die Hereros sind nicht mehr deutsche Untertanen. Sie haben gemordet und gestohlen, haben verwundeten Soldaten Ohren und Nasen und andere Körperteile abgeschnitten, und wollen jetzt aus Feigheit nicht mehr kämpfen. Ich sage dem Volk: Jeder der einen der Kapitäne an eine meiner Stationen als Gefangenen abliefert, erhält 1000 Mark, wer Samuel Maharero bringt, erhält 5000 Mark. Das Volk der Herero muß jedoch das Land verlassen.
Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem Groot Rohr dazu zwingen. Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen. Dies sind meine Worte an das Volk der Hereros.
Der große General des mächtigen deutschen Kaisers.

Und in einem Brief an den Generalstabschef Graf Alfred von Schlieffen, drei Tage später, vom 5.10.1904 hatte er seine Absicht bekräftigt: „Ich glaube, dass die Nation als solche vernichtet werden muss.“[5] Dieses Vorgehen der kaiserlichen Schutztruppe unter Führung Lothar von Trothas gilt heute als der erste Völkermord des 20. Jhdts.

Max Schmidt als Feldprediger bei den „Schutztruppen“ in Deutsch-Südwest

Wie spiegeln sich diese Ereignisse in Schmidts Erinnerungen?

Dass und wie Hereros am Waterberg gelitten haben und umgekommen sind – und es waren, wie gesagt, nicht nur Soldaten, sondern Männer, Frauen und Kinder –, findet bei Schmidt keine Erwähnung. Dass aber acht Reiter der Kolonialtruppe getötet und ihre Leichen geschändet wurden, wird nicht nur beklagt und betrauert, das wäre selbstverständlich, sie werden aber mit biblischen Worten zu „Blutzeugen der Soldatentreue“ hochstilisiert. Auch wird das Leben und Sterben der deutschen Soldaten (Schmidt nennt sie gerne „Krieger“) zu einem religiösen Akt erklärt, vergleichbar mit dem Sterben von Menschen, die wegen ihrer religiösen Überzeugung ermordet werden. So verwendet er für sein Lamento über den Tod der deutschen Soldaten Formulierungen aus dem neutestamentlichen Hebräerbrief (Hebr. 11,36f): „Mit den Blutzeugen der Soldatentreue ist’s eben nicht anders, als wenn Gottes Wort von den Märtyrern des Glaubens spricht: ‚Sie wurden gesteinigt, zerhackt, zerstochen, durchs Schwert getötet; sie sind umhergegangen mit Mangel, mit Trübsal, mit Ungemach und sind im Elend gegangen in den Wüsten, auf den Bergen und in den Klüften und Löchern der Erde.‘“ (25)

Bibelzitate, Predigtsprache und Beschreibung des Kriegsverlaufs werden zu einer fatalen Einheit, ja der Krieg selbst wird zur Predigt, wie Schmidt es später bei seiner Einführungspredigt in die zivile Leipziger Nicolaigemeinde ausgedrückt hat. Er berichtet von seinen Gottesdiensten als Feldprediger in China und Südwestafrika und fragt: „Wollt ihr mit kurzen Worten hören, warum solche Gottesdienste in Kriegszeiten so köstlich sind? Weil dann ganze Scharen deutlicher als sonst erleben, wie der lebendige Gott selber zu reden beginnt.“

Die Verfolgung der Hereros nach den Kämpfen am Waterberg zog sich hin: „unsere Märsche führten zunächst noch wochenlang durch die dichtbestandene Weide- und Baumsteppe des alten Hererogebiets (26) … So marschierten, biwakierten, verfolgten wir wochen- und monatelang (27)“ in der Erwartung „wenn die Schwarzen sich nur zur letzten Entscheidung stellen wollten oder einholen ließen!“(28)  Wo immer kleine Gruppen der Hereros an Wasserstellen angetroffen wurden, werden sie erschossen, gefangen oder vertrieben.

In diesem Zusammenhang berichtet Schmidt auch von einem geradezu menschlichen Umgang mit gefangenen Hereros, der im krassen Widerspruch zu den Anweisungen und Befehlen von Trothas steht: „Die Gefangenen wurden vernommen, aber ihnen kein Haar gekrümmt – genau wie ich’s stets in diesen Wochen erlebt habe. Ich sah sogar, dass abgehungerte Gefangene gesättigt, und wenn es Weiber oder ältere Männer waren, unbehelligt entlassen, ja vor der Hinterlist unserer eingeborenen Treiber und Bambusen, die den Gefangenen solche Schonung missgönnten, mit allem Nachdruck geschützt wurden.“(37)[6]

Jacob Morenga (Herero)

Aber auch hier wird die Wohltat der Weißen noch mit der Amoralität der Schwarzen verrechnet. Vielleicht treten in dieser Schilderung auch Meinungsverschiedenheiten im Umgang mit der indigenen Bevölkerung zutage, die es zwischen dem Kommandeur von Trotha und den nachgeordneten Offizieren Deimling und von Estorff gab, die das Machtgebaren und die Brutalität von Trothas ablehnten. Zu diesen überlieferten Spannungen gibt es bei Schmidt keine direkten Hinweise. Wenn man aus anderen Quellen weiß, dass es diese Spannungen gab, kann man in Andeutungen eine größere atmosphärische Nähe Schmidts zu Deimling und Estorff deuten.

Von Trothas „Aufruf an das Volk der Hereros“, den ich oben zitiert habe, erwähnt Schmidt in einer Eintragung zum 1.Oktober: „Wollten die immer weiter Fliehenden sich zu keinem Kampfe mehr stellen, so mussten ihre öden Zufluchtsstätten im Osten ihre letzte Kraft brechen. Diese Lage beschloss General von Trotha durch einen scharfen Aufruf zu einem Druck auf die Hereros auszunutzen; sie sollten die Ergebung dem sicheren Verderben vorziehen. Unsere Truppen wurden zur Besetzung der besten Wassergebiete auseinandergezogen, um ein Zurückfluten der Hereros möglichst zu verhindern.“ (55f)

Schmidt resümiert dann noch, es seien harte Gewaltmärsche gewesen, auf denen man die „bestürzten Aufständischen“ selbst von den letzten Wasserstellen vertrieben habe. Sie hätten „die allerletzte Kraft von Ross und Reiter verlangt, aber dadurch sei ein durchschlagender Erfolg erzielt worden.“(56) Die Ungeheuerlichkeit des Aufrufs von Trothas und die Folgen der Vertreibung der Hereros in die wasserlose Wüste kommt Schmidt offensichtlich nicht zu Bewusstsein, bzw. er schildert die Vorgehensweise und das massenhafte Sterben der Herero-Zivilbevölkerung so, als habe sie auch sein volles Einverständnis gehabt.

Auch im Nachhinein, d.h. beim Schreiben seines Buches sind Schmidt offensichtlich keine Skrupel gekommen. Nach der Schilderung der tödlichen Ankündigung von Trothas, das Volk der Hereros zu vernichten, folgt zunächst eine pittoreske Beschreibung für „die in der Heimat“ von den Kampfplätzen und Landschaften im exotischen Afrika,  und schließlich folgt ein Bericht des Feldgottesdienstes[7] an jenem 2.Oktober, in dem „am Schluss der Feier Exz. von Trotha das Wort zur Ansprache an die versammelte Truppe nahm, diese gemeinsamen Vorstöße und zugleich den Herero-Feldzug mit einem Hurra auf den Kaiser schließend.“ (58)

Hinrichtung von Kriegsgefangenen in Deutsch-Südwestafrika, um 1905/ 1906. Bidl aus: Der Völkermord in Deutsch-Südwestafrika. Der Kolonialkrieg (1904 – 1908) in Namibia und seine Folgen. Hg. von Jürgen Zimmerer und Jochen Zeller, Berlin 2003

Als Schmidt – zurück in Deutschland – 1905/1906 seine Erinnerungen aufschrieb, können ihm die heftigen Proteste, die von Trothas Vernichtungsfeldzug gegen die Hereros in Deutschland ausgelöst hatten, nicht unbekannt gewesen sein. Er tut so, als kenne er sie nicht. August Bebel empörte sich im Reichstag: „Eine solche Kriegsführung kann jeder Metzgerknecht treiben, dazu braucht man nicht General oder höherer Offizier zu sein.“[63]

Evangelische Missionsgesellschaften verlangten die Zurücknahme von Trothas Aufruf, Reichskanzler von Bülow mahnte in einem Brief an den Kaiser, dass von Trothas Maßnahmen im Widerspruch zu allen christlichen und menschlichen Prinzipien ständen und dem Ansehen Deutschlands unter den zivilisierten Völkern schadeten. Selbst der Chef des Generalstabs, von Schlieffen, der zunächst in Übereinstimmung mit dem Kaiser, Trothas hartes Vorgehen unterstützt hatte, musste einen Rückzieher machen.

Das alles wissend, sah sich Schmidt nicht veranlasst und nicht in der Lage, seine rückblickende Betrachtung mit einem auch nur zaghaft-kritischen Kommentar zu versehen. Stattdessen schreibt er in seinem Vorwort: „Mein Buch möchte vielen Kreisen unseres in Sturm und Krieg erprobten Volkes die Herzen für unsere heldenmutig kämpfende und hart entbehrende Schutztruppe erwärmen helfen.“

Der Feldzug gegen die Namas

Nach der Verfolgung und der tödlichen Vertreibung der Hereros in die Kalahari-Wüste ist Max Schmidt als Feldgeistlicher am anschließenden Feldzug gegen die Nama-Völker im Süden des heutigen Namibia beteiligt. Die Namas, von denen verschiedene Gruppen noch am Waterberg auf Seiten der deutschen Kolonialtruppe gekämpft hatten, kündigten dieses Abkommen auf, als sie sahen, mit welcher Härte die Deutschen im weiteren Verlauf gegen die Hereros vorgingen. Unter der Führung von Hendrik Witbooi und Jakob Moranga[8] kämpften die Namas – anders als zuvor die Hereros – mit einer guerillaartigen Strategie. 

Schmidt berichtet von einer sehr sentimental-gefühlvollen Weihnachtsfeier, bei der er alle seine pathetisch-rhetorischen Register[9] zog, bevor es gleich Anfang Januar zu harten Kämpfen kam. Vom 2.- 4. Januar 1905 erreicht der Kampf der Namas gegen die deutschen Kolonialtruppen bei Groß-Nabas einen Höhepunkt. Schmidt beschreibt eindrücklich, wie deutsche Soldaten unter der Wasserknappheit und der sengenden Hitze gelitten haben. Aber während schwer verwundete und sterbende Soldaten den Tag verfluchen, an dem sie in dieses fremde Land kamen, um Morphium bettelten, manche von Raserei erfasst wurden oder in ein Delirium fielen, kommen Schmidt keine Gedanken über den Schrecken, den Unsinn und die Barbarei des Krieges, und keinerlei  Zweifel in den Sinn, sondern er spricht, ja, er schwadroniert über „Stunden, in denen der feierliche Ernst der Todesnähe durch die Reihen schauerte.“ (106) [10]

Nach den erbitterten, für beide Seiten verlustreichen Kämpfen bei Groß-Nabas ging der Kolonialkrieg gegen die Namas weiter bis 1907. Der Dienst des Pfarrer Max Schmidt endete im Sommer 1905. Am 25. Juli kam er in Hamburg an.

Schmidts Jahre an der Garnisonkirche in Potsdam 1906 – 1911

Am 25. Juli 1905 kam Max Schmidt aus Südwest-Afrika zurück. Als er am 8. November 1906 das Vorwort zu seinen Kriegserlebnisse unter dem Titel „Aus unserem Kriegsleben in Südwest-Afrika“ schrieb, war er gerade zum Militärpfarrer der 1.Garde-Division an der Garnisonkirche in Potsdam ernannt worden. Man darf vermuten, dass der „Erfolg“ gegen die Hereros und Namas dieser Beförderung zugutekam.

Er kam zu einem Zeitpunkt an die Garnisonkirche, als einerseits das preußische Kriegsministerium im Zuge einer allgemeinen Militarisierung beide Garnisonkirchenstellen, also auch die eher zivile Hofpredigerstelle, stärker militärisch ausrichten wollte, und zwar gegen den Widerstand des Gemeindevorstands der Zivilgemeinde, und als andererseits der bisherige Garnisonpfarrers Johannes Keßler die Chance witterte, die frei gewordene (höher dotierte) Stelle des für die zivile Gemeinde zuständigen Hofpredigers nebenbei mit zu verwalten, auch gegen das Votum des Gemeindevorstands. So wurde Schmidt zunächst Pfarrer für die 1.Garde Division und erst 1908 nach dem Weggang Keßlers[11] von Potsdam „mit dem Titel und Charakter eines Hofpredigers ernannt“. 1911 verließ er Potsdam und wurde am 1.Advent dieses Jahres als Pfarrer an der St. Nicolaikirche in Leipzig eingeführt.

In seine Potsdamer Zeit fällt die Aufstellung von Gedächtnistafeln in Garnisonkirchen für die bei Kriegshandlungen in China und Afrika gefallenen und verschollenen deutschen Soldaten. Der Auftrag dazu kam von einer „Allerhöchsten Kabinetts-Ordre vom 11.November 1909:

Auf Ihren gemeinschaftlichen Bericht vom 11. Oktober 1909 genehmige Ich, um das Andenken der bei den kriegerischen Ereignissen in China und Afrika gefallenen, der ihren Wunden erlegenen und der verschollenen Offiziere, Beamten und Mannschaften Meiner Armee, Marine und Schutztruppen zu ehren, dass in den einzelnen Kirchen, zu deren Gemeinden die Bezeichneten gehört haben, Gedenktafeln mit ihren Namen nach dem für Armee gegebenen Muster aufgestellt werden.

Berlin, den 11.November 1909. gez. Wilhelm R.“

Als Garnisonpfarrer in Potsdam hatte Schmidt bei der Umsetzung dieser Ordre eine zentrale Rolle. Nicht nur als Pfarrer der bedeutendsten Garnisonkirche, sondern auch als Feldgeistlicher, der selbst in China und in Südwest-Afrika an den „kriegerischen Ereignissen“ beteiligt gewesen war, hatte er zu dem Auftrag eine besondere Nähe. Ihm kam es zu, die Namenslisten der Soldaten aus den verschiedenen Divisionen und Standorten, die im 2. Feldregiment zusammengefasst waren, zusammenzutragen und die Herstellung und Einweihung der Gedächtnistafeln vorzubereiten. Die sollte in evangelischen Garnisonkirchen am 20.11.1910, dem Totensonntag, erfolgen, in katholischen Garnisonkirchen am 2.11.1910, am Tag Allerseelen. Im Blick auf gefallene und vermisste Angehörige jüdischen Glaubens hatte Schmidt den Auftrag, sich mit den zuständigen Synagogen in Verbindung setzen.

Bei den Kolonialkriegen kamen nicht die regulären Truppen des Deutschen Heeres zum Einsatz, zu denen auch die preußischen Regimenter gehörten, also auch das 1. Garde Regiment. Für den Einsatz in Südwest-Afrika wurde jenes 2. Feldregiment zusammengestellt, das wie die Schutztruppen direkt dem Reichsmarineamt unterstand.  In seiner Geschichte des 1. Garde Regiments hält Friedrich von Friedeburg fest, dass sich auch aus Potsdam „Freiwillige aus dem Regiment auch zu diesem Kampf für die deutsche Ehre zahlreich gemeldet.“ haben [12]. Das Engagement der Freiwilligen des 1. Garde Regiments wurde später von ihrem Potsdamer Regiment als Teil der eigenen Regimentsgeschichte verstanden, der man sich immer wieder gerne erinnerte. [13]

In einem handschriftlichen Schreiben vom 20.10.1910 meldete Schmidt der königlichen Kommandantur den Stand der Vorbereitungen für die Aufhängung der Gedächtnistafeln während eines Festgottesdienstes in der Potsdamer Garnisonkirche:

Der königlichen Kommandantur hier

Die Gedächtnistafel kann nach der mehrfachen und noch heute wiederholten Versicherungen der Beauftragten am Totensonntag (20.11.10) bestimmt eingeweiht werden. Der Hoftischlermeister Schulz und der Hofmalermeister Andre sind mit der Ausführung der ihnen gegebenen Skizze beschäftigt. Diese Skizze ist nach den befohlenen  Weisungen entworfen und genau dem Stil der Kirche angepaßt; Professor Laske von der technischen Hochschule in Charlottenburg, der den neuen Altar erbaut hat und ein wissenschaftlich technisches Werk über die Garnisonkirche vorbereitet, hat auf meine Bitte den Entwurf in allen Einzelheiten (Stil des Reichsadlers, Wahl der Schrift, Anpassung der Tafeln an den Platz) bestimmt. Da die erste Empore keinen freien Platz mehr bietet, ist eine gut sichtbare Stelle an der Wand der zweiten Empore ausgewählt worden. Die Predigt wird auf die Gedächtnistafel hinweisen. Versuchen will ich noch, ob der Männergesangverein an diesem Tage in der Garnisonkirche singen will. Ich erbitte dazu die Genehmigung.

                                       gez. Lic. Schmidt         Hofprediger und Garnisonpfarrer

Zur Gedenkfeier am 8. Januar 1911 reist Offizier Lothar von Trotha an, um mit Pfarrer Max Schmidt und der Potsdamer Garnisongemeinde die Gedenktafel in der Garnisonkirche und die gefallenen Potsdamer Soldaten zu würdigen.[14] Neben dieser Aktion ist über Max Schmidts Zeit an der Garnisonkirche wenig bekannt.

In einem Nachruf über den „Hofprediger D. Max Schmidt“ von Prof. Wilhelm Stieda in „Das Jahr des Herrn 1930 – Kalender für die evangelischen Gemeinden Leipzigs“ findet sich bezüglich seiner Zeit an der Garnisonkirche die folgende Zusammenfassung (S.48):
„Max Schmidt war in voller Aufrichtigkeit dem preußischen Herrscherhaus, insbesondere der deutschen Kaiserin ergeben. Die hohen Herrschaften hatten ihn auch in ihren persönlichen Verkehr gezogen und hörten seine schlichten, aber markigen und gottesfürchtigen Predigten oft. So bedeutete es für ihn keinen leichten Entschluss, diesen Beziehungen zu entsagen und dem Rufe nach Leipzig zu folgen.“

Und in einem Brief Schmidts an den Leipziger Superintendenten D. Pank, so notiert Stieda, heißt es: „Je schwerer das Losreißen aus liebgewordenen Verhältnissen uns verwundet, um so wohltuender erfreuen die Grüße wie der Ihre, die mich willkommen heißen.“ Über den „persönlichen Verkehr mit den hohen Herrschaften“ möchte man gerne mehr erfahren, aber darüber ist nichts überliefert.

Es scheint auf eine Charakterisierung der Predigten Schmidts hinzuweisen, wenn neben den eben zitierten „markigen“ Predigten Wilhelm Schwipps (der gleich drei „Biographien der Garnisonkirche“ geschrieben hat) in einem am 8.1.1972 im Ostpreußenblatt erschienenen Beitrag „Die Garnisonkirchen von Berlin und Potsdam“ von „kernigen Worten“ in Schmidts Predigten spricht, und zwar im Unterschied zu den „geistvollen“ Predigten von Schmidts Kollegen: „Außer Hofprediger Rogge haben die Hofprediger Keßler, Richter und Vogel geistreiche Predigten gehalten, hat der Soldatenprediger Schmidt, der in Südwest-Afrika den Kolonialkrieg kennengelernt hatte, seinen Soldaten kernige Worte gesagt.“

Schmidt hatte vor seinem Amtsantritt in Potsdam überwiegend an Militärpfarrer-Stellen gearbeitet, die teilweise mit einem Dienst in Zivilgemeinden verbunden waren. 1900 und 1901, bevor er als Feldgeistlicher an dem Einsatz in China teilnahm, waren von ihm zwei Buchveröffentlichungen erschienen: „Warum sind wir Christen? Predigten für Denkende und Suchende“[15] und ein „Geleitbuch für junge und alte Soldaten“[16]. Die Predigten des zuerst genannten sind durch einen volkmissionarischen Ton gekennzeichnet und richten sich, wie es im Untertitel heißt, an eine eher bildungsbürgerliche Leserschaft. Theologisch sind die Predigten dennoch pietistisch geprägt. Die verehrende Erwähnung des schottischen Missionars David Livingstons weist ebenso wie die Anmerkung oben Seite 4 auf eine Nähe Schmidts zum erweckungstheologischen britischen Methodismus hin. In der durchgehenden Erwartung eines weltweiten Siegeszuges des Christentums kommt dabei eine für die Zeit charakteristische christliche Version von Kolonialismus und Imperialismus zum Ausdruck. [17]

Von größerem Interesse ist in unserem Zusammenhang die andere Schrift, das „Geleitbuch für junge und alte Soldaten“. Der militaristische, „kernige“ Ton wird schon im Vorwort dieser Sammlung von Reden und Predigten deutlich, wenn er es als sein Ziel nennt, „Deutschlands Söhne zu ganzen Soldaten und ganzen Deutschen, zu ganzen Männern und zu ganzen Christen“ zu machen. Der bemerkenswerteste Beitrag in diesem Buch ist eine Rede vor jungen Soldaten über die Bedeutung der Fahnenweihe. Hier wird in kaum überbietbarer Weise deutlich: Das Selbstverständnis des Pfarrers Max Schmidt ist in hohem Maße militarisiert. Er hat als Pfarrer keinerlei Distanz zum Militär, wenn er die Fahnenweihe einen „höchsten religiösen Akt“ nennt, eine „der geweihtesten Stunden, die ihr erleben könnt.“

Soldat werden ist ihm eine religiöse Selbstverpflichtung: „Dieser Eid bindet euch auf Tod und Leben an euren Fürsten und Kaiser.“  Dabei spricht er sie auf ihre Männlichkeit an: „Im Felde ist der Mann noch was wert, da wird ihm das Herz noch gewogen.“ Solche “markigen“ Worte verbindet Schmidt mit der suggestiven Kraft von Emotionalität und Pathos, wenn er den „weihevollen Ernst dieser Stunde“ beschwört „und wir fühlen den jungen Herzen nach, wie’s in ihnen gärt und die Gedanken hoch einherwogen.“

Aus der Potsdamer Zeit sind keine Predigten Schmidts bekannt, allein zwei Ansprachen vor der Vereidigung junger Soldaten in Potsdam in Gegenwart Kaiser Wilhelms II., gehalten jeweils am 8. November 1907 und 1910.[18] In beiden Ansprachen wiederholt und steigert er die in dem Text von 1900 schon beschworene Soldatentreue und die Bereitschaft für Kaiser und Vaterland sein Leben zu geben.

Was Schmidt an der Garnisonkirche in Potsdam fasziniert hat, hat er im Nachhinein, in seiner Einführungspredigt an der Leipziger Nicolaikirche am ersten Adventssonntag 1911 so formuliert: „…bis zur Soldatenkirche unseres Kaisers, von der ich herkomme, in welcher der todesernste Schmuck der erbeuteten Fahnen und Feldzeichen eines ganzen Jahrhunderts die Ehrenwacht über der schlichten Königsgruft hält und zur Gemeinde in Waffen wie im Bürgerkleide stillgewaltig redet. Diese Feldzeichen bezeugen das gleiche, das hier bei Leipzig auf dem Napoleonstein zu lesen steht: Der Herr ist der rechte Kriegsmann, Herr ist sein Name.“ Schmidt bringt hier das Motto der Garnisonkirche auf den Punkt.

Schmidts Jahre an der St. Nicolaikirche in Leipzig 1911 – 1924

Am 1. Advent 1911 wurde Max Schmidt als erster Pfarrer an der St. Nicolaikirche in Leipzig eingeführt. Diese Pfarrstelle hatte er bis zu seinem krankheitsbedingten Ausscheiden aus dem Pfarrdienst im Jahr 1924 inne. Am 9. September 1923 hielt er seine letzte Predigt in der Nicolaikirche. Zwischenzeitlich, während des 1. Weltkriegs war noch einmal als Militärpfarrer an der Westfront tätig.

Aus seiner Leipziger Zeit liegen mehrere Predigten vor. Zwei verdienen ein besonderes Interesse: eine vom 19. Oktober 1913[19], die andere vom 17. Oktober 1920.[20] Die Oktoberdaten verweisen auf die sogenannte Völkerschlacht bei Leipzig, die vom 16. – 19. Oktober 1813 stattfand. Die jeweiligen historischen Bedingungen könnten konträrer kaum sein. Im Oktober 1913 ist das wilhelminische Kaiserreich auf dem Höhepunkt seiner Macht, am 18. Oktober wird in Leipzig zum 100. Jahrestag das monumentale Völkerschlachtdenkmal eigeweiht. Dazu hält Schmidt in der Nicolaikirche die Festpredigt.

Am 17. Oktober 1920 predigt zum selben Jahrestag ein zutiefst enttäuschter, „gebrochener“ Max Schmidt. In der Predigt von 1913 spricht Schmidt von „geweihten Höhen von weltgeschichtlicher Größe“ und rhetorisch schwebt er in eben diesen. Keinen Superlativ lässt er aus. Der Gott der Väter ist der Gott der Geschichte, in biblizistischer Unmittelbarkeit werden Texte aus dem Buch des Propheten Hesekiel (Hesekiel. 37) und die deutsche Geschichte von 1806 bis 1813 zur Deckung gebracht. Triumphal werden Goethe und Hegel Lügen gestraft: „Wer konnte vor 100 Jahren solche Zuversicht fassen? Fragen wir Deutschlands größten Dichter; er warnte nicht ohne Hohn: ‚Rüttelt nur an euren Ketten, der Mann ist euch zu groß!‘ Fragen wir Deutschlands größten Denker jener Tage – er wusste nur zu antworten, ihm sei die verkörperte „Weltseele erschienen! Als ob wir mit Verzagtheit oder mit philosophierenden Träumen einem halberstorbenen, halbersterbenden Volke aufhelfen könnten! Der Dichter und der Denker versagten.“[21]

Bei allem religiös umrahmten Jubel über die siegreichen Kriege des 19.Jhdts. und die „Friedensonne“, die derzeit scheine, vergisst Schmidt nicht, weitere militärische Aufrüstung anzumahnen: „Wer Träume hat, der predige Träume; wer aber mit offenen Augen in die Wirklichkeit schauet, der wird gerade von den Leipziger Oktobertagen die Lehre sich einschärfen lassen, dass wir uns, unser Volk, unsere Jugend stark und waffentüchtig erziehen und erhalten müssen. Es ist nicht bloße Dichtung, sondern eine granitene Wahrheit, die unserem wuchtigen Denkmal vergleichbar durch die Geschichte ragt: Und setzet ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das Leben gewonnen sein.“

Allein diese letzte Mahnung bildet eine Brücke zu der Predigt vom 17. Oktober 1920. Auch jetzt will Schmidt den Sieg von 1813 und die drei siegreichen Kriege der zweiten Hälfte des 19.Jhdts rühmen („Das Jahrhundert großer vaterländischer Geschichte“). Aber nun eben im „Dunkel“ der Gegenwart: „Trotz alles Dunkels der Zeit, ja gerade wegen dieser schwarzen Trübsal wollen wir die leuchtenden Tage in der Geschichte unseres Volkes zu uns reden lassen. Wie das wuchtige Ehrenmal auf Leipzigs Flur sein Haupt in den herbstlichen Dunst erhebt, so ragen die Gedenktage vom 16.-19. Oktober mit ihren Großtaten in den herbstlichen trüben Nebel, der Deutschlands Lage und Zukunft verhüllt.“

Nach dieser Einleitung verkündigt Schmidt von der Leipziger Kanzel – mit dem gewohnten, ihm eigenen Pathos – die sogenannte Dolchstoßlegende: „Gottlob, dass wir sogar beim Rückblick auf den eben hinter uns liegenden furchtbaren Weltkampf wiederholen dürfen: sie haben uns nicht übermocht. Gegen den halben Erdball, gegen eine immer stärker drückende Überzahl hat die Wacht am Rhein wie die Wacht in den Ostmarken, in den Karpaten und an den Dardanellen, hat todesmutige deutsche Treue auf den Meeren wie in der Luft sich siegreich behauptet, bis die innere Zermürbung uns lähmte und Hagens Speer den deutschen Siegfried niederstreckte.“

Dann vergleicht Schmidt das deutsche Volk mit dem murrenden Volk Israel in der Wüste nach dem Auszug aus Ägypten. Obwohl das deutsche Volk „wie auf Adlerflügeln durch den Krieg getragen“ worden sei, sei „ein Murren bis zum Abfall“ entstanden. „Da fiel eins nach dem andern: Deutschlands Kraft, Deutschlands Ordnung, Deutschlands Wohlstand! Eine furchtbare sittliche Verwilderung ist ausgebreitet.“

Gegen diesen vermeintlichen Verfall beschwört Schmidt die preußischen Tugenden, vor allem die militärischen. Aufs Engste verbunden mit ihnen sind ihm die sittlichen und religiösen Werte. Sie möchte er mobilisieren. Eine „christliche Wiederbelebung“ will er erreichen. Möglicherweise war diese, an einem so bedeutsamen Tag gehaltene Predigt noch einmal sein Beitrag zu dem Bemühen, die Geschichte umzudrehen, zurückfinden in die Spur „des Jahrhunderts großer vaterländischer Geschichte.“

Fünf Wochen später, 21. November 1920, predigt Schmidt zum „vaterländischen Totensonntag“. Diese Predigt hat einen ausgesprochen elegischen Ton. „Vergesst die treuen Toten nicht“ ist das Leitmotiv. Der Sonntag soll „das Gedächtnis der Heldenscharen lebendig erhalten.“ Vorbild dafür ist ihm die Widmung, die General Ludendorff seinen Kriegserinnerungen voranstellt: „Ich widme dieses Buch den im Glauben an Deutschlands Größe gefallenen Helden.“ Schmidts Hochschätzung der „Soldatentreue“, der Erfüllung des Eides, der soldatischen Tugenden generell bewegt ihn, seinen Appell, der Toten des Weltkriegs zu gedenken, auf die Toten auch der feindlichen Armeen zu beziehen.

Wie aus mehreren Nachrufen auf Max Schmidt hervorgeht, war er zutiefst enttäuscht, deprimiert und geschwächt aus dem Weltkrieg zurückgekommen. Sein ehemaliger Potsdamer Kollege, Hofprediger Johannes Keßler, der als späterer Dresdner Gemeindepfarrer die Grabrede für Max Schmidt hielt, notierte in seinen Erinnerungen: „Der tragische Ausgang des Krieges, der Zusammenbruch der Monarchie, die Sturmflut der Revolution brachen ihm Herz und Nerven. Als ich ihn, den sturmfesten, stahlharten Kameraden in Leipzig wiedersah, mit gelähmter Sprache und zitternden Händen, schnitt es mir ins Herz.“[22]

Zwei weitere kirchliche Nachrufe beschreiben das ähnlich. Einer erschien im „Amtskalender für evangelisch-lutherische Geistliche in Sachsen 1927“. Dort heißt es u.a.: 1911 wurde er als erster Pfarrer an die Nicolai zu Leipzig berufen. Hier entfaltete er in Predigten und Vorträgen eine bedeutende Tätigkeit, die weit über den Rahmen der Gemeinde hinausging. Als jedoch der Weltkrieg entbrannte, konnte er nicht in der Heimat bleiben. Als Divisionspfarrer XIX.E.D. ging er nach dem westlichen Kriegsschauplatz. Über drei Jahre hat er draußen mit seinen Soldaten Freud und Leid geteilt, ihnen Trost und Mut zugesprochen. Der Ausgang des Krieges betrübte sein patriotisches Herz tief. Nie hat er alle die Erlebnisse der Nachkriegszeit verwunden, aber der Hauptgrund seines Zusammenbruchs war seelischer Natur. Die deutsche Tragödie hat ihren Schatten auf seinen Lebensabend geworfen. Mit dem Jahre 1924 musste er infolge eines schweren Nervenleidens sein Pfarramt aufgeben und am 9. Oktober 1925 endete der Tod sein gesegnetes, tatenreiches und inhaltsvolles Leben. Ein wahrer Freund, ein bedeutender Geist, ein ganzer Mann, ein frommer Christ, ein tapferer Soldat, ein aufrichtiger Charakter, der den Glauben an Deutschlands Zukunft trotz alledem nicht verloren hat, ist mit ihm geschieden.“[23]

Ein zweiter, noch ausführlicherer Nachruf stammt von dem Nationalökonomen Prof. Dr. Wilhelm Schieda. Er erschien als „Gedenkblatt“ in: „Im Jahr des Herrn 1930 – Kalender für die evangelischen Gemeinden Leipzigs“. „Als gebrochener Mann kehrte er heim. Bald nach seiner Rückkehr zeigten sich Spuren einer beginnenden Erschöpfung.“  So beschreibt Schieda seinen Zustand nach Rückkehr aus dem

1. Weltkrieg

Wenn man die Aussagen beider Nachrufe zusammennimmt, kann man festhalten, ohne gar zu spekulativ zu werden: Für den von der Größe, ja nahezu Unbesiegbarkeit des Kaiserreiches überzeugten Pfarrer Max Schmidt muss der Ausgang des 1. Weltkriegs, der Verlust der Kolonialgebiete und die „Ereignisse der Nachkriegszeit“, sprich: die Ausrufung der Republik und die Abdankung des Kaisers traumatisch gewesen sein.

Am Ende seines Nachrufs spricht Schieda davon, dass Schmidt „nicht mehr so vollständig der Rede Herr werden konnte, um auszudrücken, was ihn bewegte.“ Er habe dann noch „sein schweres Leiden geduldig mehr als ein Jahr getragen“. Mit gewissem Erstaunen ist festzuhalten, dass die Verfasser der Nachrufe noch in den Jahren 1927 und 1930 ganz an der militaristischen Diktion des Kaiserreiches festhielten. Im Blick auf die Kolonialkriege ist bei Schieda nach wie vor die Rede von „unseren Schutztruppen“, den „Ruhmestaten des deutschen Heeres“ und von dem „Heldenmut zu Ehren des Vaterlandes“. Schieda spricht auch von der „glücklichen Niederwerfung des Herero-Aufstandes.“ An anderer Stelle attestiert er Schmidt eine „wirklich vollendete Ansprache“, in der er ausführte, „dass der Verewigte (der junge Soldat HD) den schönsten Tod, den Tod fürs Vaterland und vordem Feinde gestorben sei und seinen Fahneneid erfüllt habe.“

Und das alles in kirchlichen Publikationen! Offensichtlich waren deren Verantwortliche von den überfälligen selbstkritischen Bewegungen im deutschen Nachkriegsprotestantismus unberührt geblieben. Sie bewegten sich immer noch in der preußisch-kaiserlichen, unseligen Drei-Einheit von Nation, Militär und Kirche – genauso wie Max Schmidt, der darin als Repräsentant der Potsdamer Garnisonkirche gelten kann.

Hermann Düringer ist promovierter Theologe, zunächst als Pfarrer in Frankfurt am Main 1975 – 1982 tätig, dann Leiter der evangelischen Akademie Arnoldshain, seit 2012 im Ruhestand und u.a.


[1] Die evang.-theologische Fakultät der Universität Leipzig verlieh Max Schmidt 1917 den Doktorgrad (Dr. theol. wurde D abgekürzt), so daß er auch als D Schmidt geannt wird. Seit 1906 war er Lizentiat (Lic.) mit der Namennennung Lic Schmidt.. Bis 1944 trugen Promovenden einer evangelischen Fakultät diesen Titel.
[2] Über den China-Einsatz des „ostasiatischen Expeditionskorps“ heißt es bei Friedrich von Friedeburg, „Geschichte des königlich Preußischen Ersten Garde Regiments zu Fuß – Teil 1. 1871-1914, 1933: „Es hatte zwar keine großen Schlachten schlagen können, aber in zahlreichen kleinen Kämpfen unter schwierigsten Verhältnissen des Geländes und des Klimas Proben von Tapferkeit und Ausdauer abgelegt und die deutschen Waffen zu Ehren gebracht…. Offiziere und Mann hatten gezeigt, dass sie für die Ehre des Vaterlandes zu sterben wussten.“ (267)
[3] „Aus unserem Kriegsleben in Südwestafrika – Erlebnisse und Erfahrungen“ von Lic. Max Schmidt, Hofprediger, Neue, durchgesehene Auflage (21.-25. Tausend) 1913, Berlin-Lichterfelde. Die Seitenzahl der Zitate wird in Klammern angefügt.
[4] Max Schmidt, so Werner Tabel, war „kein Pazifist, sondern ein Mann, der offenbar mitten im harten Soldatenleben stand.“: Werner Tabel, „Autoren Südwestafrikas. Biographien, Rezensionen und Hintergrundinformationen“, Göttingen 2007, S.110
Die Zusammenstellung der ‚Autoren Südwestafrikas“ und deren Kommentierung durch Werner Tabel verharmlost, ja romantisiert die „oft übermenschlichen Leistungen der deutschen ‚Schutztruppler‘, ihre Tapferkeit und Opferbereitschaft“ (108). „In den akribisch festgehaltenen Wahrnehmungen eines weitgehend unbekannt gebliebenen Militärseelsorgers“  (Max Schmidt, HD) sieht Tabel eine Relativierung der „gängigen Vorstellungen vom Hererokrieg als einem ‚Vorläufer des Holocaust‘“ (Tabel, 123) Mir scheint, Tabel flüchtet sich in diese tabuisierte Gleichsetzung um die sehr wohl zutreffende Bezeichnung ‚Völkermord‘ zu unterlaufen.
[5] Das Zitat im Zusammenhang: „Es fragte sich nun für mich nur, wie ist der Krieg mit den Herero zu beendigen. Die Ansichten darüber bei dem Gouverneur und einigen „alten Afrikanern“ einerseits und mir andererseits gehen gänzlich auseinander. Erstere wollten schon lange verhandeln und bezeichnen die Nation der Herero als notwendiges Arbeitsmaterial für die zukünftige Verwendung des Landes. Ich bin gänzlich anderer Ansicht. Ich glaube, dass die Nation als solche vernichtet werden muss, oder, wenn dies durch taktische Schläge nicht möglich war, operativ und durch weitere Detail-Behandlung aus dem Lande gewiesen wird. Es wird möglich sein, durch die erfolgte Besetzung der Wasserstellen von Grootfontein bis Gobabis und durch eine rege Bewegung der Kolonnen die kleinen von Westen zurückströmenden Teile des Volkes zu finden und sie allmählich aufzureiben. In das Sandfeld (Omaheke) hinein die Hauptabteilungen der Nation mit den Kapitänen zu verfolgen, zu fassen und zu vernichten, ist im Augenblick nicht möglich. […] Ich habe gestern, vor meinem Abmarsch, die in den letzten Tagen ergriffenen Orlog-Leute, kriegsgerichtlich verurteilt, aufhängen lassen, und habe alle zugelaufenen Weiber und Kinder wieder in das Sandfeld unter Mitgabe der in Othiherero abgefassten Proklamation an das Volk zurückgejagt. […] Andererseits ist die Aufnahme der Weiber und Kinder, die beide zum größten Teil krank sind, eine eminente Gefahr für die Truppe, sie jedoch zu verpflegen eine Unmöglichkeit. Deshalb halte ich es für richtiger, daß die Nation in sich untergeht, und nicht noch unsere Soldaten infiziert und an Wasser und Nahrungsmitteln beeinträchtigt. Außerdem würde irgendeine Milde von meiner Seite von seiten der Herero nur als Schwäche aufgefaßt werden. Sie müssen jetzt im Sandfeld untergehen oder über die Betschuanagrenze zu gehen trachten. Dieser Aufstand ist und bleibt der Anfang eines Rassenkampfes, den ich schon 1897 in meinem Bericht an den Reichskanzler für Ostafrika vorausgesagt habe.“ – Lothar von Trotha: an den Chef des Generalstabes der Armee, 4. Oktober 1904.
[6] Neben der bei Schmidt insgesamt dominierenden „markigen“ Rhetorik  von Vaterland und Deutschlands Größe, neben seiner an Kampf und Soldatentreue orientierten Ethik finden sich bei ihm Spuren einer christlich-universalistischen Ethik. Sie sollen nicht übergangen werden.
+ Dazu gehört diese Schilderung von einem humanen Umgang mit gefangenen Hereros; offensichtlich im Einflussbereich der Abteilung Estorff.
+ In der Predigt am Sonntag nach Ostern 1914 betont er ein Christentum jenseits aller Grenzen und „Sonderkirchen“. Fast meint er, sich bei der deutschen Zuhörerschaft entschuldigen zu müssen, dass er geistliche Impulse von den englischen Erweckungstheologen Wesley und Whitehead bezieht. („Mancher unter euch mag sich wundern…“)
[7] Schmidt predigt über Psalm 2, der mit den Worten beginnt: „Warum toben die Völker und murren so vergeblich?“
[8] Jacobus Morenga geb. um 1875 in Südwestafrika, heutiges Namibia; † 19. September 1907bei Eenzamheid), genannt der „schwarze Napoleon“, war einer der wichtigsten Anführer im Aufstand der Herero und Nama von 1904 bis 1908. Morenga gilt als einer der ersten modernen Guerillakämpfer Er war in seinen letzten Lebensjahren für die Südwest- und Südafrikaner ein Volksheld und für die deutsche Kolonialmacht einer der Hauptfeinde. Kaiser Wilhelm II. persönlich setzte auf seinen Kopf 20.000 Mark Belohnung aus. Jakob Morenga fiel 1907 im Kampf gegen seine britischen Verfolger, die in diesem Fall mit den deutschen Militärs zusammenarbeiteten. (wikipedia)
[9] „Unvergesslicher Abend voll Gebetsstimmung und getroster, innerer Freude. In allen Herzen das gleiche Empfinden, dasselbe feierliche Sehnen, das nach oben flammt. Der Soldat sucht seinen Gott, und Gottes Liebe antwortet ihm aus der Höhe. Wie lässt sich’s in dieser erbarmenden, rettenden Liebe ruhen und feiern! Der Christabend im Kriege ist nicht bloß eine Weihestunde edelster Waffenbrüderschaft; er zählt auch zu den h e i l i g e n  Stunden des Erdenlebens.“ (95)
[10] In seiner schon zitierten Einführungspredigt in der Leipziger Nicolaigemeinde 1911 nimmt Schmidt auch Bezug auf den Kampf bei Groß-Nabas. Noch einmal wird hier der Krieg zum Gottesdienst, zur Erweckung Rückkehr zum Glauben stilisiert: „In dem dreitägigen Durstgefechte bei Groß-Nabas in Südwestafrika fand ich unter anderen einen jungen Gefreiten so hoffnungslos zerschossen, wie man’s selbst im Kriege nur selten sieht. Um den tödlich Verwundeten wenigstens aus der Glutsonne zu bergen, hatten ihn die Kameraden oben auf einen überdeckten Wagen unter das Wagendach gebettet; die erhöhte Gefahr kam bei ihm ja nicht mehr in Betracht. Noch heute kann ich sein wimmerndes Rufen nicht vergessen: ‚Lieber Gott nimm mich doch zu dir.‘ Als seine letzte Bitte trug er mir auf, doch ja seiner Mutter zu bestellen, er habe draußen im Kriege sein Christentum wiedergefunden… Mir versicherte er,… im Felde habe Gottes Wort ihn wiedergefunden.“ Und dann spricht Schmidt vom „Vermächtnis dieses dankbar sterbenden Kriegers.“
[11] „Hofprediger“ Keßler, der inzwischen Gemeindepfarrer in Dresden geworden war, hielt 1925 auch die Trauerfeier zu Schmidts Begräbnis
[12] Friedrich von Friedeburg: Geschichte des Königlich Preußischen Ersten Garde Regiments zu Fuß – 1.Teil 1871-1914, 1933  „An den beiden kriegerischen Unternehmungen der Friedenszeit von 1871 bis 1914 haben eine Anzahl von Angehörigen des Regiments  freiwillig teilgenommen, die, zwar nicht in seinem Rock und nicht in seinem Verbande, sich doch bewusst waren, dass sie die Ehre des Regiments vertraten.“ (266)  Weiter unten schreibt er: „Freiwillige aus dem Regiment hatten sich auch zu diesem Kampf für die deutsche Ehre zahlreich gemeldet; darunter Unteroffizier Koch, 9. Kompanie. Die Gedenktafel auf dem Sängerchor der Garnisonkirche in Potsdam verkündet, dass aus den Reihen des Regiments für Kaiser und Reich in Südwest-Afrika gefallen sind: Leutnant v. Wurmb, Gefreiter Wilhelm Grabitz und Reiter Konrad Arnold.“ (268) Aus einer handschriftlichen Liste geht zudem hervor, dass dem Potsdamer Jägerbataillon der Reiter Willy Kurtzhals „für Kaiser und Reich gefallen“ ist.
[13] Siehe etwa die Beiträge des Nachrichtenblattes Semper Talis des gleichnamigen Traditionsverbandes zu den Einsätzen in Südwestafrika in Heft 41 1930, S 13 – 15, Heft 61 1935, S. 16 – 19, Heft 62 1935, S. 14- 16, Heft 63 1935, S. 14-16, Heft 64 1935 S. 19/20. Auch in den 1980er Jahren wurde dieses Erbe vom Verein Preußeninstitut und der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockensiel zelebriert, siehe: Wolfgang Rieth: Ein Südwestafrika-Denkmal in Düsseldorf, Preußische Mitteilungen Nr. 68, Juni 1985, S. 5. Wolfgang Rieth: Auf den Spuren der Schutztruppe, in: Preußische Mitteilungen Nr. 95 Dez 1989, S. 10-13, Ulrich Lokowand: Vor 75 Jahren: Die deutschen Schutzgebiete 1914, in: Preußische Mitteilungen Nr. 95 Dez 1989, S. 13.
[14] Matthias Grünzig, Für Deutschtum und Vaterland: die Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert, 1. Auflage (Berlin: Metropol, 2017). S. 24
[15] Max Schmidt, Warum sind wir Christen? Predigten für Denkende und Suchende, Verlag Erich Runge, Gr.Lichterfelde-Berlin, 1901
[16] Max Schmidt, Geleitsbuch für junge und alte Soldaten, Verlag Erich Runge, Gr.Lichterfelde-Berlin, 1900
[17] Insbesondere in der Missionspredigt, S.67ff
[18] In: Max Schmidt, Mannhaftes Christentum – Geleitsbuch für junge und alte Soldaten, Berlin 1914; Neuauflage des zuvor genannten Geleitsbuches für junge und alte Soldaten von 1900
[19] Max Schmidt, Auf den Höhen der Leipziger Oktobertage – Predigt zum Festgottesdienst am 19. Oktober 1913 in der Nicolaikirche Leipzig, J.C. Hinrich’sche Buchhandlung, Leipzig 1913
[20] Max Schmidt, Ein schlichtes Malzeichen in eiserner Zeit, Predigt am17.10.1920, J.C. Hinrich’sche Buchhandlung Leipzig 1920
[21] Nicht dass die beiden Herren gegen Kritik gefeit seien. Durch Schmidts Hohn schimmert jedoch das preußisch-militaristische Intellektuellen-Ressentiment, das später seinen Beitrag leisten wird, „‚Das Volk der Dichter und Denker‘ in das der ‚Richter und Henker‘“, zu verwandeln.
[22] Johannes Keßler „Ich schwöre mir ewige Jugend – Erinnerungen eines Hofpredigers“, Leipzig 1935. Keßlers Erinnerungen verdanken wir auch einige Auskünfte über die Person Max Schmidt: „Er war ein Original. Das zeigt schon seine Wohnung. An den Wänden hingen die Trophäen seiner Kriegszeiten in China und Südwestafrika, im Übrigen war die Wohnung ungemütlich, asketisch, fast mönchisch…..
…Auf die Frage, warum er nicht heirate, antwortete Schmidt: „Was hätte ich mit einer Frau im Boxeraufstand und im Afrikanischen Busch anfangen können!… Ich muss ganz frei sein für Volk und Vaterland.“
[23] „Amtskalender für evangelisch-lutherische Geistliche in Sachsen 1927“, S. 121

Online seit: 4. Juni 2021

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Ein Kommentar zu “Der Garnison- und Hofprediger Max Schmidt. Von den Kolonialkriegen nach Potsdam und Leipzig

  1. „Dies taten die allermeisten, ohne ihr tun nach allen Seiten hinterfragt zu haben. Sie taten es, so wie es in jeder heranwachsenden Generation gängig ist. Sie erlebten ihren Alltag im vorgefundenen Wertesystem“ (Aus :“Als Namibia noch Deutsch-Südwest war“ von Reinhard Münch“)
    Guten Tag Herr Dr. Düringer,
    es ist schade, dass alle Schriftsteller und Historiker nur die eine bekannte Seite der Kriege in Südwest-Afrika darstellen. Es würde diesen Rahmen sprengen ausführlich die dortige Situation vor über hundert Jahren hier darzustellen. Nur kurz zur Seite der Deutschen Soldaten. Es kamen junge Menschen aus einem Land mit warmen Sommern und kalten Wintern in ein Land mit extremen Temperaturen. Von der Küste mussten die Soldaten durch eine Wüste in die Landesmitte mit Höhen über tausend Meter. Unter diesen extremen Bedingungen mussten sie arbeiten und kämpfen. Ein Teil der Truppe viel wegen heftiger Herzbeschwerden aus und mussten zurückgeschickt werden. Typus war an der Tagesordnung. Bilder von Soldaten die drei Wochen im Land waren und durchs dieses gezogen sind gibt es nur wenige, aber sie sind sehr aussagekräftig. Kurz gesagt sie waren fertig. Nach der Schlacht am Waterberg waren die Soldaten die überlebt hat froh an einer noch sauberen Wasserstelle zu sein um zu überleben, Proviant hatten sie keinen mehr, da war nix mehr zum Teilen und hinterherlaufen schon gar nicht. Es gäbe dazu noch viel mehr zu sagen aber nun zur Sprache: Alle kritisieren die brutale und heroische Sprache, aber keiner fragt warum und woher kam diese, und warum hat Pastor Schmidt nicht in Ansätzen dagegen gehalten. Es gibt Tagebücher von Soldaten und Offizieren die krietisch darüber geschrieben haben aber wenn diese Gedanken bekannt geworden wären wären sie unweigerlich vor dem Kriegsgericht gelandet. („Mit Feuer und Flamme für Südwest!“ Tagebuch des Oberleutnants Eugen Stuhlmann herausgegeben von Peter Spätling) Die Kriegspropaganda ließ dies nicht zu. Wären die tatsächlichen Gegenbenheiten in Deutschland bekanntgeworden, wäre Südwest zuende gewesen. Lesen sie den den heldenhaften Tod des Freiherrn von Nauendorf der einen Bauchschuss in der Schlacht bei Groß-Nabas erhalten hatte und stellen sie sich jetzt das Entsetzen in Deutschland vor wenn Pfarrer Schmidt die echte Schilderung abgegeben hätte. Wie gesagt es gäbe noch viel mehr dazu zusagen, wir leben heute in einer Situation in der wir alles sagen können, aber es gab viele Zeiten in denen dies nicht möglich war, deshalb halte ich es für ganz schwierig darüber so zu urteilen. Die damalige Zeit gab dem Menschen wenig oder keine Möglichkeit etwas krietisch zu sehen und nebenbei sie kannte es ja auch nicht anders. Wir können heute leicht die Denkmäler stürzen, beschmieren, die Straßen umbennenen usw. aber damit vernichten wir auch die Geschichte. Wir hatten ein schwarzes Mädchen aus Namibia im Schüleraustausch, ich fragte sie „Warum habt ihr noch die alten Straßennamen aus der deutschen Zeit?“ Antwort: „Warum nicht, sie sind doch auch unsere Geschichte“ Erst heute werden die Straßennamen langsam umgeändert, aber es ist der deutsche Name auch noch vorhanden. (Wir waren beim Bildersturm der DDR schneller). Wenn alle bei der Geschichte etwas toleranter wären, sich mehr in die Zeit hineindenken würden, und daraus lernen könnten, wäre es bei uns heute friedlicher. Dies scheint aber nur ein frommer Wunsch zu sein. Dies waren nur ein paar Gedanken zur Geschichte über ehemals Deutsch-Südwest-Afrika.
    Mit freundlichen Grüßen aus dem Berischzen Land
    Günter Pollmeier