Buchvorstellung „Geist von Potsdam“

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Geist von Potsdam. Preußisches Militär als Tradition und Erbe

Am 6. Mai 2025 stelltem

Mit Agnieszka Pufelska, Barbara Stollberg-Rilinger, Sönke Neitzel, Philipp Oswalt

im Bildungsforum Potsdam
Am Kanal 47, 14467 Potsdam

Die Militärtradition des „Semper Talis“ und der Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam stehen exemplarisch dafür, dass die preußischen Militärtraditionen bis heute in die Gesellschaft hineinwirken. Doch eignet sich diese nicht zuletzt imperialistische und koloniale Tradition für uns heute? Was macht den „Geist von Potsdam“ aus? Wie hat das Militärische die Gesellschaft geprägt? Welche gesellschaftlichen Kräfte wehrten sich gegen Militarisierung und Autoritarismus? Wie sind die Gewaltexzesse in den Kolonial- und Weltkriegen zu verstehen? Und wie gingen die Deutschen nach 1945 mit den preußischen Militärtraditionen um? 

Dr. Agnieszka Pufelska, Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger und Prof. Dr. Philipp Oswalt stellten am 6. Mai 2025 in der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam als Autorinnen bzw. HerausgeberInnen Kernthesen des neu erschienen Buchs „Der Geist von Potsdam. Preußisches Militär als Tradition und Erbe“ vor, das anschließend von Prof. Dr. Sönke Neitzel kommentiert und mit ihm diskutiert wurde. 70 Zuhörer waren gekommen, unter ihnen auch Vertreter des Rohdich´scher Legatenfonds/ Semper-Talis-Bunds und des Wachbataillons beim Bundesministerium der Verteidigung. Dier Veranstaltung war Teil der Gedenkwoche der Stadt Potsdam „80 Jahre Kriegsende – besiegt und befreit“.

In ihrer Einleitung fasste Agnieszka Pufelska die Inhalte des Buchs wie folgt zusammen:

Der von Philipp Oswalt und mir herausgegebene Sammelband „Das preußische Militär als Tradition und Erbe“ basiert auf einer Tagung im Potsdam Museum im Jahr 2023. Dieses interdisziplinäre Buch untersucht die ideellen, institutionellen und kulturellen Nachwirkungen des preußischen Militärmodells in deutschen Gesellschaften vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Seine Grundfrage ist damit ebenso historisch wie hochaktuell: Welche langfristigen Wirkungen hatte das preußische Militär in Politik, Gesellschaft und Kultur Deutschlands – und in welchen Formen leben diese Wirkungen bis heute fort? Was bedeutet es für eine moderne Demokratie, dass große Teile ihrer staatlichen Infrastruktur, ihres Symbolrepertoires und ihres Sicherheitsverständnisses auf eine militarisierte Vergangenheit zurückgehen? Und was heißt es schliesslich, dass diese Vergangenheit in Krisenzeiten – wie aktuell durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine – nicht nur historisch diskutiert, sondern politisch reaktiviert wird? Der Band liefert keine einfache Abrechnung, sondern eine vielstimmige und analytisch präzise Auseinandersetzung mit diesen Fragen. Seine Relevanz liegt nicht allein in der Geschichtsschreibung, sondern in seiner Bedeutung für die Gegenwartsdiagnose: Wer heute über Verteidigungsetats, über Wehrpflicht oder das Selbstverständnis der Bundeswehr spricht, kann dies nicht tun, ohne sich der historischen Tiefenschichten dieser Debatten bewusst zu sein.
Der Band ist in fünf große Abschnitte gegliedert, deren inhaltliche Spannweite ich Ihnen im Folgenden thesenhaft vorstellen möchte.
1. Kulturen des Militärischen Am Anfang steht die Beobachtung, dass das preußische Militär nicht nur Schlachten plante, sondern Gesellschaft entwarf und formte. Hartwin Spenkuch zeigt auf, wie der preußische Staat über Generationen hinweg eine militärisch geprägte Verwaltungskultur etablierte, die Gehorsam und Hierarchie in alle Ebenen des Alltags einsickern ließ. John Zimmermann verfolgt, wie dieses Denken auch in der Reichswehr der Weimarer Republik nachwirkte und den demokratischen Aufbruch blockierte. In den Kadettenanstalten, die Heiger Ostertag und Olaf Briese beschreiben, wurde nicht bloß drillt, sondern eine autoritäre Männlichkeit institutionalisiert – im Gleichschritt marschierend in die Elite. Jeanette Toussaint macht deutlich, dass auch Frauen in dieses System eingebunden wurden – nicht an der Front, aber in der Erziehung, in der Symbolik, im nationalen Pathos. Thomas Kühnes Analyse der Kameradschaft schließlich berührt einen Nerv: Diese emotionale Gemeinschaftsidee lebt – von den Gräben der Weltkriege bis in heutige Bundeswehr-Leitbilder. Wer hier beginnt zu lesen, versteht: Das preußische Militär war keine geschlossene Institution – es war ein kulturelles Kraftfeld.

2. Konflikte im Inneren – Die Militarisierung der Gesellschaft und ihre Brüche Wenn man glaubt, der Militarismus sei nur von oben verordnet worden, belehren die Beiträge dieses Abschnitts eines Besseren. Rüdiger Hachtmann zeigt, dass das Militär stets dort zur Stelle war, wo es galt, bürgerliche Revolutionen zu unterdrücken – ob 1848 oder 1918. Christine G. Krüger ergänzt, dass sich selbst die Idee der Nation in Deutschland im 19. Jahrhundert über militärische Mythen und Schlachten definierte – ein Nationalgefühl in Uniform. Doch dem steht ein anderer Ton gegenüber: Friedhelm Greis und Stefanie Oswalt verorten in der Zeitschrift Die Weltbühne einen Ort publizistischen Widerstands, Michael Sikora rehabilitiert den Deserteur als politischen Denker – als Figur, die uns gerade heute, wo das Soldatische erneut aufgewertet wird, an das Recht auf Verweigerung erinnert. Die innere Spannung des preußischen Modells wird in diesem Abschnitt greifbar: zwischen nationaler Identifikation und kritischer Distanz, zwischen Gehorsam und Gewissen.


3. Gewalt und Expansion –Die dritte Sektion verbindet innere und äußere Gewaltlogiken und zeigt: Das preußische Militär war nicht nur Träger disziplinierter Stärke, sondern auch ein Vehikel imperialer Expansion und kolonialer Herrschaft. Mein Beitrag erklärt, wie Friedrich der 2, der Große wenn Sie mögen, Gewalt als aufgeklärtes Herrschaftsinstrument rationalisierte – ein Denken, das bis zur kolonialen „Zivilisierungsmission“ reicht. Sandra Maß beleuchtet, wie der Generalmajor und Schriftsteller Paul von Lettow-Vorbeck nicht nur als kolonialer Held glorifiziert, sondern als Träger eines rassistischen Imperialethos erinnert wurde. Rainer Orth analysiert die Freikorps als Brücke zwischen kaiserlicher Armee und nationalsozialistischer Gewaltpolitik. Und Jochen Böhler schließt den Bogen mit der Wehrmacht in Polen, deren Kriegsverbrechen in einem langen Traditionsstrom stehen. In Zeiten globaler Krisen und wachsender Kriegsbereitschaft erinnert dieser Abschnitt an eine unbequeme Wahrheit: Aufrüstung bringt keine moralische Läuterung mit sich – sie bringt Systeme der Legitimation von Gewalt hervor.

4. Mythos Potsdam –Potsdam wird in diesem Abschnitt zum Kristallisationspunkt eines konservativen Erinnerungskanons. Die zentrale These dieses Teils: Der Mythos vom „Geist von Potsdam“ war kein Zufall, sondern das Resultat aktiver politischer Konstruktion – und wurde von verschiedenen Machthabern bewusst als Symbol staatlicher Legitimation genutzt. Barbara Stollberg-Rilinger rekonstruiert die Sakralisierung des Militärs unter Friedrich Wilhelm I. als frühmoderne Ideologieinszenierung. Matthias Grünzig beleuchtet, wie in der Weimarer Republik monarchistische Netzwerke gezielt an diese Deutungsmuster anschlossen. Marcus Funck verfolgt die Traditionspflege rund um das 9. Infanterieregiment, das bis in die Bundeswehr hinein als moralische Instanz verklärt wurde. Philipp Oswalt zeigt schließlich, dass der Streit um die Wiedererrichtung der Garnisonkirche mehr ist als ein ästhetischer – er ist ein Streit über Geschichte, Macht und die Symbole der Gewalt. Alle Beiträge entfalten ein Panorama der Erinnerungspolitik, in dem militärische Symbole, Orte und Rituale nie nur rückblickend, sondern stets zukunftsgerichtet wirken, auch oder vielleicht besonders in Potsdam.

5. Traditionen in der Gegenwart Was bedeutet das preußische Erbe heute – im Licht der Zeitenwende, des Ukrainekriegs, der Milliardenetats für Rüstung? Die Beiträge dieses Abschnitts versuchen keine einfachen Antworten, aber sie stellen die richtigen Fragen. Detlef Bald zeigt, dass autoritäres Denken in der Bundeswehr nie völlig verschwunden ist. Paul A. Koszuszeck analysiert, wie auch die DDR mit dem preußischen Erbe spielte – es ablehnte, aber gleichzeitig vereinnahmte. Auch Linda von Keyserlingk-Rehbein macht auf eine doppelte Erinnerung aufmerksam: Der 20. Juli 1944 steht für Widerstand – aber auch für eine Elite, der die Demokratie sehr oft fremd war. Jakob Saß benennt Kontinuitäten rechter Traditionslinien in der Bundeswehr und warnt vor einem Militär, das sich seiner Geschichte zu sicher ist. Sven Lange schließlich diskutiert, was ein demokratisches Traditionsverständnis heute leisten muss – und wie schwer es ist, eine Balance zwischen Zugehörigkeit und Distanz zu finden. Gemeinsam zeichnen diese Beiträge ein Bild militärischer Erinnerung als offenes Feld, das gesellschaftlicher Aushandlung und demokratischer Transparenz bedarf.

Fazit: „Das preußische Militär als Tradition und Erbe“ ist ein Sammelband von bedrängender Gegenwärtigkeit, weil die hier versammelten Texten nach den Grundlagen fragen: Was ist ein Militär in einer Demokratie? Was bedeutet heute eine Soldatin oder ein Soldat zu sein? Dieses Buch ist daher ein Angebot zur politischen Mündigkeit: Es lädt dazu ein, das vermeintlich Selbstverständliche – die Uniform, den Zapfenstreich, den Begriff der Kameradschaft oder die Garnisonkirche– als historische Konstrukte zu begreifen, die immer neu gedeutet und verhandelt werden müssen. In einer Zeit, in der die Wehrpflicht neu debattiert wird, erinnert dieser Sammelband daran, dass das Militär nie eine neutrale Institution war, sondern immer ein kultureller Ausdruck – mit Idealen, Widersprüchen und sehr vielen blinden Flecken. Und genau darum ist seine kritische Reflexion so wichtig.

Links zur Rezension des Buchs von Eckart Conze in der Süddeutschen Zeitung, Kurzfassung der Rezension im Perlentaucher ohne Paywall.

Online seit: 29. April 2025

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