Pfarrer Johannes Kessler (1893-1907)

Thomas Posern

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Hof- und Garnisonpfarrer an der Garnisonkirche Potsdam 1893-1907, Hofprediger und Pfarrer in Dresden

„Diese Männergemeinde hat mich immer wieder verpflichtet, ein freudiges, männliches, heldisches Christentum zu predigen, schreibt Johannes Kessler[1] über die „glücklichste Periode meines Lebens“ – seine Zeit an der Garnisonkirche Potsdam – in seiner 1935 unter dem Titel „Ich schwöre mir ewige Jugend“ veröffentlichten Autobiographie.[2]

Am Ende seines Buches gibt Kessler Rechenschaft über den innersten Kern seines Verständnisses des christlichen Glaubens, ausgehend von der Gottesebenbildlichkeit des Menschen. Die „großen Wohltäter, die an der Menschheit gearbeitet und sich für sie aufgeopfert haben“[3], hätten trotz „so vieler herber Enttäuschungen“ an die Menschen geglaubt, „weil sie an Gott, an die Gottesschöpfung des Menschen glaubten“.[4] „Weil sie an das Ebenbild Gottes im Menschen glaubten, das nie ganz verlorengehen kann…“ formuliert Kessler im Anschluss für sich: „…darum heißt für mich die praktische Konsequenz dieses Menschheitsglaubens: Niemanden aufgeben!“[5]

Buchcover von Johannes Kessler: Heil Kaiser dir, Potsdam 1913

Dieser protestantische Pfarrer war in hohem Maße nationalistisch, antisemitisch, monarchistisch und militaristisch gesonnen und hat seine Gesinnung mit Energie und Kunstfertigkeit unter die Leute gebracht. Zugleich war er ein in mancherlei Hinsicht offener, kunstsinniger und hochgebildeter Bürger und Theologe. Was im ersten Augenblick als kaum vereinbarer Gegensatz erscheint, folgt nach unseren Kenntnissen durchaus einem weitverbreiteten Muster zumindest einer bis 1945 herrschenden Elite – bei genauerer Betrachtung auch über diese Jahreszahl hinaus, aber das soll nicht der Gegenstand der kritischen Betrachtung dieser Autobiographie sein.

Kritik im Jahr 2021 kann für sich in Anspruch nehmen grundsätzlich zu wissen, welche Folgen diese nationalistische, antisemitische, monarchistische und militaristische Haltung aus sich entlassen hat und sie weiß um deren Verantwortlichkeit für den Holocaust und die Gräuel zweier Weltkriege. Die Verantwortlichkeit der damals handelnden Akteure muss jedoch in den Zeitkontext eingeordnet werden. Die Haltung und Äußerungen Kesslers sollen nicht entschuldigt, wohl aber mit dem Zeitgeist korreliert werden. Vieles konnte man auch damals absehen und es gab im zeitgenössischen Diskurs durchaus andere Stimmen, die sich gegen Nationalismus, Antisemitismus, Militarismus und Sozialistenhatz wandten. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass ein Mann wie Kessler sich in einer Zeitgenossenschaft und insbesondere auch in einer bürgerlichen Schicht bewegte, die extrem nationalistisch geprägt war.[6]

Kindheit und Jugend

Geboren wurde Johannes Kessler 1865 im thüringischen Dörfchen Köstritz und war somit, wie seine aus Schleiz stammenden Eltern, ein Bürger des Fürstentums Reuß jüngere Linie. Das ist deshalb erwähnenswert, weil Kessler auch mit dieser Familie alten Hochadels in gesellschaftlichen Kontakt kam[7], wie es überhaupt zu einem der Grundzüge seines Lebens gehörte, erstaunlich früh und intensiv in Kontakt zu adligen und großbürgerlichen Kreisen zu treten. In die Wiege war ihm das nicht gelegt. Sein Vater war lutherischer Pfarrer sehr konfessionalistischer Ausprägung und enger Observanz[8], dem der Sohn einen „herben Zug“ attestiert[9]. Kurz nach der Geburt von Johannes Kessler rückte der Vater aus der Diakonatsstelle in Köstritz in eine Pfarrstelle im ebenfalls thüringischen Bröckau auf, kurz nach 1871 wurde er Pfarrer in der preußischen Altmark. In dieser ländlich geprägten Umgebung wuchs Kessler auf. In seiner Autobiographie beschreibt Kessler durchaus das dörfliche Pfarrleben in seiner Beschränktheit, doch bezeichnend für seine Schilderungen auch in späteren Lebensphasen ist schon hier, dass Beobachtungen im Blick auf die soziale Lage der Menschen in seinem Umfeld keine Rolle spielen. Frömmigkeitsgeschichtlich stellt er fest, dass „…damals in den Altmärkern ein gottesfürchtiger Geist lebte“[10] und sein Vater versucht habe, „diese kirchliche Sitte zur bewussten Sittlichkeit“[11] und „das äußerliche Kirchentum zu innerlichem Christentum zu veredeln“.[12] Für seine spätere Predigttätigkeit nahm er mit: „Was der einfache Mensch versteht, ist auch für den Gebildeten das Richtige – nicht umgekehrt!“[13]. Seine letzten Schuljahre verbrachte Kessler in einer von Friedrich Wilhelm IV 1851 gegründeten christlichen, stark pietistisch geprägten Schule – das noch heute existierende Evangelisch Stiftische Gymnasium Gütersloh, von Kessler noch „Johanneum“ genannt. Der Entschluss zur Gründung war im Revolutionsjahr 1848 gefasst worden; Kessler begleitet seinen Bericht dazu mit den Worten: „In erschreckendem Maße wuchs die Entfremdung des Volkes von Religion und Moral, es brachen aber auch Heilquellen zur Gesundung des Volkes auf.“[14] Zusammenfassend stellt Kessler im Blick auf seine Kindheit und Jugend als Schattenseiten eine große Ärmlichkeit und Enge und im Johanneum eine große Strenge fest.[15]

Studium

Sein Theologiestudium verbrachte Kessler zunächst in Leipzig und dann in Berlin. In Leipzig fand er bei seiner Großtante Unterkunft. Diese lebte offensichtlich in großbürgerlichen Verhältnissen und hier begegnete der Junge vom Lande gleich in den ersten Monaten seines Studiums im größeren Familienumkreis z.B. Mitgliedern der Familien Brockhaus, Breitkopf, Baedeker u.a.[16] Vor allem begegnete er der Welt der Musik und begann, diese für sich zu erschließen. Leipzig, so beschreibt Kessler, habe in den 70er und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts die „Führerschaft auf dem Gebiet der Musik“ gehabt und sei auf diesem Gebiet wichtiger als Berlin, München oder Dresden gewesen[17]. Kessler berichtet von zahlreichen unterschiedlichen Begegnungen mit Orgel, Thomanerchor und Aufführungen in Kirchen, Konzertsälen und Theatern; die Studenten meldeten sich als Statisten, um hier Zugang zu finden. U.a. begegnete er Johannes Brahms persönlich sowie einer ganzen Reihe von weltberühmten Musikern und Komponisten; die Berichte von solchen und ähnlichen persönlichen Begegnungen durchziehen Kesslers gesamte Autobiographie und entbehren natürlich auch nicht einer gewissen Eitelkeit. Sie machen aber neben anderen Begebenheiten deutlich, dass dieser Junge vom Lande aus ärmlichen und engen Verhältnissen plötzlich in eine Welt des Großbürgertums katapultiert worden war und es ihm offensichtlich gelang, sich hier zurecht zu finden. Zu welch einer Steigerung des Selbstbewusstseins mag ein solcher Aufstieg und Szenenwechsel für den Charakter und die Selbstwahrnehmung eines jungen Menschen geführt haben?!

Kessler wollte Musik nicht nur hören, sondern er wollte selbst musizieren. Als Kind und Jugendlicher hatte er sich das Klavierspielen autodidaktisch bis zu einer gewissen Fähigkeit, Choräle u.ä. zu spielen, beigebracht. Schon in Gütersloh aber hatte ihn das Cello begeistert und er hatte viel Zeit bei einem Cellisten verbracht, der ihm auch die Anfangsgründe der Beherrschung dieses Instruments beigebracht hatte. In Leipzig hatte er nunmehr die Gelegenheit, bei einem hervorragenden Cellisten des Gewandhaus-Orchesters Unterricht zu nehmen und bald auch Mitglied eines Orchesters zu werden. Das Cellospiel hat ihm wiederum im Lauf seines Lebens viele Türen zu gesellschaftlichen Begegnungen geöffnet, wie Kessler nicht müde wird zu beschreiben. Sein Enthusiasmus für die Musik war so groß, dass er eine Zeit lang überlegt, das Theologiestudium für die Musik an den Nagel zu hängen.

Es war Kesslers Vater gewesen, der ihm empfohlen hatte, in Leipzig das Theologiestudium aufzunehmen. Hintergrund dieses Vorschlags war, dass dort strenge Lutheraner wie z.B. Kahnis und Luthardt lehrten, auch der Alttestamentler Delitzsch gehörte für den Vater zu dieser Riege.[18] Kessler aber war von diesen Theologen enttäuscht, u.a. weil „sie … eine theologische Richtung (vertraten), die sich bewußt oder unbewußt den gesicherten Resultaten moderner Forschung verschloß“[19]. Er aber suchte Lehrer, die „…für die neuzeitlichen Probleme vorbereiten(de) und rüsten(de) Führer“ sein konnten.[20] Immer wieder begegnet man in Kesslers Werk der rundweg positiv konnotierten Figur des „Führers“; eine solche Haltung bereitet den Boden für autoritäre Führung und dann auch einen „Führerkult“. Aber deutlich wird an diesem Zitat auch, wie sehr Kessler sich von der Vaterfigur absetzen wollte und Orientierung bei den damals wissenschaftlich fortschrittlichsten liberalen Theologen suchte. Daher besorgte Kessler sich noch in Leipzig die neuesten Erscheinungen der Werke von Julius Wellhausen, Bernhard Weiß, Adolf Harnack und Albrecht Ritschl.[21] Es bleibt auch in den nächsten Jahrzehnten so, dass Kessler sich selbst als theologisch „liberal“, als begeisterter Anhänger Harnacks versteht, aber einen „positiven Standpunkt“ einnehme.[22]

Den Wechsel nach Berlin, seit wenigen Jahren Reichshauptstadt und „…im Begriff, auf fast allen Gebieten sich zur Weltstadt zu entwickeln“[23], bedeutete einen weiteren Sprung in der Biographie Kesslers, den der Stil und die Umgangsformen des Adels und der Glanz der Monarchie tief beeindruckten. „Es war die Zeit, in der der ehrwürdige Kaiser Wilhelm I., von seinem Volk umjubelt, im offenen Wagen die Linden entlangfuhr, da man dem eisernen Kanzler auf dem Weg zum Reichstag …“ und anschließend Moltke begegnete.[24] In der begeisterten Beschreibung Kaiser Wilhelms I. und des Wechsels der Schlosswache „mit klingendem Spiel“[25] wird offensichtlich, dass Kessler dem monarchistischen Schauspiel und schönem militärischen Schein vollkommen verfallen war.

Eine Weichenstellung zu einem extremen Nationalismus und Antisemitismus in den wissenschaftlichen Begegnungen Kesslers bildet seine Begeisterung für Heinrich von Treitschke, den er als „geistesmächtigen Herold des Preußentums“ apostrophiert[26], „…der Preußens Größe uns wie ein Prophet gedeutet und Preußens Geist uns eingeimpft hat…“[27] Bekanntlich vertrat Treitschke ein extrem nationalistisches und antisemitisch gefärbtes Preußenbild. 1879 löste ein Aufsatz Treitschkes in den Preußischen Jahrbüchern unter dem Titel „Unsere Aussichten“[28] den heute so genannten „Berliner Antisemitismusstreit“ aus. Zwar wendet Treitschke sich dagegen, die Judenemanzipation zurückzunehmen, doch findet sich in dem genannten Aufsatz das später von der nationalsozialistischen antisemitischen Wochenzeitung Der Stürmer vielfach genutzte Schlagwort „Die Juden sind unser Unglück“.[29]

Kessler hörte mit großer Begeisterung auch den ebenfalls hoch anerkannten in Berlin lehrenden Althistoriker Theodor Mommsen, mit dem er in Rom bei seiner ersten Italienreise „unter einem Dache“[30] wohnte, dem er als Prinzenerzieher einige Male bei gesellschaftlichen Anlässen begegnet war und mit dem spazieren zu gehen er in Rom die Gelegenheit nutzte. Kessler lässt sich über die wissenschaftlichen Fähigkeiten und Verdienste Mommsens sehr lobend aus[31], kritisiert dann aber: Mommsen „verkannte die Größe Bismarcks“ und „unterschätzte die Gefahr der Sozialdemokratie“…, die „Eifersucht Albions“ und den „Rachegeist Frankreichs“[32]. Bezeichnend ist, dass Kessler seine Auffassungen an denen eines v. Treitschke ausrichtet, nicht aber an Mommsen, der den Aufsatz Treitschkes zusammen mit anderen Wissenschaftlern sehr heftig kritisierte.[33] Immerhin hatte sich auch Kronprinz Friedrich zwischen 1879 und 1881 mehrfach öffentlich über die von Treitschke verbreiteten Ansichten empört gezeigt[34]. Selbst wenn es richtig ist, dass Menschen auch vom Zeitgeist geprägt werden, gibt es immer auch Alternativen, die in diesem Fall im direkten Umfeld Kesslers zu greifen waren und die er bewusst verwarf!

Die in Leipzig begonnene Teilnahme am gesellschaftlichen Leben in großbürgerlichen Salons setzte sich in Berlin und im Übrigen im ganzen weiteren Leben Kesslers fort,[35] wie er am Beispiel der Abende im Hause Flinsch[36] während seiner Studienzeit schildert, wo er vor allem wichtigen Figuren der Berliner Kunst- und Musikszene begegnet.

Im Studium in Berlin nimmt Kessler viele Gelehrte wahr und lobt die moderne vorurteilslose Wissenschaftlichkeit der Professoren an der theologischen Fakultät.[37] In besonderer Weise hebt er Adolf Harnack vor, dessen Wahrheitssuche, seine offene, kritische und freie Forschung jenseits eines engen Konfessionalismus sowie seine Anleitung zu eigenem Denken und Forschen.[38] Dass Kessler seine persönlichen Begegnungen mit Harnack ins rechte Licht stellt, konnte natürlich nicht ausbleiben: „Ich schätze es als einen besonderen Vorzug, daß ich nicht nur, wie viele Tausende von Studenten, zu seinen Füßen gesessen, sondern auch als Gast in seinem Hause verkehren und in mehrfachen Besprechungen Harnack persönlich nahetreten konnte“[39]. Der noch vor dem Ersten Weltkrieg u.a. in Berlin studierende Karl Barth war ebenfalls ein begeisterter Anhänger Harnacks; Barth aber wandte sich entsetzt von ihm wie von der gesamten liberalen Theologie ab wegen deren unterstützender Haltung der deutschen Kriegspolitik zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Kessler beschreibt, dass Harnack nach dem Krieg von konservativen Kreisen vorgeworfen worden war, „…daß er, der besondere Vertrauensmann des Kaisers, mit fliegenden Fahnen in das Lager der neuen Machthaber übergegangen sei“[40] und interpretiert, dass diejenigen, die Harnack kannten, „…ihm nie eine solche charakterlose Gesinnungsschwenkung zugetraut“ hätten.[41] Pragmatisch begründet er Harnacks Haltung damit, dass dieser um der Wissenschaft willen auch den „neuen Staatsgewalten“ seine Dienste nicht versagt habe[42]. Ganz deutlich erhellt daraus, dass Kessler offensichtlich zeitlebens bei seiner monarchistischen und allem Demokratischen abholden Haltung blieb und keine andere Weichenstellung – wie etwa die Karl Barths – auch nur im Entferntesten in Erwägung zog.

Nicht nur Männer der Wissenschaft – es waren alles Männer, die Kessler beschreibt – sondern auch Kirchenmänner prägen Kessler. U.a. beschreibt er Begegnungen mit dem Hofprediger und Militäroberpfarrer des kaiserlichen Gardekorps Emil Frommel und dem Hofprediger Stoecker.[43] Frommel wurde später sein Schwiegervater, so dass Kessler auch familiär der Garnisonkirche verbunden blieb.

Cover und Buchrücken der Autobiografie von Johannes Kessler: Ich schwöre mir ewige Jugend, Leipzig 1935

Exkurs Adolf Stoecker

In Stoeckers[44] Christlich-Soziale Partei trat Kessler ein[45] und teilte dessen heftigen Antisemitismus. Da Stoecker einen großen Einfluss auch auf Kessler ausübte, sei seine Rolle hier kurz geschildert. Kessler führt seine eigene antisemitische Haltung kaum einmal aus, sondern versteckt sich z.B. hinter der zustimmenden Schilderung einer Szene während eines Vortrages Stoeckers zum Thema „Braucht Berlin ein Heine-Denkmal?“,[46] von der er scheinbar berichtet, um Stoeckers Schlagfertigkeit zu bebildern: „Plötzlich rief er: ‚Ich bitte die aufzustehen, die für ein Heine-Denkmal sind.‘ Ein Tisch mit jüdischen Literaten erhob sich. Da rief Stoecker: ‚Meine Herrschaften, da steht das Heine-Denkmal.‘ Und wie ein Taschenmesser klappte das Denkmal zusammen“.[47]

Stoecker war ein großer Agitator, der trotz seines politischen Scheiterns den deutschen Protestantismus stark beeinflusst hatte – bis in die ersten Jahre der Bundesrepublik hinein.[48] Im Interesse einer breiten Volksmission, nationalkonservativ und patriarchalisch fundiert, scheute Stoecker sich nicht, äußerst aggressiv gegen „das Judentum“ zu Felde zu ziehen. „Der Protestantismus wurde durch ihn einseitig festgelegt und antisemitisch infiziert.“[49] Viele Protestanten kämpften unter dem Einfluss Stoeckers „zielbewußt oder unreflektiert… gegen Juden, Sozialisten und liberale Demokraten. Der Parteien- und Verbandsantisemitismus hat sich in der Folgezeit vornehmlich aus den evangelischen Bevölkerungsschichten des Reichs rekrutiert“.[50] Born merkt kurz und akzentuiert an: „Mit Stoecker kam der Antisemitismus in die deutsche Politik.“[51] Das wiegt schwer, auch wenn Stoecker sich 1879 vom Rassenhass distanzierte und gleichwohl scharf das „moderne Judentum“ angriff[52]. „Gerade im Gefolge von Stoeckers Wirken erschien es als undenkbar, daß ein wahrer evangelischer Christ anderswo als rechts stehen könnte… Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) profitierte erheblich von dieser Überzeugung, gerade durch den Kreis der Anhänger Stoeckers; aber auch in der Christlich-Demokratischen Union (CDU) spielte diese Einstellung, zumal in der Anfangsphase der Bundesrepublik, eine außerordentlich wichtige Rolle“.[53] „Stoecker schrieb 1895 in seiner autobiographischen Skizze ‚13 Jahre Hofprediger und Politiker‘…: ‚Berlin fand ich in den Händen des kirchenfeindlichen Fortschritts und der gottfeindlichen Sozialdemokratie; das Judentum herrschte in beiden Parteien. Die Reichshauptstadt war in Gefahr, entchristlicht und entdeutscht zu werden… Es schien, als wäre der große Krieg geführt, damit das Judentum Herr von Berlin sei“.[54] „Für ihn (i.e. Stoecker) stand fest, daß ‚Fortschritt und Judentum in religiöser wie in sozialer und politischer Beziehung die Demokratisierung und Sozialdemokratisierung von Berlin verschuldet haben‘“.[55]

Stoecker war bedeutsam für die Übernahme solcher Einstellungen in der Evangelischen Kirche. Er entwickelte seine Anschauungen jedoch in einem Umfeld einer neuen antisemitischen Welle: „Deutschland erlebte im ersten Jahrzehnt nach der Reichsgründung eine neue Art von Judenfeindschaft, die sich von früheren Bekundungen von Judenhass unterschied. Der traditionelle Antijudaismus sah in den Juden vor allem die ‚Gottesmörder‘, denen die Kreuzigung Christi angelastet wurde“.[56] Genau diese Form des Judenhasses finden wir auch bei Kessler; sie bildet durchaus auch eine Prädisposition für den neuen, rassistischen Antisemitismus: „Der alte religiöse Antijudaismus starb in den siebziger Jahren nicht ab. Er floss vielmehr in den ‚modernen Antisemitismus‘ mit ein, der nur insofern ‚modern‘ war, als er sich gegen das moderne, emanzipierte Judentum richtete…“[57] Die große Wirtschaftskrise der Jahre 1873 bis 1878/79, beginnend mit dem Zusammenbruch der Wiener Börse 1873[58], wurde dem damaligen Wirtschaftsliberalismus angelastet. In diesem Zusammenhang wurde gegen die Juden und das „internationale Börsenkapital“ agitiert[59], die angeblich dieses Börsenkapital beherrschten. „Mit der Wirtschaftskrise von 1873 endete jene kurze, alles in allem judenfreundliche Zeit, die mit dem Aufschwung der liberalen Bewegung um 1859 begonnen hatte“[60]. Die antisemitische Argumentationslinie reichte bis in die katholische Kirche hinein, wo der durch sein soziales Engagement weithin bekannte Bischof von Mainz, Wilhelm von Ketteler, den Kulturkampf als eine „‘freimaurerisch-jüdisch-liberale Verschwörung‘ gegen die katholische Kirche wertete“.[61]

Von Stoecker schreibt Kessler, dass er sein Leben sehr stark beeinflusst habe.[62] Stoecker habe begeisternd gepredigt und habe dabei „die Politik völlig ausgeschaltet“[63], obwohl er Politiker war, Reichstags- und Landtagsabgeordneter und Gründer der Christlich-Sozialen Partei. Als Politiker nahm Stoecker eine Außenseiterposition wahr und scheiterte schließlich. Bemerkenswert ist vor allem vor dem Hintergrund, dass Kessler die starke Beeinflussung durch Stoecker so hervorhebt. Stoeckers Verbindung von sozialem Programm mit scharfem Antisemitismus und Gegnerschaft zur Sozialdemokratie sieht Kessler klar – und voll zustimmend! „Welches waren nun die eigentlichen zerstörenden Mächte? Er (i.e. Stoecker) erkannte immer klarer: der kirchenfeindliche Fortschritt und die gottfeindliche Sozialdemokratie, und hinter beiden als beherrschende Macht das Judentum“.[64] Nach Stoeckers Sturz und Tod notiert Kessler, dass sich seine „Mahnung zur sozialen Verantwortlichkeit in Staat und Kirche durchgesetzt“ habe[65]. Dies ist eine der äußerst rar gesäten Stellen, an denen Kessler die soziale Frage im ausgehenden 19. Jahrhundert in seiner über 350 Seiten starken Autobiographie wenigstens erwähnt. Allerdings schwimmt er auch in dieser Hinsicht wie der Fisch im Wasser: Darin, dass die soziale Frage über Seelsorge und Caritas nicht Sache der Kirche sei, ist man sich weithin einig. Die Antwort auf die soziale Frage gebe die Kirche durch Seelsorge und Predigt, so der lutherische Abt des Klosters Loccum 1887.[66] Auch die Elemente des extremen Nationalismus und des Antisemitismus teilt Kessler zumindest mit sehr breiten bürgerlichen und kleinbürgerlichen Schichten des deutschen Protestantismus. Diese verhängnisvolle Disposition bleibt dominant bis mindestens in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein, eher noch bis zu den Umbrüchen ab Mitte der sechziger Jahre hin.

Man findet jenseits der vielsagenden Anekdote zu Stoecker und dem Heine-Denkmal keine eigenständige antisemitische Argumentation Kesslers! Kessler begründet nicht, sondern schließt sich kritiklos antisemitischen Idolen an (Treitschke, Stoecker u.a.) und bewegt sich damit in der Mitte eines bürgerlichen Mainstreams. Allerdings findet man z.B. in einer seiner Kriegspredigten[67] eine lupenreine antijudaistische Argumentation, die man als Grundlage seiner antisemitischen Haltung werten muss. In seiner Predigt am Sonntag Oculi „Der schwerste Kampf – der größte Sieg“ am 7. März 1915[68] findet sich in dem Vorwurf gegen das jüdische Volk als Christusmörder ein seit Jahrhunderten – und nicht zuletzt seit Luthers antijüdischen Exzessen – bekannter, scheinbar theologisch begründeter Antijudaismus in Verschränkung mit heftiger Kritik an England, für die Kessler eine deutsch-englische Zeugin bemüht. Kessler predigt über das Thema „Versuchungen“. „Und der dritte Feind, der furchtbarste – die Sünde der Welt. Fühlen wir doch, was es für Jesum bedeutet: Israel verwirft seinen Messias. Das auserwählte Volk, an das Gott seine höchsten Gnaden gewendet, für das Jesus drei Jahre lang in unermüdlicher Liebe sich verzehrt, dies Volk stand im Begriff, seinen Retter zu erwürgen. Furchtbarste Freveltat, die je geschehen! Grausiger Gipfelpunkt menschlicher Sünde! Wir verachten dies Volk, wir verabscheuen es, hassen es vielleicht – aber Jesus konnte das nicht, er konnte nicht Trotz gegen Trotz, Haß gegen Haß stellen, er mußte dies gemeine Volk in tiefster Seele bemitleiden – warum? – weil er es liebte, mit der ganzen heiligen Glut seiner Seele liebte. Und wie unsagbar mußte diese Liebe nun leiden! Eine Deutsch-Engländerin schreibt mir in diesen Wochen, sie habe in ihrem Leben viel Schweres durchgemacht, Mann und Kinder begraben, aber das Allerschwerste, das, woran ihr Herz sich verbluten möchte, das sei die Sünde ihres Volkes, die Schmach, die England jetzt auf sich häufte; an ihrem eigenen Volke irre werden zu müssen, das möchte ihr das Herz brechen“.[69] Neben der Gefolgschaft zu antisemitischen Idolen bildet Kesslers theologischer Antijudaismus die entscheidende Grundlage für seinen Antisemitismus. Damit wurde er, wie viele andere seines Schlages, zum Wegbereiter von Auschwitz.

Immer wieder erwies sich auch die Begeisterung für die Musik und die Tatsache, dass Kessler offenbar leidlich Cello spielte, als ein Schlüssel für gesellschaftlichen Aufstieg und Karriere: Oberhofprediger Kögel, den Kessler „gleichsam… als evangelischen Papst“ apostrophiert,[70] lernte er dadurch kennen, dass er auf dessen Bitten kurzfristig und zu für ihn ungelegenem Zeitpunkt die Cellostimme im Stadtmissionskonzert[71] übernahm. Durch diese Bekanntschaft kam Kessler kurz später im Domkandidatenstift unter, wurde Hauslehrer im Gräflich Harrachschen Haus, erhielt ein Schleiermacher-Stipendium und wurde bald auf Kögels Empfehlung hin Erzieher der Kaisersöhne.

1887 macht Kessler sein erstes theologisches Examen und tritt seine erste Hauslehrerstellung an. In die Reihe der kunstsinnigen Begebenheiten reiht sich die Italienreise Kesslers ein, die er mithilfe des Schleiermacher-Stipendiums unternehmen kann und die ihn vor allem mit bildender Kunst und Malerei in Kontakt bringt[72]. Auf der Suche nach noch unbekannten Exemplaren der Acta Martyrum, die als wissenschaftlicher Auftrag mit der Italienreise verbunden war, kam Kessler u.a. auch in Kontakt mit dem mönchischen Leben in der Abtei der Benediktiner auf dem Monte Cassino.[73] Hier wie später in Gesprächen mit katholischen oder auch islamischen Theologen[74] zeigte Kessler sich als offen und interessiert an Leben und Denken der fremden Konfession ebenso wie der fremden Religion. Bei einer späteren Italienreise wird ihm die Ehre zuteil, mit Papst Pius XI persönlich in Castel Gandolfo sprechen zu können. Am Ende seines Berichtes zu diesem Erlebnis wird deutlich, dass Kessler eine „… Communio sanctorum von der Gemeinschaft der Glaubenden auch in verschiedenen Kirchengebilden“ vorschwebte.[75]

In die Zeit der ersten Italienreise als junger Mann fällt seine Ernennung zum „Zivilerzieher der kaiserlichen Prinzensöhne“, zum Prinzenerzieher.[76] Kessler berichtet, Kaiserin Auguste Viktoria habe für diese Aufgabe einen Theologen (statt eines Philologen) gewünscht. Einleitend zu dieser Lebensstation bekennt Kessler: „Die ganze militärisch-patriotische Umwelt Berlins hatten die Bewunderung und Verehrung für das Kaiserhaus in mir erweckt“[77]. Vier Jahre lang war Kessler Hauslehrer der beiden ältesten Söhne des Kaiserpaars, Wilhelm und Eitel Friedrich. Insgesamt war er 18 Jahre lang durch seine Funktionen in der kaiserlichen Familie und an der Garnisonkirche der kaiserlichen Familie persönlich verbunden. 1893 wurde er mit achtundzwanzig Jahren als Garnisonprediger nach Potsdam berufen und erhielt zusätzlich am 21. Mai 1898 den Titel eines Hofpredigers. Auf diese Weise blieb er zunächst noch gleichzeitig Erzieher der Kaisersöhne und nahm die Stelle in Potsdam wahr. Praktisch gleichzeitig mit der Übernahme der Stelle an der Garnisonkirche heiratet Kessler die Tochter des Garnisonpredigers Frommel. Diese Stellung behielt er bis 1907 bei und war dann von 1908 bis 1933 als Gemeindepfarrer an der Lukaskirche zu Dresden tätig.

Aus seinen Jahren am Hof in Berlin berichtet Kessler begeistert u.a. von Begegnungen mit Bismarck[78], Moltke[79] und Menzel.[80]

An der Potsdamer Garnisonkirche

An der Potsdamer Garnisonkirche gab es eine (kleine) Zivil- und eine (große und mit dem Militär immer größer werdende) militärische Gemeinde. Kessler war für letztere zuständig und damit „Soldatenpfarrer“ für das „1. Garde-Regiment zu Fuß“. Das brachte u.a. mit sich, dass Gläubige verschiedener Konfessionen und Religionen die Gottesdienste besuchten.

Mit Zustimmung und Begeisterung beschreibt Kessler die militärischen Epitheta ornantia dieser damals 200 Jahre alten Garnisonkirche: „Die strahlende Sonne und der zur Sonne fliegende Adler mit der Devise ‚nec soli cedit‘ ( = „Nicht (einmal) der Sonne weicht er“, erg. TP) an Kanzel, Orgel und auf der Helmstange des Turmes sind das kühne Symbol des Preußentums[81]. Die Fahnen und Standarten rings an den Pfeilern, die seit den Freiheitskriegen unsere braven Truppen geführt und zum Teil – die goldenen Kreuze bezeichnen es – mit stürmender Hand genommen haben, sind die Sinnbilder des Soldatentums. So wird diese älteste, denkwürdige Garnisonkirche gleich äußerlich als Preußens Soldatenkirche gekennzeichnet“.[82]

Kessler lobt sich sehr dafür, Zeit und Energie in den Besuch der einfachen Soldaten in ihren Kasernen gesteckt zu haben.[83] Mag man ihm die Tatsache solcher Besuchstätigkeit noch anrechnen, wendet man sich mit Grausen bei den Themen, die Kessler mit den Soldaten bespricht, wie z.B. folgenden: „Die Wahlsprüche der Hohenzollern“, „berühmte Feldherrn“, „historische Stätten“, „soldatische Tugenden“, „Fahneneid“ usw.[84] Wie schon andere urteilten, kann man nur bestätigen, dass es sich hier um die Fortsetzung der militärischen Ertüchtigung und der Stärkung soldatischer „Tugenden“ mit anderen Mitteln handelte. Einzig das Thema „Selbstmord“ fällt etwas aus der Reihe: Noch in Dresden eckte Kessler als Gemeindepfarrer bei den vorgesetzten Kirchenbehörden damit an, dass er auch Selbstmörder kirchlich bestattete.[85]

Dass er aufgrund seiner Erfahrung bei Hofe guten Zugang zum Offizierskasino hatte, glaubt man ihm gerne; das ist einerseits soziologisch nicht weiter verwunderlich – auch wenn es offenbar Kollegen gab, denen dieser Umgang wohl schwerfiel[86] – lässt andererseits aber offen zutage treten, dass dieser Militärpfarrer wie vermutlich die meisten, wenn nicht gar alle seiner Kollegen eher auf der Seite des Offizierskorps als bei den Mannschaften zu finden waren.

Immer wieder trifft man auf geradezu groteske Diskrepanzen zwischen der (Selbst)-Wahrnehmung Kesslers und den auch in seiner eigenen Autobiographie wahrzunehmenden gesellschaftlich-politischen Wirklichkeit. Die beschriebene Begeisterung für die Symbole siegreicher Kriegsführung (u.a. in der Garnisonkirche) oder Kesslers begeisterte Beschreibung Admiral Scheers als „Führernatur“, der in der Skagerrak-Schlacht gezeigt habe, dass „Albion“ nicht unbesiegbar sei, wie Kessler es ausgesprochen hetzerisch und propagandistisch darstellt[87] – all das lässt sich nicht damit in Einklang bringen, dass Kessler keinerlei „Potsdamer Militarismus“ noch „Kriegshetzerei“ oder „Kriegslüsternheit“ erlebt haben will[88]. Über viele Seiten[89] lobt Kessler Generalfeldmarschall Mackensen – nach dem Ersten Weltkrieg – für seinen „unerschütterlichen Glauben an „deutsche Größe“ und „deutsche Kraft“ und „die sichere Hoffnung des endlichen Sieges“ über allen Klee und dafür, dass er den „deutschen Wehrwillen“ gestärkt habe.[90] Bei der Beschreibung dieses später von den Nationalsozialisten für ihre Propaganda sich benutzen lassenden militärischen Führers zitiert Kessler einen Wahlspruch Mackensens: „Gott vertrauen und der eigenen Kraft“[91]! Diese völlig unbiblische Maxime dürfte der Kern der „Koppelschlosstheologie“ des „Gott mit uns“ sein, die bei Kessler immer wieder begegnet, nicht zuletzt in seinen Kriegspredigten.

Exkurs: Verabschiedung des deutschen Expeditionschors zur Niederschlagung des „Boxeraufstands“

Schon im Jahr 1900 erweist Keßler sich anlässlich seiner Predigt in der Garnisonkirche zur Verabschiedung des deutschen Expeditionskorps[91a] zur Niederschlagung des sog. „Boxeraufstands“[91b] in China als hemmungsloser Kriegsprediger. Während Keßler in seinen späteren Kriegspredigten während des Ersten Weltkriegs immer wieder das Motiv des Verteidigungskrieges heranzog – und damit der Lehre vom „Gerechten Krieg“ entsprechend den Krieg für die deutsche Seite zu legitimieren suchte – haben wir es hier mit einem Truppeneinsatz in einem überseeischen Kolonialgebiet[91c] zu tun. Gemäß dem Bericht des Potsdamer Intelligenzblattes Nr. 173 vom 26. Juli 1900[91d] spricht Keßler in seiner Eigenschaft als Hof- und Garnisonpfarrer die „letzten seelsorgerischen Worte auf heimathlichem Boden“[91e]. Als biblische Parole für die ausziehenden Truppen gibt er aus: „Wachet im Hause, seid männlich und stark!“[91f] Dieses Wort soll eine „große starke Parole“ sein, die den Soldaten „den Tod für das Vaterland erleichtert und versüßt!“[91g].  Offenbar unter Bezug auf den Mord aufständischer Chinesen an dem deutschen Gesandten v. Ketteler bezeichnet er diese als „feige Meuchelmörder“ und andressiert die Soldaten: „Ihr sollt die gepanzerte Faust sein, die hineinfährt unter die feigen Meuchelmörder. Der tausendjährige Kampf zwischen Morgen- und Abendland ist wieder ausgebrochen, es gilt nicht nur die Glieder der Kultur, sondern auch den europäischen Handel, die Fahne, die über unseren Kolonien schwebt, zu schützen! Völker Europas, wahret die heiligen Güter. Ihr seid aber auch die Streiter Gottes, die nicht ruhen dürfen, bis sein heiliges Wort für alle gilt. Nicht Friede darf werden auf Erden, bis das heilige Evangelium der Glaube aller Völker ist. Ihr seid die Pioniere des gekreuzigten Heilands! Darum Hand an das Schwert! … Es schaut auf euch der heilige Gott“[91h] (Hervorh. i. Orig.). Die Predigt endet mit den Worten: „Geht mit Gott, kämpft mit Gott, siegt mit Gott! Amen!“ Eine kleine Ironie der Geschichte, dass die deutschen Truppen zu spät in China eintrafen, weil Russen und Japaner das Gesandschaftsviertel in Peking schon entsetzt hatten und den Deutschen so das Kampfgetümmel erspart blieb.

Zu Recht urteilt Linke: „Das klingt nach heiligem Krieg“[91i] und fügt mit einem Zitat aus Keßlers Predigt an: „Und die obligatorische Belohnung wurde auch versprochen: ‚Seid männlich und seid stark, wenn es hinein geht in die Schlacht. Seid männlich und stark, wenn die Kugeln um euch sausen, und seid männlich und stark, wenn der Tod einst naht, denn ihr werdet dann die Krone des Lebens empfangen‘“[91k].

Dem Neuen Testament und der Botschaft Jesu entgegengesetzt leitet schon der Autor des Artikels im Intelligenzblatt mit einem Rachemotiv ein: „Nun ziehen sie hinaus, unserer wackeren Söhne des Vaterlandes, zu rächen die unerhörte Schmach, die im fernen Osten unserem Deutschthum von frechen Bubenhänden zugefügt wurde…“

Keßler weckt ungeniert und gänzlich unbiblisch eine Kreuzzugsstimmung, am klarsten in der Formulierung „Ihr seid die Pioniere des gekreuzigten Heilands! Darum Hand an das Schwert…“. Damit reiht er sich allerdings in eine durchweg unrühmliche christliche Tradition ein.  Er erweist sich in seiner bellizistischen Predigt als typischer Vertreter des nationalistischen Bürgertums, das in Deutschland wie bei den anderen Kolonialmächten mehr als die jeweiligen Regierungen auf den Erwerb von Kolonien drangen[91l]. Immer wieder wird in der Predigt die Parole „„Seid männlich und stark!“ skandiert. In übersteigert nationalistischer Manier spannt Keßler einen Bogen vom Krieg 1870/71 – „Ihr seid die Söhne jener Väter, die einst auf blutigen Schlachtfeldern die deutsche Einheit erkämpft“ – zum Kaiser und zu Gott selbst – „Es schaut Euer Kaiser auf Euch! Es schaut auf Euch der heilige Gott“[91,]. Auch Friedrich Wilhelm I und Friedrich der Große schaut nach den Worten Keßlers auf die ausziehenden Soldaten. Es klingen die Glocken der Potsdamer Garnisonkirche und „ein feste Burg“ wird zitiert. Wenn man Keßler so von theologisch-nationalistischem Allgemeinplatz zu Allgemeinplatz schwadronierend folgt, wundert es nicht mehr wirklich, dass dieser Mann am Hofe Wilhelms II keinen Militarismus zu entdecken vermochte, da er in dieser Tradition zu schwimmen gelernt hat wie der Fisch im Wasser.

Keßlers Kollege an der Garnisonkirche als Pfarrer der Zivilgemeinde war der um „ein Menschenalter älter(e)“ Hofprediger Rogge, der anlässlich des Sieges über Frankreich und die Gründung des Deutschen Reiches 1871 die „Weiherede“ in Versailles gehalten hatte. Keßler erwähnt heftige Spannungen zwischen ihm und Rogge, die aber offensichtlich mehr persönlicher Natur waren und nicht auf einem Gegensatz politischer oder theologischer Art schließen lassen.[92]

Im Kontext von Begegnungen mit Friedrich v. Bodelschwingh[93], den Kessler als „die Zierde unserer evangelischen Kirche“[94] wie auch als „Führernatur“ (!)[95] apostrophiert, zeigt sich, dass er statt ins Höfische und Militärische auch in die Innere Mission bzw. entstehende Diakonie hätte gehen können. Bodelschwingh wollte Kessler für die Betheler Anstalten gewinnen[96]! Allerdings darf man auch nicht die nationalistische Seite Bodelschwinghs vergessen, der den „Tag von Sedan“ als deutschen Nationalfeiertag vorgeschlagen hatte.[97] Als Nationalfeiertag den Tag der Niederlage Napoleons (2. September 1870) zu wählen – statt z.B. das Datum der Konstituierung des Deutschen Reiches 1871 – war ein Affront gegen den französischen Nationalstolz und begünstigte künftige Feindschaft.

Im Zusammenhang der Tätigkeit Bodelschwinghs mit Kranken wie auch mit Menschen, die auf der Straße lebten – Obdachlose wie auch „wandernde Handwerksburschen“ – spricht Kessler vom „Elend der Großstadt“[98]. Selbst hatte er das „Elend der Großstadt“ in Berlin im ausgehenden 19. Jahrhundert nicht wahrgenommen oder thematisiert! Später in der Dresdener Zeit taucht das Thema als Gegenstand von an Frauen delegierter „Armenfürsorge“[99] noch einmal auf, wenn er von seiner sozialdiakonisch offensichtlich sehr aktiven Frau Maria schreibt: Maria ging nachmittags mit den Kindern zu „Armen und Kranken“, „…damit sie auch Dachstübchen und Kellerwohnungen kennenlernten und soziales Herz und soziales Gewissen bekämen…“[100].

Pfarrer Johann Kessler, 1933, Q: Archiv der Lukaskirche Dresden Sig. 294
Pfarrer Johann Kessler, 1933, Q: Archiv der Lukaskirche Dresden Sig. 294

Dresdener Gemeindepfarrer, der „Tag von Potsdam“ und Kriegspredigten

Den „Tag von Potsdam“ (21. März 1933)[101] erlebt Kessler als Dresdener Pfarrer im Übergang zu seinem Ruhestand.[102] Keine Spur von Distanz zu diesem gelungenen Propagandacoup der Nationalsozialisten ziert die Beschreibung des Erlebnisses, das für Kessler „…gewissermaßen den Höhepunkt meiner Erinnerungen an diese Kirche (i.e. die Garnisonkirche, TP) bildet“[103]. Kessler beschreibt diesen Tag als einen, „…der nicht nur für diese alten Soldatenkirche einen Ehrentag bedeutete, sondern in der Geschichte unseres deutschen Volkes ein Tag von erhabener Größe und ungeheurer Wucht war, ein tiefer Einschnitt in der Geschichte unseres Vaterlandes, ein Tag, an dem es uns war, als würden die Türen einer alten Zeit zugeschlagen und die Tore einer neuen Zeit aufgesprengt“[104]. „Meine Freude war groß, als ich in Dresden hörte, daß mein altes Potsdam zum Schauplatz der feierlichen Proklamation des Dritten Reichs bestimmt worden sei…“[105] „Und noch höher schlug mein Herz, als ich vernahm, daß das neue Reich seine Weihe, gleichsam seine Taufe erhalten sollte in meiner lieben alten Garnisonkirche“.[106] In diesen Worten beschreibt Kessler, der von Reichspräsident Hindenburg persönlich zur Teilnahme an der Feier eingeladen wurde,[107] die theologische und geschichtliche Deutung, die der Garnisonkirche gegeben werden sollte: Sie diente der „Taufe“ des „Dritten Reiches“, der Taufe der nationalsozialistischen Ideologie! In der Darstellung der propagandistisch geschickt inszenierten Demutsgeste Hitlers gegenüber Hindenburg findet Goebbels in Kessler einen perfekten Interpreten: „Hitler verneigte sich vor Hindenburg, sie reichten sich die Rechte und sahen einander still und tief in die Augen. Da fühlten wir unmittelbar: jetzt vereinigen sich zwei Mächte, zwei Zeiten, zwei Welten: das reife Alter und die männliche Jugend, die ehrwürdige Vergangenheit und die sich anbahnende Zukunft, der Heerführer mit dem Blücherkreuz und der Volksführer mit dem Hakenkreuz, der soldatische, aristokratische, konservative Volksheros und der Mann aus dem Volke, der unerbittliche Kämpfer, der Bahnbrecher eines neuen Reichs…“[108].

Publikationscover von Furchtlos und treu. Erste Sammlung von Predigten und Ansprachen in den Kriegstagen 1914, gehalten von J. Keßler, Dresden 1914

Wie schon mehrfach erwähnt, ist Keßler nicht nur empfänglich für Führergestalten, sondern sucht aktiv nach „Führern“ und ist somit sicherlich auch mitverantwortlich für einen Führerkult. Zu seiner Darstellung des „Tages von Potsdam“ passt seine Wahrnehmung Hindenburgs: „Wie es… mit den Alpenbergen ist, daß, je näher man an sie heranwandert, sie um so majestätischer, ehrfurchtgebietender werden, so ist es auch mit manchen ‚Größen‘. Im vertrauten Verkehr, in den Wänden ihres Hauses, in ihrer Berufsarbeit gewinnen sie nur, wachsen empor ins Übermenschliche. Hindenburg gehört zu diesen“.[109]

Auch für seine Zeit als Dresdener Gemeindepfarrer muss man festhalten, dass Keßler sich nicht nur als Prediger, sondern auch als Seelsorger verstand. Es war ihm wichtig, nicht nur in „Sprechstunden“ ansprechbar zu sein, wie manche seiner Kollegen und er achtete sehr darauf, z.B. alle Konfirmandeneltern zu besuchen und alle Kasualbesuche zu Hause bei den Familien zu machen[110]. Den ersten Weltkrieg erlebt Kessler zunächst als Dresdener Gemeindepfarrer. Er bemüht sich aber intensiv darum, als Militärpfarrer an der Front eingesetzt zu werden, was er nach einigen Widerständen durch die persönliche Fürsprache von Wilhelm II erreicht[111]: Er wurde als Divisionspfarrer eingesetzt, zunächst in Frankreich.

Publikationscover von Durch Gott zum Sieg. Zweite Sammlung von Predigten und Ansprachen in den Kriegstagen 1914, gehalten von J. Kessler, Dresden 1914

In seiner Autobiographie berichtet Kessler von einer Kriegspredigt, die er an Weihnachten 1915 (?) in der Kathedrale zu Lille zum Thema „Friede auf Erden“ gehalten hat[112]. Er legt dieses „Weihnachtswort“ dahingehend aus, dass „der Herzensfriede“ gemeint sei, es gehe nicht um „schwächliche, leidensscheue Friedenssehnsucht“ und „Allerweltspazifismus“[113]. Die beiden nächsten Kriegsweihnachten befindet sich Kessler in der gleichen Funktion in Russland.

Ein Charakteristikum seiner Theologie wie seiner ganzen Weltsicht – man kann auch sagen: seines Charakters – war offensichtlich die Verachtung alles Schwachen. Deutliches Signal ist schon die eingangs zitierte Aussage Kesslers, er habe sich verpflichtet gefühlt, ein „…männliches, heldisches Christentum zu predigen“.[114] Selbst im Blick auf Jesus spricht Kessler von seinem „Kampf und Heldentod“.[115] Vollends deutlich wird diese Linie in Kriegspredigten, die Kessler noch in Dresden hält.[116] In diesen Predigten wird Gott in erschreckender Klarheit für den Krieg und soldatische Tugenden funktionalisiert. Auch dort, wo Kessler vom Grauen des Krieges u.a. angesichts von Lazaretterfahrungen spricht, wird einerseits die Schuld an den Schrecken des Krieges den feindlichen Mächten zugeschoben: „Wehe den charakterlosen Fürsten, wehe den gewissenlosen Diplomaten, die solches Herzeleid heraufbeschworen! Es wird ihnen einmal schwer werden, solche Blutschuld zu verantworten vor dem Richterstuhle des heiligen und gerechten Gottes!“[117]. Aus dem Kontext geht glasklar hervor, dass die Fürsten und Diplomaten der gegnerischen Mächte gemeint sind;[118] kein Gedanke, dass ebendieser Schuldfrage sich auch die deutsche Elite einmal stellen müsste. Und andererseits wird der Krieg, eben noch in der Hand der Menschen eine „furchtbare Brandfackel“,[119] „…zu einer Zuchtrute, mit der er, der heilige Gott, das Unheilige straft und richtet und vernichtet“.[120] Und Gott führt auf geheimnisvolle Weise durch den Krieg alles zum Besseren: „Der Krieg erzeugt wieder Helden, ungezählte Helden, auch wenn keine Kriegschronik ihre Namen nennt. Der Krieg weckt wieder und steigert und vollendet die hehren Tugenden, die Schmuck und Ehre des echten Mannes sind: „Treue“, „Selbstverleugnung“, „Gemeinsinn“ usw..[121] „Schulter an Schulter verwachsen sie zu einem Leib, zu einer Seele; Todesmut – sie gehen in den Kugelregen, als gings zum fröhlichen Fest!“.[122]

Publikationscover von Licht und Kraft. Fünfte Sammlung von Predigten und Ansprachen in den Kriegstagen 1914/15

Auch der Bericht Kesslers von der Bestattung Gefallener spiegelt die Funktionalisierung biblischer Motive für das Militärische und das Lob der „männlichen Stärke“ wider: „…mit ihrem soldatischen Gepräge entsprechen sie (i.e. diese Bestattungen, TP) ganz dem Geist des Krieges – kein sentimentales Lied, kein wehleidiges Wort, keine rührselige Stimmung; das markige Arndtsche Lied ‚Ich weiß, an wen ich glaube‘, die Ansprache auf den Klang gestimmt: ‚Der Tod ist verschlungen in den Sieg‘, und nach dem Segen ein fröhlicher Marsch“.[123]

Reinste Kriegstheologie spricht auch aus den überheblichen Worten, mit denen Kessler so tut – anders lässt sich das nicht formulieren – als würde er die neutestamentliche Weisung „Überwindet das Böse mit Gutem“ in diesen Kriegszeiten adaptieren: „…es ist unsere Pflicht, unsere Ehrenpflicht, die wir als Deutsche zu erfüllen haben. Hier gilt es zu beweisen, daß wir keine barbarischen Russen, keine fanatischen Belgier sind, sondern Deutsche mit deutscher Ehrlichkeit, mit deutscher Ritterlichkeit, mit deutschem Gewissen. Hier gilt’s zu beweisen, daß wir allen Ernstes an den hehren Beruf unseres deutschen Volkes glauben, daß wir vertrauen, dass es zu einem Licht und Salz in der Völkerwelt von Gott ausersehen ist, daß es uns keine Phrase ist, daß einst an dem deutschen Wesen soll die ganze Welt genesen. Das kann nur geschehen, wenn wir besser, edler, gerechter sind, wenn wir sie durch unsere sittliche Überlegenheit beschämen und richten und so das Böse mit Gutem überwinden“.[124]

Vergleichbare Argumentationsweisen wie geschildert findet sich in sehr vielen von Kesslers Kriegspredigten: Zentrale Bibelstellen werden mit den Themen Sieg, Heldentum, Pflicht usw. verknüpft. Vermutlich betrieb Kessler nach eigener Auffassung „biblische Theologie“, denn alle seine Ausführungen in den Kriegspredigten sind mit vielfältigsten Bibelzitaten gespickt! Der Friedenswille der deutschen Führung wird immer wieder hervorgehoben. Deutlich wird auch immer wieder die große Friedensliebe des Kaisers gepriesen, wie z.B. in Kesslers Predigt zum 25jährigen Regierungsjubiläum Kaiser Wilhelm II: „‘Meine Liebe zu dem deutschen Heere und meine Haltung zu demselben wird mich niemals in Versuchung führen, dem Lande die Wohltaten des Friedens zu verkümmern‘. Die königlichen Versprechen hat er voll und ganz eingelöst“.[125] Gott will, dass wir Frieden halten, aber der Krieg wurde dem Deutschen Reich bösartig aufgezwungen. Eigentlich, so Kessler, sollten „Christenvölker“ statt sich zu „…zerfleischen und einander (zu) vernichten“ „…in edlem Wettstreit um die hohen Kulturgüter kämpfen“.[126] „Muß uns nicht Trauer ergreifen, wenn wir denken an all das unsagbare Elend, das ein solcher beispielloser Weltbrand in seinem Gefolge hat, an all die Wunden, die dieser Völkerkrieg schlägt und die wohl niemals ganz heilen werden? Ob es von Ihm, dem Friedefürsten, nicht doch in diesen Tagen heißt: Er sah die Christenheit an und weinte über sie? – Aber wir trauern nicht nur – wir zürnen in heiligem Zorn…“[127]. Eindringlich verweist Kessler auf die „Nachtseiten“ des Krieges, die ungeheure Vernichtung von materiellen und „sittlichen Werten“[128] – mit dem Ziel, dass „heiliger Ernst“ der Unterton der Siegesfreude auf deutscher Seite sein müsse.[129] Zusammenfassend gibt Kessler seiner nationalistischen Hoffnung im Blick auf die Kriegsziele wie auch auf die mit der Kriegserfahrung verbundenen volksmissionarischen Folgen[130] Ausdruck. „Wir hoffen so zuversichtlich, daß unser deutsches Vaterland in neuer Herrlichkeit aus diesem Weltbrande hervorgehen wird, neuerstarkt nach außen, frei und ungehindert auf Weltmeer und Weltmarkt, deutschen Geist und deutsche Kraft auszuwirken unter den Völkern; neuverjüngt im Innern, frei geworden von Geldsucht und Genußsucht, los gekommen von Klassenhass und Parteihader, geläutert von Vaterlandslosigkeit und Opferscheu, wiedergeboren zu neuem religiös-sittlichen Leben…“[131].

Zumindest zu Beginn des Krieges ist Kessler auch zu einer gewissen differenzierenden „Ritterlichkeit“ fähig, die nicht einfach blindem Hass seinen Lauf lässt. Unter dem Titel „Sei getreu“ predigt er am 9. August 1914 zum Thema „Treue“, mit dem er eine besondere deutsche Eigenschaft hervorzuheben meint: „…des deutschen Volkes Ruhm und Ehre, Krone und Kleinod war allezeit die Treue“.[132] „Mögen andere Völker andere Vorzüge haben – auch wenn sie unsere Feinde geworden, verkleinern und verlästern wir sie nicht…“.[133] Diese anderen Völker tragen aber aus der Sicht Kesslers die alleinige Kriegsschuld, weil sie Deutschland den Aufstieg zur „Weltmacht“[134] nicht vergönnten: „Deutschland muss geschwächt, niedergeworfen, wenn möglich vernichtet werden! Das ist der wahre Grund des Krieges, alles andere sind heuchlerische Vorwände, elende Masken. Nieder mit Deutschlands Weltmacht! Das ist die schwarze Seele dieses freventlichen Krieges“[135]. Hier wird schon das Interpretationsmodell von Versailles und der Grund des Revanchismus gelegt, der die nächsten Jahrzehnte die Politik aller Konservativen bis hin zu den Rechtsradikalen für Deutschland bestimmen sollte.

Am Sonntag Invocavit 1915[136] predigt Kessler unter dem Titel „Verklärung“ über das Thema „Der Leidensweg – ein Verklärungsweg“.[137] Jesu Leidensweg, den dieser „mit Heroismus“[138] geht, führt zu seiner „inneren Verklärung“.[139] Diese Wegvorstellung „vom Leiden zur Verklärung“ wird unmittelbar auf den Weg des deutschen Volkes im Krieg übertragen: Der Krieg ist „Passionszeit für unser Volk. Trotz all des Erhabenen, wozu der Krieg uns begeistert, trotz all der Siege, für die wir auch heute wieder Gott danken…“[140] „Wir leiden unter den furchtbaren Todesopfern, die der Krieg gefordert und noch fordern wird, unter den unsäglichen Leiden, die die Lazarette, die Gefangenenlager, all die verwaisten Stätten in sich schließen; wir leiden unter der furchtbaren Macht der Sünde, welche die halbe Welt in ein Schlachtfeld verwandelt und das Meer blutrot färbt und die Dämonen entfesselt. Aber in dieser Leidenszeit soll es heißen: Deutsches Volk, die Stunde ist da, da dich Gott verklären will!“.[141] Mit dröhnenden Worten bekräftigt Kessler, dass wir es zu tun haben mit der „…entscheidungsschwere(n) Feuertaufe, in der Gott unser Volk läutern will von so manchem Schaden… und durch gewaltige Hammerschläge es schmieden und stählen will zu dem Werkzeuge, mit dem er sein Reich weiterbauen kann in der Welt“.[142]

Kessler braucht keine Hasstiraden gegen andere Nationen: Die religiöse Überhöhung, die kurzschlüssige Identifikation des deutschen Volkes mit dem Volk Gottes, ja, mit dem Werkzeug zur Auferbauung des Reiches Gottes in der Welt, enthebt ihn dessen. Denn mit dieser Denkfigur hebt Kessler das deutsche Volk kategorial über alle anderen Völker! Der Kampf gegen sie und ihre Unterwerfung wird zum gottgegebenen „Beruf“ des deutschen Volkes, dazu hat Gott die Deutschen erwählt. So geht es immer weiter! „Wenn nicht alle Zeichen trügen, bekommt unser Volk einen neuen Weltberuf größer noch als in den Tagen der Reformation und in der Zeit der Befreiungskriege. Nicht nur deutsche Arbeit, deutsche Kultur, deutschen Geist gilt es hineinzutragen in die Völkerwelt, nein, Größeres noch: Deutschen Glauben, recht verstanden den deutschen Gott. Alle Lande sollen seiner Ehre voll werden“.[143] Das sind Aussagen, an die rund zwanzig Jahre später die „Deutschen Christen“ gut anknüpfen können. Es bleibt mir allerdings auch im Umfeld der theologischen Argumentation Kesslers ein Rätsel, wie er sich hier zu der Aussage eines „deutschen Gottes“ versteigen kann.

Schlussgedanken

In seiner Selbstwahrnehmung hat Kessler sich im Glauben als „pontifex“, als „Brückenschläger“ verstanden. „Ich habe in Atheisten und Pantheisten, Dissidenten und Zweiflern nie Gegner gesehen, sondern Brüder, und habe sie nicht gemieden, sondern gesucht und mit ihnen manche für mich selbst wertvolle Aussprache gehabt. Ich habe mir selbst gegenwärtig gehalten, daß kein einziger im vollen Besitz der religiösen Wahrheit ist, sondern daß wir alle Sucher sind“.[144] Diese Selbstwahrnehmung, die durchaus auch zu dem eingangs zitierten Satz des Niemanden aufgeben!“ als Quintessenz christlicher Praxis passt[145] ist kaum vereinbar damit, dass Kessler gleichzeitig einem monströsen kriegerischen Nationalismus frönt.

Diese Differenz in der Haltung Kesslers lässt sich nur so erklären, dass er in militärischen Dingen und in seiner nationalistischen Haltung als weit rechts stehend in Erscheinung trat, während ihm in religiösen Fragen offensichtlich eine eher auf Versöhnung und Ausgleich abzielende Haltung eigen war. Er war zwar ein äußerst entschiedener Protestant, der das Geschehen der Reformation überhöhte und vor allem immer wieder kulturell und politisch für das Deutschtum in Anspruch nahm. Er scheint aber zumindest nicht durchgehend die Vorstellungen nationalliberaler und freikonservativer Kreise vertreten zu haben, demgemäß die Reichsgründung als Sieg des Protestantismus über den Katholizismus galt und die „…kulturelle Hegemonie des Protestantismus die politische Hegemonie Preußens ergänzen und untermauern“ sollte[146]. Neben den beschriebenen Begegnungen mit Vertretern des Katholizismus bis hin zum Papst mag seine Kriegspredigt vom 30. Mai 1915 als Beleg der These von Kesslers Versöhnungsinteresse mit dem Katholizismus dienen. In einer Aufzählung – sehr fragwürdiger – durch den Weltkrieg angestoßener Entwicklungen im deutschen Volk führt Kessler aus: „Wie beglückend doch, dass jetzt der konfessionelle Hader und das kirchliche Parteigezänk verstummt sind. Wie erhebend, was wir aus dem Felde hören von dem Zusammenwirken protestantischer und katholischer Geistlicher, von der gemeinsamen Anbetung evangelischer und katholischer Soldaten. Soll dieser Burgfrieden nur ein Waffenstillstand sein? Nein, hinweg mit aller religiösen Engherzigkeit und Unduldsamkeit, mit aller kleinlichen Rechthaberei und Unfehlbarkeit! Vielmehr Achtung vor jeder religiösen Überzeugung! Verständnis für jedes wahrheitssuchende Streben! Zusammengehen und zusammenarbeiten, soweit es nicht wider die Wahrheit ist!“[147] Natürlich ist klar, dass dies alles unter demselben militaristischen und nationalistischen Vorzeichen steht wie Kesslers gesamtes Handeln und Reden! Dass es andere Möglichkeiten der Deutung jener Kriegsereignisse gab, zeigt z.B. die Wende in der Theologie Paul Tillichs, der 1914 begeistert als Freiwilliger in den Krieg zog, dort bis 1918 als Feldprediger wirkte und sich schließlich traumatisiert von seiner Kriegsbegeisterung abwandte.

Die Darstellungen seiner Autobiographie lassen Kessler sehr eindeutig als einen durchaus als extrem zu bezeichnenden Nationalisten erscheinen, der zwar ein kulturell aufgeschlossenes Bild von sich selbst zeichnet, aber jenseits der Hochkultur eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen, sozialen und auch wirtschaftlichen Fragen vollkommen verweigert. Die hasserfüllten Seitenhiebe auf die Sozialdemokratie und die offensichtliche Ablehnung der Weimarer Republik und immer wieder eingestreute Antisemitismen sowie die große Selbstverständlichkeit, mit der Kampf und Krieg in ein System positiver Werte eingeordnet werden, werden an keiner Stelle begründet, sondern erscheinen als Konsens in seiner Welt, die nach außen gewissermaßen hermetisch abgeriegelt ist.

Wie ist es möglich, dass ein und derselbe Mensch solche Toleranz und Weltläufigkeit mit Überheblichkeit und Arroganz, mit den mehrfach geschilderten nationalistischen, militaristischen und antisemitischen Zügen verbinden kann? Dem heutigen Leser erscheint das als ein kaum aufzulösender Widerspruch. Natürlich muss man konstatieren, dass allein quantitativ die Hinweise auf eine tolerante und offene Haltung und Handlungsweise in Kesslers Autobiographie doch recht spärlich gesät sind. Ein Teil der Begründung mag in der so und nicht anders geprägten Persönlichkeit Kesslers liegen: Führer, „große“ Gestalten, Motive von Kampf, Pflicht und Stärke bestimmen sein Leben. Ein anderer Teil mag darin begründet sein, dass er wie viele seiner bürgerlichen und großbürgerlichen Schicht zwar im Blick auf die Hochkultur auch hoch „gebildet“ war, sich aber nicht um strukturelle Fragen kümmerte: Weder die Frage der Massenarmut noch überhaupt wirtschaftliche oder auch im engeren Sinne politische Fragen haben Kessler je bewegt! Die deutsche Politik nahm Kessler als geradezu aufopferungsvoll friedliebend wahr.[148] Dass diese Wahrnehmung in frivoler Weise falsch war, gilt auch unter der Bedingung, dass die These von der alleinigen Kriegsschuld Deutschlands im Blick auf die Auslösung des Ersten Weltkriegs inzwischen aufgeweicht ist. Der „Missing Link“ zu einem großen Teil der Wirklichkeitswahrnehmung könnte zumindest Teil einer Ursache dafür sein, dass Kessler sich friedlich und als „Brückenbauer“ vorkam, was er in seiner Wirkung als Garnisonprediger und späterer Kriegsprediger definitiv nicht war. Eine Entschuldigung für diese Gefangenschaft in selbst verschuldeter Unmündigkeit bildet dieser fragmentarische Versuch einer Erklärung nicht.

Thomas Posern, Pfarrer und Oberkirchenrat im Ruhestand, zuletzt Beauftragter der evangelischen Kirchen bei der Landesregierung in Rheinland- Pfalz

Literatur

Born, Karl Erich: Von der Reichsgründung bis zum Ersten Weltkrieg (Gebhardt: Handbuch der deutschen Geschichte Bd. 16) 6. Aufl. 1981

Brakelmann, Günter; Greschat, Martin; Jochmann, Werner: Protestantismus und Politik. Werk und Wirkung Adolf Stoeckers, Hamburg 1982. Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte Bd. XVII

Brakelmann, Günter: Adolf Stoecker und die Sozialdemokratie, in: Ders. u.a.1982, S. 84-122

Greschat, Martin: Adolf Stoecker und der deutsche Protestantismus, in: Brakelmann u.a.1982, S. 19-83

Grünzig, Matthias: Der „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 (Vortrag auf der Veranstaltung „Garnisonkirche der Nation – Gesegnete Kriege vor 1933“ am 22.3.2018 im Alten Rathaus in Potsdam, abzurufen:  https://www.deutsches-bildbandarchiv.de/Maerz1933/MatthiasGruenzig-Vortrag20180322.pdf

Jochmann, Werner: Einleitung, in: Brakelmann u.a.1982, S. 7-17

Kessler, Johannes: Ich schwöre mir ewige Jugend, Leipzig 1935 (61.-80. Auflage), Zitiert als „Kessler 1935“

Keßler, Johannes: Gott segne den Kaiser! Zur Erinnerung an das Regierungsjubiläum Kaiser Wilhelm II (15. Juni 1913) (Predigt gehalten bei der 25jährigen Jubiläumsfeiern Kaiser Wilhelm II in der Lukaskirche zu Dresden am 15. Juni 1913), Dresden 1913 (Zitiert als Kessler 1913/1)

Kessler, Johannes: Heil Kaiser dir, Potsdam 1913

Keßler, Johannes: Furchtlos und treu. Erste Sammlung von Predigten und Ansprachen in den Kriegstagen 1914, gehalten von J. Kessler, Dresden 1914 (Zitiert als Kessler 1914/1)

Ders.: Durch Gott zum Sieg. Zweite Sammlung von Predigten und Ansprachen in den Kriegstagen 1914, gehalten von J. Kessler, Dresden 1914 (Zitiert als Kessler 1914/2)

Ders.: Ernst – aber getrost. Dritte Sammlung von Predigten und Ansprachen in den Kriegstagen 1914, gehalten von J. Kessler, Dresden 1914

Ders.: Kreuz und Schwert. Vierte Sammlung von Predigten und Ansprachen in den Kriegstagen 1914, gehalten von J. Kessler, Dresden 1915 (Zitiert als Kessler 1915/1)

Ders.: Licht und Kraft. Fünfte Sammlung von Predigten und Ansprachen in den Kriegstagen 1914/15 (Dresden 1915/2)

Ders.: Über alles meine Pflicht! Sechste Sammlung von Predigten und Ansprachen in den Kriegstagen 1914/15, gehalten von J. Kessler, Dresden 1915

Ders.: Werdet voll Geistes! Siebente Sammlung von Predigten und Ansprachen in den Kriegstagen 1914/15, gehalten von J. Kessler, Dresden 1916 (Zitiert als Kessler 1916)

Linke, Carsten: Hof- und Garnisonsprediger Johannes Kessler, Bernhard Rogge, Walter Richter; 22.03.2018 (www.potsdam-stadtfueralle.de/wp-content/uploads/2018/05/Gotteskrieger.pdf, abgerufen am 01.06.2021)

Mommsen, Wolfgang J.: Weltgeschichte. Das Zeitalter des Imperialismus, Bd. 28 Frankfurt/Main (Augsburg) 2000

Potsdamer Intelligenzblatt, Nr. 173, 1. Beilage, S.1, 26. Juli 1900 unter der Rubrik „Aus Potsdam und Umgegend“: Potsdams Scheidegruß dem ostasiatischen Reiter-Regiment. Zitiert als „Intelligenzblatt“

Treitschke, Heinrich von: Unsere Aussichten, in: Preußische Jahrbücher Bd. 44, 1879, S. 559-576

Winkler, Heinrich August: Geschichte des Westens. Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 2009

Zilkenat, Reiner: „Ihr seid die Pioniere des gekreuzigten Heilands!“ Die Prediger der Garnisonkirche im Kaiserreich und Ersten Weltkrieg. Vortrag vom 3. Juni 2020 https://lernort-garnisonkirche.de/?s=zilkenat


[1] Die Schreibweise des Autors ist unterschiedlich: In seiner Autobiographie wird der Autor „Kessler“ geschrieben, in seinen Kriegspredigten „Keßler“. In diesem Artikel wird die Schreibweise „Kessler“ genutzt.
[2] Kessler 1935, S. 196, Vgl. zu Kessler auch Zilkenat 2020
[3] Kessler 1935, S. 352
[4] Ebd.
[5] Ebd.,
[6] Es war „das national gesinnte Bürgertum“ war, das unterstützt von Handel und Industrie sich z.B. „leidenschaftlich“ für den Ausbau der deutschen Flotte einsetzte, ein von Konteradmiral und Chef des Reichsmarineamtes Tirpitz betriebenes und von Kaiser Wilhelm II stark unterstütztes Projekt, das die Rivalität mit England auf die Spitze trieb und stark zur Kriegsgefahr beitrug (vgl. u.a. Mommsen S. 129 f.)
[7] Vgl. Kessler 1935, S. 14 f.
[8] Vgl. auch a.a.O. S. 32 f.
[9] A.a.O. S. 8
[10] A.a.O. S. 24
[11] A.a.O. S. 25
[12] Ebd.
[13] A.a.O. S. 92
[14] A.a.O. S. 34 f.; vgl. auch https://de.wikipedia.org/wiki/Evangelisch_Stiftisches_Gymnasium_G%C3%BCtersloh#Geschichte
[15] Kessler 1935, S. 39
[16] Vgl. a.a.O. S. 41
[17] Vgl. a.a.O. S. 42
[18] Vgl. a.a.O. S. 50
[19] Ebd.
[20] Ebd.
[21] Vgl. S. 51 f.
[22] A.a.O. S.143
[23] A.a.O. S. 57
[24] Ebd.
[25] A.a.O. S. 58
[26] Ebd.
[27] Ebd.
[28] Treitschke 1879
[29] A.a.O. S. 575
[30] Kessler 1935 S. 100
[31] Vgl. a.a.O. S. 101 f.
[32] A.a.O. S. 102
[33] Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Berliner_Antisemitismusstreit#Der_Ausl%C3%B6ser; vgl. auch Winkler S. 842
[34] Vgl. Winkler ebd.
[35] Bis hin zu entsprechenden Begegnungen bei sog. Kurpastoraten, die Kessler gerne in späteren Jahren wahrgenommen hat und die im vorliegenden Artikel nicht weiter besprochen werden (vgl. Kessler 1935 S. 284-94).
[36] Vgl. a.a.O. S. 64 f.
[37] Vgl. a.a.O. S. 66
[38] Vgl. a.a.O. S. 67
[39] Ebd.
[40] A.a.O. S. 70
[41] Ebd.
[42] Ebd.
[43] Auch für den Hofprediger Adolf Stoecker werden unterschiedliche Schreibweisen – „Stöcker“ oder „Stoecker“ – verwendet. U.a. Kessler schreibt „Stoecker“; ich verwende diese Schreibweise in dem vorliegenden Artikel.
[44] Die Begegnung mit Stoecker erweist sich als sehr wichtig für Kessler. Stoecker hatte den Protestantismus insgesamt auf lange Zeit so stark nationalistisch und antisemitisch beeinflusst, so dass seine Rolle hier gar nicht zu unterschätzen ist.
[45] Vgl. a.a.O. S. 83
[46] A.a.O. S. 83
[47] Ebd.
[48] Vgl. u.a. Jochmann 1982 S. 1 ff.
[49] Ders. a.a.O., S. 15
[50] Ebd.
[51] Born 1981, S. 32; Hervorh. i.O.
[52] Vgl. Winkler 2009, S. 841
[53] Greschat 1982, S. 79
[54] Brakelmann 1982, S. 90. Brakelmann weiter: „Das sozialdemokratische Problem…ist (i.e. für Stoecker) eingebettet in eine umfassendere Kampffront, die gekennzeichnet ist durch die Wirklichkeiten des Liberalismus, des Kapitalismus und des Judentums“ (a.a.O. S. 92)
[55] A.a.O. S. 104. Ergänzend: „Stoeckers Kampf gegen Liberalismus, Kapitalismus und Sozialismus war in seinem Kern ein antijüdischer Kampf“ (a.a.O. S. 105).
[56] Winkler 2009, S. 838
[57] A.a.O. 840
[58] Winkler 838; vgl. zu der Entwicklung in diesen Jahren dens., S. 838-843
[59] A.a.O. S. 839
[60] A.a.O. S. 840
[61] Ebd.
[62] Vgl. Kessler 1935, S. 78
[63] A.a.O. S. 79
[64] A.a.O. S. 82
[65] A.a.O. S. 88
[66] Vgl. Greschat 1982, S. 70
[67] Kessler hat als Gemeindepfarrer in Dresden sieben Bändchen mit „Kriegspredigten“ veröffentlicht (s. Literaturverzeichnis). Zum Teil sind dies Sonntagspredigten nach der Perikopenordnung, z. T. regelrechte Kasualpredigten (z.B. „Ansprachen in der Kriegsbetstunde“ (2. September 2014, S. 55 ff.; 11. September 2014, S. 70 ff.; Festpredigt am Geburtstage seiner Majestät des Deutschen Kaisers am 27. Januar 1915, S. 175 ff.))
[68] Kessler 1915/1, S. 211 – 220
[69] A.a.O. S. 215
[70] Kessler 1935, S. 72. Greschat bezeichnet den kirchenpolitisch äußerst geschickt auf konservativer Seite agierenden Kögel als „…eine ausgesprochen aristokratische Herrschernatur…“ (Greschat 19825, S. 60). Kögel habe „…mehr und mehr richtunggebenden Einfluß auf die preußische Landeskirche auszuüben vermocht“ (a.a.O. S. 63)
[71] Die Berliner Stadtmission hatte übrigens unter der Leitung von Stoecker eine scharf antisemitische Ausrichtung!
[72] Vgl. Kessler 1935 S. 94 ff.
[73] vgl. a.a.O. S. 110 ff.
[74] Kessler war drei Mal in Palästina (im „Heiligen Land“), auch z.B. Ägypten und Syrien (vgl. a.a.O. S. 241). Nach dem Besuch diverser zionistischer Siedlungen zeigt sich Kessler bei seiner letzten Palästinareise interessiert daran zu eruieren, wie es im Verhältnis von Arabern und Juden weitergehe (264f.). Seine Überlegungen enden mit der Feststellung, dass eine Einigung „heute undenkbar, eine Lösung dieser Gegensätze ein politisches Rätsel“ darstelle (a.a.O. S. 267).
[75] A.a.O. S. 339
[76] A.a.O. S. 113 ff.
[77] A.a.O. S.115
[78] Vgl. a.a.O. S. 168 ff.
[79] Vgl. a.a.O. S. 171 f.
[80] Vgl. a.a.O. S. 172 f.
[81] Immer wieder zitiert Kessler diese Devise in seinen Kriegspredigten
[82] A.a.O. S. 194 f.
[83] Vgl. a.a.O. S. 199 ff.
[84] A.a.O. S. 200
[85] vgl. a.a.O. S. 297
[86] Vgl. a.a.O. S. 202
[87] Vgl. a.a.O. S. 17
[88] vgl. a.a.O. S. 202
[89] Vgl. a.a.O. S. 206-209
[90] A.a.O. S. 209
[91] Ebd.
[91a] Es handelt sich gemäß dem Bericht im Potsdamer Intelligenzblatt um das „ostasiatische Reiter-Regiment“
[91b] Der Begriff bezieht sich auf Gruppen chinesischer Kämpfer, die kampfsportlich ausgebildet waren. Bezüglich dieses Begriffs urteilt Mommsen zu Recht: „…die Zeitgenossen sprachen, in naiver Dogmatisierung ihres Kolonialherrenstandpunktes, vom ‚Boxeraufstand‘“ (Mommsen A. 169).
[91c] Deutschland hatte China 1897 zur Verpachtung des Gebietes Kiautschou mit der Stadt Tsingtau für 99 Jahre gezwungen. Die Kolonie stand unter unmittelbarer Herrschaft der deutschen Reichsregierung.
[91d] Dieses seit 1850 erscheinende Blatt hat wie andere „Intelligenzblätter“ in dieser Zeit einen offiziösen Charakter und fungiert als Amtsblatt, bringt aber auch Berichte über lokale Ereignisse etc. Eine andere, von Keßler legitimierte Fassung seiner Ansprache als die hier berichtete Zitation, liegt dem Autor nicht vor. Ob es sich um eine Predigt im Rahmen eines Gottesdienstes oder eine Ansprache in der Garnisonkirche ohne gottesdienstlichen Charakter handelt, ist den Ausführungen des Intelligenzblattes ebenfalls leider nicht zu entnehmen. Zu vermuten ist, dass man von einer „Predigt“ sprechen kann.
[91e] Ebd.
[91f] Das vom Intelligenzblatt zitierte „Wachet im Hause“ ist wohl unbiblisch. Ohne den Zusatz „im Hause“ lautet die Textstelle im 1. Korintherbrief 16,13 in der um 1900 in Gebrauch befindlichen Fassung der Lutherbibel wie auch noch Jahrzehnte später tatsächlich genauso, wie vom Intelligenzblatt zitiert. Die 1984 und 2017 erneut revidierte Lutherbibel übersetzt: „Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark!“ (Hervorh. TP). Das griechische Wort „andrizein“ im Urtext trägt im Wortstamm „andros“, „Mann“, und kann mit „sich als männlich zeigen“ übersetzt werden, was durchaus dem antiken Verständnis entspricht. Da es Paulus aber weniger um Männlichkeit als um Mut geht, wurde der Sprachgebrauch revidiert. Übrigens wurde die Revision der Lutherbibel von 1545 im Jahr 1863 beschlossen und erst nach über 120 Jahren mit der Revision 1984 abgeschlossen. Interessant und dem kriegerischen Duktus der Keßlerschen Predigt diametral entgegengesetzt ist die Fortsetzung durch Paulus im folgenden Vers 14: „Alle eure Dinge lasst in Liebe geschehen“.
[91g] Ebd.
[91h] Ebd. (Hervorh. Im Orig.)
[91i] Linke
[91k] Linke und Intelligenzblatt
[91l] Mommsen schreibt im Zusammenhang mit den imperialistischen Bestrebungen der europäischen Staaten ab 1885 von dem „…dem diplomatischen Dienst aller europäischen Staaten eigentümlichen Konservativismus, der das populäre Geschrei nach Kolonien und neuen Märkten in Übersee vielfach nur als unangenehme Störung der geheiligten Traditionen der diplomatischen Kunst empfand…“ (Mommsen S. 152).
[91m] Ebd.
[92] Vgl. a.a.O. S. 212
[93] Vgl. a.a.O. S. 214 ff.
[94] ebd.
[95] A.a.O. S. 218
[96] Vgl. a.a.O. S. 215
[97] Vgl. u.a. Born 1981 S. 56
[98] Kessler 1935 S. 216
[99] Der Begriff „Armenfürsorge“ entspricht exakt dem patriarchalischen und gegen eine Ausbreitung der Sozialdemokratie gerichteten Verständnis des Umgangs mit dem Problem der Massenarmut Ende des 19. Jahrhunderts, wie es in kirchlichen und bürgerlichen Kreisen dominant war.
[100] A.a.O. S. 236
[101] Vgl. auch die Darstellung von Grünzig 2018
[102] Vgl. Kessler 1935, S. 219-24
[103] A.a.O. S. 219
[104] Ebd.
[105] Ebd.
[106] Ebd.
[107] Vgl. ebd.
[108] A.a.O. S. 222
[109] A.a.O. S. 340
[110] Vgl. a.a.O. S. 300 f.
[111] Vgl. a.a.O. S. 301 f.
[112] A.a.O. S. 276 f.; Kessler nennt die Jahreszahl nicht, aber er wurde wohl im Lauf des Jahres 1915 Militärpfarrer in Frankreich, so dass wir es hier wohl mit einer Predigt an Weihnachten 1915 zu tun haben. Das siebte Bändchen seiner Kriegspredigten endet mit dem 26. Juni 1915.
[113] Ebd.
[114]  a.a.O. S. 196
[115] Während einer Reise durch Israel angesichts von Gräbern gefallener deutscher Soldaten in der Umgebung von Nazareth, a.a.O. S. 246 f.
[116] Zu den „Kriegspredigten“ s. o. Anm. 53
[117] Predigt vom 30. August 1914 unter dem Titel „Nicht vergeblich“, Kessler 1914/2 S. 48
[118] Genauso verhält es sich z.B. auch in der Predigt vom 6. September 2014 unter dem Titel „Kaufet die Zeit aus“, vgl. a.a.O. S. 64 f.
[119] A.a.O. S. 49
[120] Ebd.
[121] A.a.O., S. 49 f.
[122] A.a.O. S. 50; Hervorhebung i.O.
[123] Kessler 1935 S. 305
[124] Kessler 2014/2, Predigt vom 6. September 2014, S. 65 f.
[125] Kessler 1913/1, S. 10; das Zitat im Zitat stammt von Kaiser Wilhelm II
[126] Kessler 1914/1, S. 7
[127] Ebd.
[128] Kessler 1914/3, S. 32 f.
[129] Ebd.
[130] Bei Kessler findet man immer wieder sehr deutliche Vorboten der Ideologie der Deutschen Christen zu Beginn der dreißiger Jahre, denen viele Kirchenmitglieder zunächst wegen ihre volksmissionarischen Programms gefolgt sind.
[131] A.a.O. S. 34
[132] A.a.O., S. 15
[133] Ebd.; „Ernst – aber getrost“ ist der Titel dieser Predigt vom 11.10.1914
[134] Vgl. Kessler 1914/3, S. 39 f.
[135] A.a.O. S. 40
[136] Kessler 1915/1, S. 200-210
[137] A.a.O., S. 201
[138] 104 A.a.O. S. 202
[139] Ebd.
[140] A.a.O. S. 205
[141] A.a.O. S. 206
[142] Ebd.
[143] A.a.O., S. 209
[144] Kessler 1935 S. 293
[145] s.o. / Kessler 1935 S. 352
[146] Winkler S. 835
[147] Kessler 1916, S. 71
[148] Vgl. seine Ansprache: Unser Kaiser im Feuer. Festpredigt am Geburtstage seiner Majestät des Deutschen Kaisers am 27. Januar 1915, Kessler 1915/1, S. 175 ff.). Vgl. außerdem oben S. 14 in diesem Artikel bzw. Kessler 1913/1, S. 10

Online seit: 5. Mai 2021

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