Alternative Fakten

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In der ZEIT Nr. 45/ 2024 erschien von der Redakteurin Eveyln Finger der Artikel „Warum wird diese Kirche nicht gebaut?“, in dem die Autorin sich engagiert für den Wiederaufbau der gesamten Kirche einsetzt. Allerdings enthält der Artikel eine Reihe faktischer Fehler, die zentral für seine Argumentation sind. Dieses Argumentieren mit unwahren Tatsachenbehauptungen und verfälschenden Darstellungen ist allerdings kein Einzelfall, sondern kam in den letzten Jahrzehnten bei den Aufbaubefürworten zur Legitimation des Projektes immer wieder zum Einsatz – ob etwa seitens Andreas Kitschke vom Vorstand der Fördergesellschaft oder Altbischof Wolfgang Huber. Unrichtig wieder gegeben wurde sowohl die Geschichte der hitorischen Garnisonkirche wie auch die Geschichte des Wiederaufbauprojektes. Im Folgenden eine Klarstellung der Fehler aus dem Artikel aus der Zeit:

1.

Im Artikel heißt es: „Umso peinlicher, dass noch immer das Kirchenschiff fehlt, obwohl Potsdams Stadtparlament bereits im Herbst 1990 den kompletten Wiederaufbau beschlossen hatte. Es war eine der ersten Entscheidungen in der wiedervereinten Republik, angestoßen von den Bürgerrechtlern des Neuen Forums, befürwortet von einer Zweidrittelmehrheit.“

Der Beschluss von Oktober 1990, auf den sich diese Aussage bezieht, ist getitelt: „Zur behutsamen Wiederannäherung an den charakteristischen, historisch gewachsenen Stadtgrund- und aufriß.“ In diesen Antrag, der anderes zum Schwerpunkt hat, ist zur Garnisonkirche folgender Passus eingefügt:  „… mit Freude und Dank nehmen wir die Initiative der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e. V. zugunsten der Garnisonkirche zur Kenntnis, die dem Bedürfnis, die alte Schönheit der Stadt Potsdam wiederherzustellen, entspricht. … Der mögliche Wiederaufbau der Garnisonkirche wird in wirtschaftlich gesicherter Zukunft unserer Stadt seinen Platz finden; er wird nicht die Rettung der zu erhaltenden Originalbauten beeinträchtigen – eher fördern.“ 

Die Stadtverordnetenversammlung hat den Bau nicht beschlossen, sondern die Initiative für einen mit Spenden privat finanzierten Nachbau begrüßt. Zudem zeigt der Beschlusstext klar auf, dass dies nicht von den Bürgerrechtlern des Neuen Forums angeregt worden war, sondern von der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e. V. des rechtsradikalen Bundeswehroffizier Max Klaar. Die ehemaligen Bürgerrechtler waren in der Frage gespalten, neben einzelnen Befürworten gab es zahlreiche engagierte Kritiker, wie die der Potsdamer Heilig-Kreuz-Gemeinde mit ihrem Pfarrer Uwe Dittmar oder der Wittenberg Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer.

2.

Im Artikel heißt es:  „Zur Gemeinde gehörten in der Nazizeitmehrere Verschwörer des 20. Juli 1944, so Henning von Tresckow und Helmuth James von Moltke.“

Helmuth James von Moltke gehörte nicht zur Gemeinde der Garnisonkirche, auch wenn es so ohne Beleg bei wikipedia steht, zumal er gar nicht in Potsdam ansässig war. Zudem hat die– Wissenschaftlerin des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden Linda von Keyserlink bereits in einem Aufsatz im Jahr 2013 klar gestellt, dass die Garnisonkirche Potsdam anders als oft dargestellt kein Hort des Widerstands war.

3.

Im Artikel heißt es: „Erst Walter Ulbricht machte dem ein Ende, als er 1968 die Sprengung befahl.“

Wie der Historiker Matthais Grünzig in seinem Buch „Für Deutschtum und Vaterland. Die Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert“ 2017 mit zahlreichen Archivquellen ausführlich belegt, ging von Walter Ulbricht keine Weisung zum Abriss der Kirche aus. Die Entscheidung dazu wurde in Potsdam selbst getroffen. Der Verweis auf Ulbricht war offenkundig eine Entlastungslüge der Potsdamer Entscheidungsträger nach 1989.

4.

Im Artikel heißt es: „Max Klaar, einen westdeutschen Oberstleutnant a. D., der in den Neunzigern versucht hatte, den Wiederaufbau zu dominieren, bis seine rechte Geschichtsauffassung ruchbar wurde. Daraufhin distanzierte die evangelische Kirche sich scharf, lehnte alle von ihm gesammelten Spendengelder ab.“

Max Klaar und seine Mitstreiter „versuchten“ nicht, das Wiederaufbauprojekt zu dominieren, sondern sie waren es, die das Vorhaben initiierten und maßgeblich und bis 2001 nahezu alleinig vorantrieben. Wie es sich in der Medienberichterstattung, in den Parlamentsdebatten oder auch in den Korrespondenzen der Beteiligten zeigt, gab es neben Max Klaar und seiner Traditionsgemeinschaft in Potsdam länger als ein Jahrzehnt lang keine relevanten anderen Kräfte für das Projekt. Seine rechtslastige Geschichtsauffassung war zudem seit Anfang an bekannt. So war der von seiner Traditionsgemeinschaft der Stadt Potsdam 1991 geschenkte Nachbau des Glockenspiel der Garnisonkirche mit einer Karte  Deutschland in den Grenzen von 1937 dekoriert, die man ebenso wie einige andere anstössige Inschriften heimlich vor der Aufrichtung in Potsdam abschleifen bzw. durch teilweisen Neuguss ersetzen lies.

Die Kirche distanzierte sich von Max Klaar erst ab 2016, als Klaar seine einst für die Garnisonkirche gesammelten Spendenmillionen größtenteils für andere kirchliche Bauvorhaben gestiftet hatte. Noch im Jahr zuvor verteidigte Generalsuperintendentin Heilgard Asmus und der Potsdamer Superintendent Dr. Joachim Zehner Max Klaar gegen Kritik. Die Kirche hat auch keineswegs Spenden von Max Klaar abgelehnt. Im Gegenteil: als dieser Spenden zurückhielt, um noch stärker Einfluss auf das Projekt nehmen zu können, erwägte die Kirche, die Gelder einzuklagen (laut Bericht in der Märkischen Allgemeinen Zeitung  vom 17. 1. 2011). Und zahlreiche Kirchengemeinde wie etwa der Nikolai-Kirche in Potsdam nahmen bis zur Verausgabung aller Gelder Klaars Spenden freudig an und hielt für ihn auch Gottesdienste ab.

5.

Im Artikel heißt es: „Als in einem Bürgerbegehren dann der Vorwurf erhoben wurde, im Kuratorium säßen Nazis,…“

Diese Behauptung ist frei erfunden. Das Bürgerbegehren plädierte dafür, die Stiftung Garnisonkirche Potsdam aufzulösen. Zum Kuratorium heißt es dort einzig: „Im Kuratorium der Garnisonkirchenstiftung ist die Stadt Potsdam in einer Minderheitenposition und hat keine Möglichkeit, die Interessen der Potsdamer Bürgerinnen und Bürger durchzusetzen. Die Stadt kann noch nicht einmal selbstständig aus der Stiftung austreten. Sie bleibt zwangsweise Teil der kirchlichen Stiftung, bis diese aufgelöst wird. Mit diesem Bürgerbegehren fordern wir – die Potsdamer Bevölkerung – die schnellstmögliche Auflösung der »Stiftung Garnisonkirche Potsdam«, damit unsere Stadt den Neubau der Garnisonkirche nicht weiter unterstützt.

6.

Im Artikel heißt es: „Huber selbst sagt über den Wiederaufbau: “Ich habe mich erst darauf eingelassen, als klar war, dass die Bonner Nationalisten raus sind.” Gemeint ist die westdeutsche Initiative um Max Klaar, der die Kirche als preußischnationalistischen Ort wiederbeleben wollte. Huber in seiner Doppelfunktion als Landesbischof und Ratsvorsitzender lehnte nicht nur Klaars Ansinnen, sondern auch die beträchtlichen Spenden ab.“

Weder lehnte Bischof Huber Klaars Ansinnen noch seine Spenden ab. Im Juli 2000 traf sich Wolfgang Huber mit Max Klaar. Klaar unterbreite Huber ein Konzept für den Wiederaufbau, dass dieser 1:1 übernahm und gegen den innerkirchlichen Widerstand in Potsdam durchsetzte. Auf seine Veranlassung wurde 2001 die Konzeption für den Wiederaufbau „Spirit of Change/ Veränderung ist möglich“ entwickelt, welche eine institutionelle Einbindung von Klaars Traditonsgemeinschaft in der für das Projekt geplanten  kirchlichem Stiftung vorsah. Der „Ruf aus Potsdam“ von 2004, welcher in die Satzung der Stiftung bei heute eingeschrieben ist, hat die rechtslastigen geschichtsrevisionistischen Argumente Klaars und seiner Mitstreiter übernommen.

Noch bis Ende 2014 verwies die Webseite des Wiederaufbauprojektes mit einem eigenem Menüpunkt stolz auf den „Anstoß aus Iserlohn“. Max Klaars rechte Hand in seinem Engagement für die Garnisonkirche Potsdam war zudem langjähriger Vorsitzender der Fördergesellschaft, bis er anlässlich eines die Wehrmacht glorifizierenden Ausatzes von dieser Funktion entbunden wurde, auch wenn er erstmal im Vorstand verblieb.

7.

Im Artikel heißt es: „Bislang bekam das Projekt schändlich wenig öffentliche Gelder. Der Bund gab zwar 25 Millionen Euro, aber die Kirche nur ein Darlehen, die Stadt nichts. Umso großzügiger waren private Geldgeber.

Das ist unwahr. Der Anteil schon allein der Bundesmittel liegt deutlich über 50% der ausgewiesenen Kosten. Hinzu kommen 2,2 Mio. Euro vom Land Brandenburg und  Sachleistungen der Stadt Postdam für das Bauvorhaben im Wert  von mehr als 6 Mio. Euro. (Grundstück, Baufreimachung des Grundstücks durch Verlegung der Breiten Straße und Abriss der Kantine des Rechenzentrums, Erlass der Gebühren der Baugenehmigung). Private Spenden flossen in viel geringerem Maße und waren drastisch geringer als versprochen und eingeplant.

Online seit: 7. Dezember 2024

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