Eine polnische Betrachtung

Agnieszka Pufelska

Die territoriale Entwicklung Preußens im 18. Jahrhundert: Gebietszuwächse während der Herrschaft Friedrichs I. in violetter, Friedrich Wilhelms I. in roter, Friedrichs II. in grüner, Friedrich Wilhelms II. in blauer Darstellung. Quelle: E. Berner - G. Droysens Historischer Handatlas. 1886

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Potsdamer Garnisonkirche ohne Glanz und Gloria

Als der ehemalige Ministerpräsident Brandenburgs, Manfred Stolpe, auf einer Potsdamer Veranstaltung 2002 gefragt wurde, was er über „Preußen“ als Name für das neue Bundesland denke, gab er eine eindeutige Antwort: Er habe auf seinen Polenreisen festgestellt, dass man sich dort sehr intensiv mit der preußischen Geschichte befasse. Man solle also die Polen fragen, was die von dieser Idee hielten. Stolpes Vorschlag blieb nur ein Gedanke. Während in Polen der preußische Staat als einer der wichtigsten Referenzpunkte deutsch-polnischer Geschichte gilt, findet die deutsche Preußen-Wahrnehmung meist ohne Erwähnung Polens statt. Der Grund dafür liegt zunächst und zumeist in der unaufhaltsamen, nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzenden „Brandenburgisierung“ der Erinnerung an Preußen. Man sagt „Preußen“ und meint „Berlin-Brandenburg“. Die historische Fehldeutung ist dabei schwerlich zu übersehen, denn die drei Teilungen des polnischen Staates (1772, 1793 und 1795) bedeuteten eine radikale Verschiebung der Territorial- und Bevölkerungsstruktur Preußens. Danach machten die ehemals polnischen Gebiete mehr als die Hälfte des preußischen Staatsgebildes aus; rund drei Millionen der damals etwa acht Millionen Menschen zählenden preußischen Bevölkerung waren „Untertanen polnischer Zunge“. Nach 1871 wurde die polnische Bevölkerung zur bedeutendsten Minorität im Deutschen Reich.

Schlesischer Krieg 1740-1742, Schlacht bei Mollwitz (10.4.1741), Darstellung: Hendrik Jacobus Vinkhuijzen (1843-1910)

Den historischen und territorialen Verbindungen zum Trotz zeigt der gegenwärtig vielbeschworene „Kulturstaat Preußen“ kaum Interesse an seiner ostmitteleuropäischen Dimension. In der kulturalistischen Interpretation gerät selten in den Blick, dass die zentralen preußischen Ostprovinzen (Ost- und Westpreußen, Schlesien, Pommern), d.h. fast 70% des friederizianischen Preußenlandes, bis zu 500 km von Berlin entfernt lagen. Eine verklärende Reduktion des vielfältigen preußischen Kulturerbes auf die berlin-brandenburgische Kulturlandschaft ist die Folge. Für die regionale Identitätsstiftung wird hier das historische Preußen vor allem architektonisch wiederbelebt. Die Tatsache, dass zum überwiegenden Teil Polen zum Erbe der baulichen Überreste Preußens geworden ist, wird dabei weitgehend übergangen. Europäisch betrachtet ist der in Brandenburg grassierende Restaurationseifer problematisch, weil er einem nationalen Erinnerungsrahmen Vorschub leistet, der international nicht anschlussfähig ist. Die Chance auf eine dialogische, deutsch-polnische Erinnerung an den preußischen Staat – zumindest aus denkmalkonservatorischer und kulturgeschichtlicher Perspektive – wird dadurch verpasst.

2. Schlesischer Krieg (1744–1745), Preußische Armee beim Angriff

Das beste Beispiel für die ausgrenzende Vereinnahmung der Erinnerung an Preußen liefert das Projekt der Potsdamer Garnisonkirche. Trotz aller Befriedungs- und Versöhnungsdeklarationen ist nicht zu übersehen, dass die Wiederaufbauidee in einer geschichtspolitischen und normativen Motivation wurzelt. Offiziell wird ein Gotteshaus angestrebt, in dem „Erinnern für die deutsche und europäische Zukunft möglich wird.“ Zu fragen ist allerdings, wie dieses ambitionierte Ziel erreicht werden soll, wenn die geplante „Bürgerkirche“ ihre historisch negative Symbolkraft nicht nur für deutsche Bürgerinnen und Bürger weitgehend verschweigt. Ein kurzer Blick auf die polnisch-preußischen Beziehungen zeigt mit aller Deutlichkeit, warum das Projekt „Garnisonkirche“ eine polnische Perspektive dringend braucht, will es mehr sein als ein bloß nationaler Identifikationsort für den „Mythos Preußen“.

Von Anfang an stand der barocke Bau für eine enge Verbindung von Staat, Kirche und Militär und damit auch für das Expansionsstreben Preußens und des Deutschen Kaiserreichs. Spätestens seit Friedrich II., dessen Gruft in der Garnisonkirche jahrhundertelang als Wallfahrtsort für Millionen Deutsche galt, expandierte Preußen auf Kosten Polens. Neben der Eroberung Schlesiens war es vor allem die von Friedrich II. mitinitiierte erste Teilung Polens, die Preußen den Weg zu einer europäischen Großmacht eröffnete. Zeit seines turbulenten Lebens hat der Preußenkönig eine durchgehend „negative Polenpolitik“ (Klaus Zernack) betrieben und die Polen für ein barbarisches Volk gehalten. In der Brandenburgischen Kulturlandschaft, für die Friedrich II. als die Identifikationsfigur par excellence gilt, findet sein komplexes Verhältnis zum Nachbarland bis heute kaum Beachtung. 

Schlacht bei Hohenfriedeberg im Zweiten Schlesischen Krieg, Angriff des preußischen Grenadier-Garde-Bataillon, 4. Juni 1745

Aus dem kritiklos beschworenen Geist Friedrichs ist der „Geist von Potsdam“ geboren worden, der sich alsbald zur ideologischen Klammer deutschnationaler und rechtsextremer Bewegungen und Gruppierungen aller Couleur entwickelte. Besonders intensiv spukte er in der Potsdamer Garnisonkirche. Das christliche Gotteshaus mutierte zur Ruhmeshalle eines militanten Preußens. Gerühmt wurden hier „preußische Tugenden“, die die Kampfbereitschaft für Deutschtum und Vaterland moralisch überhöhten. Vor Gott und der Geschichte legitimiert, besetzte Preußen die polnischen Territorien für über 100 Jahre. Im festen Glauben an die eigene zivilisatorische Überlegenheit wurde versucht, die Polen mittels einer restriktiven Sprachen-, Schul- und Wirtschaftspolitik aus ihren nationalkulturellen Nischen herauszudrängen. 

Treitschkestraße in Berlin-Steglitz. In einer Bürgerbefragung 2012 wurde die Umbenennung abgelehnt
Heinrich von Treitschke prägte 1879 das Motto „Die Juden sind unser Unglück“ und löste somit den Berliner Antisemistismusstreit aus. In Berlin-Steglitz ist ihm eine Straße gewidmet. Deren Umbenennung wurde von den Anwohner*innen in einer Bürgerbefragung 2012 abgelehnt.

Besonders diejenigen Nationalisten und Militaristen, denen die deutschlandweit bekannte Potsdamer Garnisonkirche als politische Bühne diente, waren bemüht, die deutsche Repressions- und Präventivpolitik gegenüber der polnischen Minderheit zu rechtfertigen. Zu ihren bekanntesten Vertretern gehört sicherlich der Historiker und Redakteur der Preußischen Jahrbücher Heinrich von Treitschke. In seinem einflussreichen Aufsatz Das deutsche Ordensland Preußen von 1862 stellte er die Polen und andere Slawen grob abwertend dem nach seiner Auffassung positiven, kultur- und staatsbildenden Einfluss der Deutschen (in Form des Deutschen Ordens) gegenüber. Die Geschichte des Ordensstaates deutete er als gewichtigen Beleg für die deutsche Mission Preußens im Osten. Gleichzeitig rechtfertigte er die Ost- Expansion des preußischen Staates, indem er die Deutschen als Staatengründer und „Kulturträger“ darstellte. Treitschke war es auch, der die Antisemitismuswelle der 1880er Jahre mit seinem Satz von der „Schar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge“, die Jahr für Jahr „aus der unerschöpflichen polnischen Wiege über unsere Ostgrenze“ herein dringe, rechtfertigte. Schnell entwickelte sich das imaginäre antisemitisch und polenfeindlich aufgeladene Bild von der „Überflutung“ durch Juden und Polen aus dem Osten zu einem Topos des nationalen Selbstverständnisses. Im preußischen Landtag vom Januar 1886 bekräftigte Bismarck seine Entscheidung, über 30 000 Polen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit aus Berlin und den preußischen Ostprovinzen auszuweisen, mit dem Argument, Deutschland wolle die fremden Polen loswerden, weil es an eigenen genug habe.

Diese Ausgrenzung war fester Bestandteil des von Bismarck forcierten „Kulturkampfes“ sowie der kulturnationalistischen Polemik solcher politischen Gruppierungen wie des aggressiven und mächtigen Ostmarktvereins oder des ihm ideologisch nahestehenden Alldeutschen Verbandes. Themen wie „der Osten als Problem für das Kaiserreich“, „Polenpolitik“, „Ostflucht“, „innere Kolonisation“ oder „der slawische Vormarsch“ waren auf ihren Veranstaltungen in der Garnisonkirche stets präsent. Unter dem kirchlichen Dach wurde ein neues Koordinatensystem propagiert: Antislawismus. Der national-rassische Antislawismus gründete auf der Überzeugung von der kulturellen und biologischen Überlegenheit der Deutschen und bediente sich der längst tradierten Stereotype vom barbarischen Osten. In national- und rechtsgerichteten Kreisen wurden die Polen zum homogenen Gegenbild der die preußischen Tugenden verkörpernden Deutschen stilisiert. „Anarchisch“ stand „pflichtbewusst“ gegenüber, „polnische Wirtschaft“ trat in Gegensatz zu „Sauberkeit“ und „Zuverlässigkeit“, „sparsam“ blieb positiv, während „verschwenderisch“ pejorativ gebraucht wurde, und schließlich mündete das alles in den offenen Gegensatz von Ost und West.

Die Wiederherstellung der polnischen Staatlichkeit und die damit verbundenen Gebietsverluste an Polen nach dem Versailler Vertrag verstärkten diesen so propagierten Gegensatz. Beklagt wurde nicht nur die verlorene Heimat, sondern auch die Situation der deutsch-evangelischen Minderheit beim östlichen Nachbarn. Besonders engagiert in dieser Frage zeigte sich der Generalsuperintendent der Kurmark Otto Dibelius. Als Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei und überzeugter Antidemokrat forderte er die Revision des Versailler Vertrages und den Schutz der „evangelischen Deutschen“ vor „polnischer Gewalttätigkeit“. Seiner abwertenden Meinung über Polen und seinen revisionistischen Überzeugungen blieb Dibelius durchgehend treu. Nach dem Zweiten Weltkrieg lehnte der mittlerweile hochanerkannte Bischof von Berlin-Brandenburg jede Forderung nach Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze vehement ab.

Friedrich Ebert hatte also vor der Weimarer Nationalversammlung 1919 das Ende des „Geistes von Potsdam“ ziemlich voreilig verkündet. Bereits wenige Monate danach fand in der Garnisonkirche eine erneute Massenbeschwörung eben dieses Ungeistes statt, als die Deutschnationale Volkspartei einen Gedächtnisgottesdienst mit General Erich Ludendorff organisierte, auf dem eine Wiedereinführung der Monarchie und ein neuer Krieg gefordert wurden. Auch später gab es in der Garnisonkirche zahllose Kundgebungen, Aufmärsche und militärische Gedenkfeiern, die eine Identifikationsfunktion für die Gegner der Weimarer Republik besaßen. Kultiviert wurde dabei eine ideologische Mischung aus großdeutschen Machtansprüchen, Antisemitismus und Polenfeindlichkeit. Besonders deutlich machte das die am 13. Juni 1926 abgehaltene Kundgebung des fast 50 000 Mitglieder zählenden Deutschen Ostbundes, auf der eine „Kulturüberlegenheit“ der Deutschen über die Slawen postuliert und eine erneute Zerschlagung des polnischen Staates gefordert wurde. Die jährlichen Veranstaltungen zu Geburts- und Sterbetagen Friedrichs II. in der Garnisonkirche sowie der am 28. Juni 1929 dort abgehaltene Trauergottesdienst zum zehnjährigen Jahrestag der Unterzeichnung des Versailler Vertrages lieferten weiteren Anlass, dezidiert antipolnische Stimmung zu verbreiten.

Den erhofften Revanchekrieg gegen Polen und Frankreich versprach Adolf Hitler. Mit dem berühmt-berüchtigten „Tag von Potsdam“ wurde das Bündnis zwischen Nationalsozialisten und Deutschnationalen offiziell besiegelt. Um dem Händedruck des unbekannten Gefreiten mit dem greisen Generalfeldmarschall von Hindenburg auf den Stufen der Garnisonkirche einen militärischen Rahmen zu geben, marschierten SA, SS und das berühmte 9. Preußische Infanterie-Regiment auf. Seine hingebungsvolle Treue zu Hitler bewies „Graf Neun“ sechs Jahre später beim deutschen Überfall auf Polen. Nur wenige seiner Offiziere zeigten sich mit der Zeit von der Politik des Führers enttäuscht. Ihr Nicht-Einverständnis folgte der späten Einsicht, dass das „Dritte Reich“ nicht das ersehnte Deutschland geworden war, das sie der Weimarer Republik entgegensetzen wollten. So gesehen war das gescheiterte Attentat auf Hitler keineswegs ein Akt des Widerstands gegen die zunehmende Brutalisierung des Krieges oder die Massenvernichtung von Zivilisten im Osten. Eher könnte es als ein mutiger nationalkonservativer Staatsstreich angesehen werden.  

Ob diese differenzierte und nicht nur polnische Perspektive auf die Verschwörer des 20. Juli in der wiedererrichteten Garnisonkirche vertreten werden wird, bleibt zu bezweifeln. Geplant ist ein Ort der Friedens- und Versöhnungsarbeit. Die Botschaft einer derartigen rhetorischen Grundannahme zielt auf das Versprechen: Wir haben aus der Geschichte gelernt. Bedient wird hier das provinzielle Bild von einer moralisch nicht korrumpierbaren, dem protestantischen Ethos zutiefst verpflichteten Bundesrepublik, die mit ihrer Erinnerungspolitik endlich das zu realisieren versuche, wofür der „Kulturstaat Preußen“ in einer sich selbst idealisierenden Form gestanden hätte. Kritiklos wird im Land Brandenburg der „Mythos Preußen“ für die politische und moralische Legitimierung von Geschichtspolitik benutzt. Aller Defizite zum Trotz kann damit eine regional-identifikatorische Wunschvorstellung von preußischer Geschichte ungehindert in die Zukunft projiziert werden. Noch ein Beweis mehr, dass das Projekt Garnisonkirche nicht auf dem Amboss der kritischen Geschichtsschreibung, sondern im Schmelztiegel der lokalen Politik geformt wurde. Diese sieht zurzeit leider nicht vor, europäisch ausgerichtete Erzählstrukturen in sein Konzept einzubetten – am wenigsten solche aus dem benachbarten Polen.

Agnieszka Pufelska (* 1973  in Sierpc/Polen) ist Kulturhistorikerin. Sie promovierte in Kulturwissenschaften 2005 an der Viadrina in Frankfurt Oder und habilitierte 2015 in Geschichte an der Universität Potsdam mit der Arbeit „Der bessere Nachbar? Das polnische Preußenbild in der Zeit der Aufklärung (1764-1806)“. Seit 2016 ist sie Mitarbeiterin am Nordost-Institut an der Universität Hamburg (Lüneburg). Aktuell lehrt sie in Potsdam und Hamburg. 2020/2021 war sie Gastprofessorin an der Universität Wien. Sie ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des kritischen „Lernort Garnisonkirche“

Der hiesige Text wurde in gekürzter Fassung vorab veröffentlicht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 1. Februar 2021 und in fünf Evangelischen Sonntagszeitungen, EKHN-Ausgabe 11/2021 (März). Zur Veröffentlichung in der FAZ schrieb Professor Dr. Jan Musekamp (Universität Pittsburgh) folgenden Leserbrief:

Die Garnisonkirche am Schnittpunkt

Zum Beitrag „Vergesst die Teilungen Polens nicht“ von Agnieszka Pufelska (F.A.Z. vom 1. Februar): Die Diskussionen um den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche sind seit über dreißig Jahren Dauerthema lokaler Debatten. Sie haben dabei, wie Agnieszka Pufelska zu Recht bemängelt, selten Eingang in nationale geschweige denn europäische Debatten um Erinnerung gefunden. Abgesehen von der bereits beantworteten grundsätzlichen Frage eines Wiederaufbaus im Sinne einer Wiederherstellung historisch gewachsener Stadtstrukturen, ist nun entscheidend, wie der Bau kontextualisiert wird, damit er sich nicht zu einem zweiten monarchistisch-militaristisch konnotierten Deutschen Eck entwickelt. Dabei hat gerade dieser Ort das Potential, positive Strahlkraft zu entwickeln als Beispiel für einen Umgang mit deutscher Geschichte, den Susan Naiman aus amerikanischer Perspektive nicht ganz zu Unrecht als nachahmenswert bezeichnet hat („Learning from the Germans“). Im konkreten Fall muss der Ausgangspunkt dafür das Verständnis sein, dass eine wiederaufgebaute Garnisonkirche nicht nur eine Potsdamer, eine brandenburgische oder eine deutsche Angelegenheit ist. Angesichts zahlreicher Besucherinnen und Besucher aus dem In- und Ausland hat der Ort auch eine globale Dimension. Im Moment sieht es nicht so aus, als ob die Initiatorinnen und Initiatoren dieser Rolle voll gerecht werden. Vielmehr scheint allein die Wiedergutmachung von DDR-Unrecht im Mittelpunkt zu stehen. Über diesen wichtigen Ansatzpunkt hinaus zeigt Pufelskas Beitrag Wege hin zu einer Europäisierung der Debatte auf. Seit den von Preußen maßgeblich vorangetriebenen Teilungen Polens hat sich in Polen ein „preußisches Syndrom“ (Wojciech Wrzesinski) entwickelt, das bis heute nachwirkt. Wenn die mit diesem Syndrom verbundenen antipreußischen und zum Teil antideutschen Reflexe auch nicht immer der historischen Realität entsprechen, so ist es doch fahrlässig, sie auszuklammern. Aber auch jenseits der polnischen Perspektive wünscht sich ein zukünftiger Besucher aus den Vereinigten Staaten einen differenzierten Umgang mit der Geschichte dieses Ortes. Zwar ist die Bezeichnung des Attentats vom 20. Juli als „mutigen nationalkonservativen Staatsstreich“ durch Pufelska angesichts der doch weit über diese politische Richtung hinausgehenden Netzwerke zu kurz gegriffen, dies ändert jedoch nichts am grundsätzlichen Problem. Es bleibt somit zu wünschen, dass neben dem polnischen auch weitere Narrative in einem zukünftigen Dokumentationszentrum eine prominente Rolle spielen werden. Um nur einige zu nennen: Wie war der Umgang des Militärs mit seinen nichtdeutschen Soldaten? Wie stand die Kirche zu Fahnenflucht, wie zum Umgang mit homosexuellen Soldaten? Welche Rolle war Frauen in den männlich dominierten Domänen Staat, Kirche und Militär auferlegt worden, und wie wehrten sie sich dagegen? Wie ist das preußische Militär nach der Einführung der Wehrpflicht mit seinen Rekruten umgegangen, die zum Teil noch Kinder waren? Die Garnisonkirche Potsdam steht am Schnittpunkt von Debatten, die nicht bei städtebaulichen Überlegungen oder Aspekten unbestreitbaren DDR-Unrechts enden dürfen. Deutschland hat einen Ruf zu verlieren.

Online seit: 22. Mai 2021

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