Der „Tag von Potsdam“ und die Medien

Ralf Forster

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Am 21. März 1933 fand von etwa 10:30 bis 13 Uhr in Potsdam der feierliche Staatsakt zur Eröffnung des neugewählten Reichstages unter großem Interesse der Bevölkerung statt. Er wurde durch sämtliche Medien – Presse, Rundfunk und insbesondere den Film – intensiv begleitet.[1] Die Kirchen, ihre Gebäude und die Gottesdienste selbst, blieben in der Berichterstattung bemerkenswert unterbelichtet, was klar auf die politisch-propagandistische Indienstnahme des Aktes verweist. Bisherige Forschungen haben das Ereignis einer politisch verschieden deutbaren Phase zwischen Weimarer Republik und NS-Diktatur zugeordnet.[2] Doch waren davon auch die medialen Schwerpunkte betroffen? Neu scheint dabei insbesondere die Rolle des Films gewesen zu sein, maßen ihm die Nationalsozialisten doch eine besondere Bedeutung für die Massenbeeinflussung bei. Deshalb legt der Beitrag – nach einem Überblick über Rundfunk und Presse – ein besonderes Gewicht auf den professionellen Film und versucht anhand des „Tages von Potsdam“ die sich langsam wandelnde Funktion der Wochenschauen zum exklusiven Propagandainstrument zu beschreiben.

Hindenburg nach dem Staatsakt vor der Garnisonkirche, im Hintergrund Wochenschaukameraleute, Standbild aus dem Amateurfilm „Potsdam 21. März 1933“ des Ruderklubs Vineta Potsdam (Filmmuseum Potsdam).

Ausgeklammert bleiben hier zum einen die zahlreichen Amateurfilme, (vier lassen sich anhand der Archiv-Überlieferung sicher nachweisen[3]), denn sie hatten in der Zeit selbst kaum eine Massenwirkung, zwei erschienen allerdings in 16mm-Kauffilm-Sortimenten. Zum anderen wird auf die Untersuchung der nachträglichen Verwendungen der beim Ereignis angefertigten Filmaufnahmen, Rundfunkbeiträge und Pressefotografien verzichtet. Hingewiesen sei auf die reichen, explizit politisch bzw. propagandistisch motivierten Nachnutzungen der Aufzeichnungen, die für das bewegte Bild bereits Mitte 1934 mit dem von der Reichspropagandaleitung der NSDAP produzierten Kurzfilm „Unser Führer“ begannen. Und wohl schon 1933 kam bei der Deutschen Lichtbildgesellschaft Berlin ein 35mm-Bildband unter dem Titel „21. März 1933“ mit Fotos von Zeiss Ikon heraus, das für private und Lehrzwecke gekauft werden konnte.[4]

Bildband „21. März 1933“ der Deutschen Lichbildgesellschaft

Die symbolische Amtseinsetzung von Hitler durch Hindenburg am 21. März 1933 war auch eine technische und logistische Premiere, ein Kraftakt, denn bereits am gleichen Abend und spätestens am nächsten Tag konnte das Ereignis im Kino nacherlebt werden.[5] Eildienste der drei Wochenschauunternehmen – Ufa, Fox und Emelka – waren mit über 20 Kameras und 40 Mitarbeitern in Potsdam im Einsatz,[6] schnitten in nur wenigen Stunden eine fertige Ausgabe, ließen sie in fünf bis sechs Stunden in Kopierwerken vervielfältigen und brachten sie mit Fahrdiensten, Fernzügen oder mit dem Flugzeug bis in die Lichtspielhäuser der Provinz. Mit den logistisch mustergültig produzierten „Groß-Reportagen“ über den „Tag von Potsdam“ sollte nun eine „gesteigerte Film-Propaganda für Volk und Reich“ beginnen. Zugleich sehnte die führende Branchenzeitung Film-Kurier am 21. März 1933 auf ihrer Titelseite eine neue Ausrichtung und Bedeutung der Wochenschau herbei. Zwar bleibe es Aufgabe des Kinos, „gute Unterhaltung zu pflegen“, doch „muß diesem dokumentarischen Dienst weit mehr als bisher, weit inhaltvoller als bisher, unverspielter, ernstzunehmender die Aufmerksamkeit aller Filmschaffenden und nicht nur der Reichsregierung und des Propaganda-Ministeriums gewidmet sein.“[7]

Die Wochenschau gehörte seit dem Ersten Weltkrieg zum festen Bestandteil des Kino-Vorprogramms in Deutschland. Sie hatte sich in den Zwanziger Jahren zu einem leichten, feuilletonistischen Format von zehn bis 15 Minuten Länge entwickelt, in dem politische, sportliche und kulturelle Ereignisse des In- und Auslandes knapp und nicht selten mit einer Prise Humor serviert wurden. Durch verschiedene Firmen, die Wochenschauen produzierten, wies dieser Programmpunkt im Lichtspieltheater eine gewisse Vielfalt auf: Bis zu 14 Unternehmen waren es in der Weimarer Republik, die das politische Spektrum ihrer Zeit abdeckten.[8] Seit 1931 gab es die Wochenschau auch mit Ton, was zu einer Marktkonzentration auf vier Anbieter führte, den informierenden und zugleich unterhaltenden Charakter der Ausgaben aber noch einmal verstärkte. Der Filmhistoriker Kay Hoffmann charakterisierte ihre Inhalte treffend mit: „Menschen, Tiere, Sensationen.“[9]

Doch was die Fachpresse in diesen Märztagen des Jahres 1933 über die Wochenschau in Umlauf setzte und als ihre zukünftige Aufgabe umriss, erinnert stark an die kommende einheitliche „Deutsche Wochenschau“ mit Adler, Hakenkreuz und der Fanfare aus dem Horst Wessel-Lied im Vorspann: strotzend von nationalsozialistischer Ideologie und massive Kriegspropaganda betreibend.[10] Solche Zuschreibungen haben in dieser Zeit allerdings noch wenig mit der Realität gemein. Sie sind mehr Wunsch als Wirklichkeit. Die NS-Diktatur hatte sich gerade mit viel Gewalt, diversen Gesetzen und Verordnungen etabliert, wesentliche Strukturen der Weimarer Republik waren aber noch intakt.


Für die Medienseite hat dabei die Gründung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda unter Joseph Goebbels am 13. März 1933 tragende Bedeutung. Zwar sollte der „Tag von Potsdam“ eine erste Bewährungsprobe für das neue Amt und damit für eine uniforme, zentral gelenkte Berichterstattung werden, das alte pluralistische Gefüge war aber in nur neun Tagen nicht zu zerschlagen. Wenn es innerhalb der noch heterogenen Presselandschaft und der drei vor Ort operierenden Wochenschaufirmen doch zu einer gewissen Einheitlichkeit kam, so liegen die Gründe im Ablauf selbst; ferner in den Einschüchterungen des Regimes, dem vorauseilenden Gehorsam mancher Journalisten oder der blinden Begeisterung für die neuen Machthaber. Eine andere Steuerungsmöglichkeit für Goebbels bot das strenge Reglement vor Ort: Wo waren welche Kameras zu positionieren? Welche Firmen durften an und welche in der Garnisonkirche filmen und den Ton der beiden Reden – von Hindenburg und Hitler – aufzeichnen und veröffentlichen? An der Intensität und Abgestimmtheit der Berichterstattung über den „Tag von Potsdam“ zeigt sich bereits die Trias der von Goebbels auserkorenen Mittel, die zur Massenbeeinflussung besonders tauglich waren: Rundfunk, illustrierte Presse und schließlich die Wochenschau.

Den Rundfunk schätzte er als das direkteste und aktuellste Medium der Propagandaverbreitung. So musste der Reichsrundfunk sein Programm an diesem Tag vereinheitlichen – die Pläne dazu schmiedete Goebbels wohl am 17. März 1933.[11] Es blieben also zur Umsetzung sechs Tage Zeit. Mit militärischen Konzerten, Musik von Friedrich II. und seiner Hofkapelle, der „Jubel-Ouvertüre“ von Carl Maria von Weber („Preußen und das Reich“, die eigentlich für den sächsischen König August III. komponiert war) und Auszügen aus Wagner-Opern hatte man einen festlichen Rahmen aus Tradition und Klassik gebaut. In diese Musikfolge wurden dann Live-Reportagen aus Potsdam, der Berliner Kroll-Oper als Ort der für 17 Uhr anberaumten Reichstagssitzung und vom abendlichen Fackelzug in der Reichshauptstadt eingestreut.[12] Die Nachteile dieser „Hörberichte“ lagen in ihrer Konzentration auf das gesprochene Wort. So musste der Sprecher in der ab 11:30 Uhr gesendeten Reportage vom „Tag von Potsdam“ alle angetretenen soldatischen Formationen des „alten und des neuen Reiches“ in endloser Aufzählung kundtun. Suggestive Kraft erlangte der live verbreitete Rundfunkbeitrag vor allem durch die Verschmelzung verschiedener O-Töne, etwa dem Glockengeläut mit den deutlich vernehmbaren Sieg-Heil-Rufen auf der Breiten Straße.[13] Ferner konnten Reden von Amtsträgern – hier von Hindenburg und Hitler aus dem Kirchenraum – unmittelbar bekannt gemacht werden. Neben den Inhalten ließen sich dabei der jeweilige Redestil und die Artikulation für die Propagandawirkung geschickt ausnutzen.


Die Rundfunksendungen standen – soweit über Programm-Anzeigen in der Tagespresse und teilweise überlieferte Mitschnitte rekonstruierbar – ganz im Zeichen der Versöhnung von Preußentum und „neuem Reich“; einzig der 15-minütige „Stimmungsbericht“ des angehenden Reichsjugendführers Baldur von Schirach aus Potsdam, der von 10:15 Uhr bis 10:30 Uhr über den Äther ging, war vermutlich durch schärfere Töne und offen vorgetragene NS-Ideologie geprägt. Für die Rezeptionsgeschichte dieser Radio-Reportagen muss allerdings die vergleichsweise geringe Ausstattung mit privaten Rundfunkgeräten berücksichtigt werden, was teilweise durch öffentliche Lautsprecher in Berlin und Gemeinschaftsempfang (etwa in Schulen bei „Schulfeiern“) versucht wurde auszugleichen. Erst im August 1933 kam ja der VE 301, der „Volksempfänger“, auf den Markt und selbst 1938 besaßen nur 60 % der deutschen Haushalte ein Rundfunkgerät.[14] Um an das Ereignis zu erinnern, erhielt bereits am 22. März 1933 der Deutschlandsender ein neues Pausenzeichen: die ersten Klänge des Glockenspiels der Garnisonkirche „Üb’ immer treu und Redlichkeit“.[15]

Die Presse erreichte indes den weitaus größten Teil der deutschen Bevölkerung – und sie war fast so aktuell wie der Rundfunk. Bereits am späten Nachmittag des 21. März erschienen erste Sondernummern der schon um kommunistische und sozialdemokratische Blätter bereinigten Zeitungslandschaft, z.B. der Berliner Morgenpost, des Berliner Tageblattes und auch noch der liberalen Vossischen Zeitung.[16] Die Zweite Nummer der Berliner illustrierten Nachtausgabe vom 21. März prahlte mit der „ersten Aufnahme aus der Potsdamer Garnisonkirche“.[17] Am Folgetag standen dann sämtliche Zeitungen unter dem Eindruck des Festaktes. Die Ausgaben dominierten allerdings lange Wortberichte und Abdrucke der Reden von Hindenburg und Hitler, meist wurde lediglich ein Foto auf der Titelseite platziert.[18] Diese „Bleiwüsten“ waren zwar nicht ungewöhnlich, doch fällt auf, dass die reich bebilderten Sondernummern des Illustrierten Beobachters, der Woche und der Berliner Illustrirten Zeitung spät, nämlich erst nach dem 25. März 1933 heraus kamen. Damit lagen sie im Erscheinungsdatum hinter sämtlichen Wochenschauen und konnten im gedruckten Momentbild nur noch das wiederholen, was ein Teil der Bevölkerung bereits im bewegten Bild gesehen hatte.


Freilich war es möglich, in Fotoauswahl und Platzierung Schwerpunkte zu setzen und somit auch eine Bewertung einzuschreiben. Ein wichtiges Kriterium bildete dabei die Präsenz von Hitler und seiner Verbände: SA, Hitlerjugend und Bund Deutscher Mädel. Ulrich Kellers Vergleich der Titelmotive im Band Jahrhundert der Bilder kommt dabei zu dem Ergebnis, dass der Illustrierte Beobachter vom 31. März 1933 mit dem Cover-Motiv „lässig grüßender Hitler in Zivil“ und dem leicht zurückgesetzten Franz von Papen eine den Nationalsozialisten genehme Lesart anschlug. Die Münchner Illustrierte Presse brachte hingegen Hindenburg groß im Titel und die Berliner Illustrirte Zeitung sowie Die Woche entschieden sich für keinen der beiden Hauptakteure als Aufmacher, wahrten also in dieser Hinsicht Neutralität. Schließlich gehörten die letztgenannten Blätter zur parteiunabhängigen Presse, während der Illustrierte Beobachter von der NSDAP herausgegeben wurde. Das deutlichste Kritikpotential wohnte dabei einer Fotografie von Martin Munkácsi im Innenteil der Berliner Illustrirten Zeitung inne. Sie zeigt den unsicher über das Pflaster vor der Garnisonkirche schreitenden Hitler, der die Balance zu verlieren scheint und hinzustürzen droht.[19] In der Bildpublizistik lassen sich demnach offenbar Rudimente der pluralistischen Weimarer Presselandschaft nachweisen, obwohl die NS-Gleichschaltung bereits begonnen hatte.

Trotz der schon im März 1933 einsetzenden Lenkung des Filmsektors durch Goebbels – mit Verboten vor allem sowjetischer Klassiker und links engagierter deutscher Filme – wären ähnliche Informationsspielräume auch für die Wochenschau zu vermuten. Allerdings stößt der exakte Nachweis an Grenzen, denn im Gegensatz zum Pressespiegel und der fast komplett erhaltenen Kriegswochenschau ab 1939 klaffen für die Jahre 1933 bis 1936 erhebliche Überlieferungslücken, und zwar sowohl für die erhaltenen Filme als auch für Zensurdokumente, die eine Identifizierung der Inhalte ermöglichen würden.[20]

Anzeige der Ufa für Ihre Wochenschauen zum „Tag von Potsdam“, in: Film-Kurier, 22.3.1933. Im Teil „Potsdam“ wird die Garnisonkirche mit der Nikolaikirche verwechselt.


Am 21. und 22. März 1933 gelangten sechs verschiedene Wochenschauen mit abweichenden Sujets vom „Tag von Potsdam“ in die Kinos: Ufa-Ton-Woche, Ufa-Wochenschau, Deulig-Ton-Woche (auch von der Ufa produziert), die US-amerikanische Fox Tönende Wochenschau mit der regulären Ausgabe und der Sondernummer „Deutschland ringt sich wieder empor“ sowie die Emelka-Ton-Woche der Bavaria aus München. Von diesen Filmen ist – nach derzeitigen Recherchen – der Eildienst der Ufa-Ton-Woche (Nr. 133/1933) sowie die mit ähnlichem Bildmaterial ausgestattete kürzere stumme Ufa-Wochenschau (Nr. 13/1933) komplett erhalten geblieben. Aufnahmen der Emelka wurden in den Emelka-Ton-Wochen vom 22. und 30. März 1933 überliefert, die längeren Sequenzen enthält dabei die spätere Ausgabe.

Anzeige der Fox Tönenden Wochenschau für Ihren Sonderdienst zum „Tag von Potsdam“, in: Film-Kurier, 22.3.1933.

Die überschwängliche Presseresonanz auf die Wochenschau-Beiträge,[21] diverse Eigen-Reklamen der beteiligten Firmen[22] wie auch die Menge der verschiedenen Schutzmarken und Ausgaben lassen auf eine schnelle und flächendeckende Belieferung der Kinos mit Filmberichten vom „Tag von Potsdam“ schließen. Dem stehen allerdings die vergleichsweise geringen Vervielfältigungszahlen pro Ausgabe entgegen. So wurden die Ufa-Ton-Woche und die Deulig-Ton-Woche 1932 mit wöchentlich 118 und zwei Jahre später mit 179 Kopien gestartet. Eine gleichzeitige Belieferung aller rund 3.000 Kinos in Deutschland mit aktuellen Wochenschauen scheint also 1933 ausgeschlossen gewesen zu sein.[23]

Der Eildienst der Ufa-Ton-Woche vom 22. März 1933 sowie die Emelka-Ton-Woche vom 30. März 1933 repräsentieren zwei Typen von Wochenschaureportagen. Im ersten Beispiel wurde eine komplette Ausgabe als Sondernummer ausschließlich dem Ereignis gewidmet. Die Emelka passte hingegen die Berichterstattung vom Staatsakt und der Reichstagseröffnung in das übliche Schema einer Wochenschau – mit Kurzberichten aus dem In- und Ausland – ein. Beide Varianten greifen dabei auf eine chronologische Struktur zurück und zeigen im Wesentlichen Aufnahmen der gleichen Potsdamer Schauplätze: Garnisonkirche von außen, Platz vor der Garnisonkirche und Breite Straße mit dem Vorbeimarsch von Einheiten der Reichswehr, SA, Stahlhelm, Hitlerjugend, Bund Deutscher Mädel und Schutzpolizei. Der meiste Platz wird jedoch Hindenburg, Hitler und der übrigen Reichsregierung eingeräumt, wobei Großaufnahmen einzelner Protagonisten eher selten sind. Die Ausgaben schließen mit der Nationalhymne. Überwiegend zeichnen sich die Außenaufnahmen durch erhöhte und damit „privilegierte“ Kamerastandpunkte aus, was insbesondere im Vergleich mit überlieferten Amateurfilmen auffällt. Formale Übereinstimmungen der Wochenschausujets betreffen auch die Tonebene: Sie umfasst vor Ort aufgezeichnete Geräusche, Marschmusik und Redeausschnitte. Aus technischen Gründen fehlt ein Off-Kommentar (dies hätte einer komplizierten Ton-Montage im Studio bedurft), so dass einzelne Stationen per Zwischentitel eingeblendet werden, um den Zuschauern die Orientierung zu erleichtern. Ebenfalls noch nicht enthalten war die – insbesondere für die Wochenschau im Zweiten Weltkrieg typische – sinfonische Begleitmusik, die den späteren Kampfbildern einen heroischen bis feierlichen Gestus verlieh.[24] Zusammen schaffen diese für 1933 üblichen Wochenschau-Elemente einerseits eine sehr direkte Live-Atmosphäre. Andererseits entsteht ein eher distanzierter Blick auf das Ereignis, da ein Sprecherkommentar – und damit eine wörtliche „Interpretation“ – nicht enthalten ist.

Die größten Unterschiede der untersuchten Ausgaben – Eildienst der Ufa-Ton-Woche vom 22. März 1933 sowie die Emelka-Ton-Woche vom 30. März 1933 – liegen in der Wiedergabe des Staatsaktes in der Garnisonkirche selbst. Da die Ufa offenbar im Gotteshaus nicht filmen durfte, ihr aber die im Rundfunk übertragenen Reden von Hindenburg und Hitler zur Verfügung standen, integrierte sie in ihren Eildienst die jeweils zweiminütigen Tonaufnahmen zu Schwarzbild bzw. entsprechenden Zwischentiteln. Hier rangierte der Neuigkeitswert des Gesagten eindeutig vor der eigentlich für das Medium unwürdigen Verfahrensweise, über vier Minuten lang keine Bilder zu liefern. Auch hielt man bei der Ufa – im Gegensatz zur Emelka rund eine Woche später – die Reichstagssitzung in der Kroll-Oper und den Fackelzug für wichtig genug, sie als Schlussepisoden und „Abrundung“ des Tages einzubeziehen.

Indem der Ufa-Eildienst das übrige Weltgeschehen völlig ausblendet, wird der „Tag von Potsdam“ hier in seiner tagesaktuellen Bedeutung noch einmal erhöht. Für die Emelka ist das Ereignis am 30. März 1933 immerhin eine rund siebenminütige Reportage am Schluss der insgesamt 15 Minuten umfassenden Wochenschau wert. Damit folgt sie der eingespielten Dramaturgie, das Hauptsujet entweder am Anfang oder am Ende einer Ausgabe zu exponieren.[25] In dieser Anordnung ist es zwar hervorgehoben, es tritt jedoch mit den anderen Themen und Beiträgen in Beziehung und kann unweigerlich zu politisch mehr oder weniger gewünschten Assoziationen des Publikums führen. Sicher war dabei das vor die Potsdam-Aufnahmen platzierte Sujet über amerikanische Flottenmanöver vor Hawaii geeignet, die Wirkung der NS-Machtdemonstration noch zu steigern – nach dem Motto: wenn die USA rüstet, müssen auch wir vaterländische Stärke zeigen. Die davor liegenden zwei Aprilscherze[26] sowie Sujets wie „Das kleinste Klein-Auto! Der vierjährige Kurt Leschke mit seinem überdimensionierten Super-Kompressor“ und „Wildfütterung im Park Nymphenburg“[27] bildeten aber einen solch starken Kontrast zum „Tag von Potsdam“, dass sich der Charakter der gesamten Wochenschau-Nummer in Richtung „Menschen, Tiere, Sensationen“ verschob. Der staatsmännische Akt geriet damit in ein allzu unfeierliches und propagandistisch ungünstiges Umfeld.

Gerade die Emelka-Ton-Woche vom 30. März 1933 ist so als Zwitter zu kennzeichnen, in der die mediale Umbruchsituation jener Zeit markant hervor tritt: In der Weimarer Republik entwickelte Elemente treffen auf Versuche, den Film für die NS-Propaganda zu instrumentalisieren. Deutlich wird, warum die gleichgeschaltete Fachzeitschrift Film-Kurier im Dezember 1933 die „innere Systemlosigkeit der Wochenschau“[28] anprangerte und erst im Juni 1935 eine Ausgabe die von den Nationalsozialisten eingeführten Prädikate „künstlerisch wertvoll“ und „staatspolitisch wertvoll“ erhielt.[29] Die Berichterstattung vom „Tag von Potsdam“ erscheint somit ähnlich ambivalent, wie es die Forschung für den politischen und kirchlichen Kontext ermittelt hat.

Dieser Text beruht wesentlich auf dem Aufsatz des Autors in: Manfred Gailus (Hg.): Täter und Komplizen in Theologie und Kirchen 1933-1945. Berlin: Wallstein 2015. Wir danken herzlich dem Verlag für die Genehmigung zur aktualisierten Wiederveröffentlichung.

Dr. habil. Ralf Forster ist Medienwissenschaftler, Filmtechnikhistoriker am Filmmuseum Potsdam und Kurator von Ausstellungen und Filmprogrammen


Anmerkungen

[1] Vgl. Thomas Wernicke: Der Handschlag am „Tag von Potsdam“, in: Der Tag von Potsdam. Der 21. März 1933 und die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur, hg. von Christoph Kopke und Werner Treß, Berlin 2013, S. 8-34.
[2] Während die wissenschaftliche Rezeption das Ereignis lange als glänzendes und wohldurchdachtes Schauspiel der Nationalsozialisten zum Zwecke ihrer Machtentfaltung bewertet hat, wird mittlerweile vor allem auf die dominierenden konservativ-monarchistischen Elemente und die Zuschneidung der Veranstaltung auf Hindenburg aufmerksam gemacht. Vgl. Martin Sabrow: Der „Tag von Potsdam“. Zur doppelten Karriere eines politischen Mythos, in: Der Tag von Potsdam. Berlin 2013, S. 47-86.
[3] 1. „Deutschland ist erwacht! Der Tag von Potsdam: 21. März 1933“, Zensur: 29.3.1933, 268 m, 16mm, stumm, laut Zensurkarte „ein Kinagfafilm aufgenommen mit der Agfa-Movex auf Agfa-Umkehrfilm 16mm“; 2. „Der Staatsakt in Potsdam“, Zensur: 4.4.1933, 57 m, 16mm, stumm, laut Zensurkarte „Vertrieb: Kurt Kruschke, Berlin-Charlottenburg, Luisenplatz 1“; 3. „Potsdam 21. März 1933“, Amateurfilm, Produktion Ruderklub Vineta Potsdam, um 80 m, 16mm; 4. „Tag von Potsdam“, Amateurfilm, Verein der Thomasmehl-Erzeuger.
[4] https://www.deutsches-bildbandarchiv.de/Filmrollenliste-Teil1.pdf, 18.3.2023.
[5] Üblicherweise kamen Ereignisberichte erst nach mehr als einer Woche in die Kinos; diese Praxis änderte sich auch im Zweiten Weltkrieg kaum. Vgl. Ralf Forster: Von der Front in die Kinos. Der Weg der PK-Berichte in die Deutsche Wochenschau, in: Die Kamera als Waffe. Propagandabilder des Zweiten Weltkrieges, hg. von Rainer Rother und Judith Prokasky, München 2010, S. 49-63.
[6] „Die Ufa-Wochenschau wird mit 4 Ton- und 6-8 Stummapparaturen aufnehmen. Die Fox Tönende Wochenschau setzt fünf Tonapparaturen ein, die sie mit drei Wochenschau-Autos heranbringt und die Emelka-Woche wird mit insgesamt 6 Aufnahmegeräten, 2 Tonaufnahme- und 4 Stummkameras vertreten sein.“ (Tag der Wochenschauen, in: Film-Kurier, 20.3.1933, S. 1)
[7] Der 21. März im Tonfilm, in: Film-Kurier, 21.3.1933, S. 1.
[8] Klaus Kreimeier: Frühes Infotainment. Entwicklungstendenzen der Wochenschau, in: Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland. Band 2 Weimarer Republik 1918-1933, hg. von Klaus Kreimeier, Antje Ehmann und Jeanpaul Goergen, Stuttgart 2005, S. 322-347, hier S. 340.
[9] Kay Hoffmann: Menschen, Tiere, Sensationen. Die Wochenschau der 30er Jahre, in: Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland. Band 3 „Drittes Reich“ 1933-1945, hg. von Peter Zimmermann und Kay Hoffmann, Stuttgart 2005, S. 211-230, hier S. 211.
[10] Die institutionell und über den Vorspann erkennbar vereinheitlichte „Deutsche Wochenschau“ erschien erstmals am 20. Juni 1940; mit Beginn des Zweiten Weltkrieges waren jedoch die Inhalte aller Wochenschauen bereits identisch, die Ausgaben unterschieden sich nur in den Titelvorspännen.
[11] „Abends Arbeit zu Hause. Ganze Potsdamer Feier fertig gemacht. Wird groß und klassisch. Ich schufte bis in die Nacht. Mit Krukenberg Rundfunkprogramm fertig gemacht.“ (Die Tagebücher von Joseph Goebbels, hg. von Elke Fröhlich, Bd. 1, S. 149) Gustav Krukenberg war 1933 Rundfunkkommissar im Propagandaministerium.
[12] Das Programm für Potsdam, in: Berliner Tageblatt, 20.3.1933, S. 3.
[13] Die etwa fünfminütige Reportage ist im Deutschen Rundfunkarchiv Frankfurt am Main überliefert und auf der CD „1933 – Der Weg in die Katastrophe. Tonaufnahmen aus dem Jahr 1933“ (produziert vom Deutschen Historischen Museum Berlin und Deutschen Rundfunkarchiv) enthalten.
[14] Vgl. Hermann Glaser, Hans Jürgen Koch: Ganz Ohr. Eine Kulturgeschichte des Radios in Deutschland, Köln 2005, S. 100-101.
[15] Der Tag im Sender, in: Berliner Tageblatt, 22.3.1933, Morgen-Ausgabe, 1. Beiblatt.
[16] Bemerkenswert an der Abendausgabe der Vossischen Zeitung vom 21.3.1933 sind die bereits im Leitartikel eingestreuten Nebensätze zur politischen Situation, die auf Kritik und Verfolgung gleichermaßen hindeuten: „Auf den Bänken der alten Garnisonkirche saßen nur die Vertreter der bürgerlichen Parteien. Dem Staatsakt folgt am Nachmittag die erste Arbeitssitzung, an der auch die Sozialdemokraten teilnehmen, soweit sie in Freiheit sind.“ (Der Festtag von Potsdam, in: Vossische Zeitung, 21.3.1933, S. 1) Das Blatt musste zum 1.4.1934 ihr Erscheinen einstellen.
[17] Berliner illustrierte Nachtausgabe, 21.3.1933, 2. Ausgabe, S. 1.
[18] Immerhin kam die Berliner Morgenpost am 22.3.1933 mit der ganzseitigen Rubrik „In Potsdam und in Berlin. Der 21. März im Bild“ heraus, in der sechs Fotografien veröffentlicht wurden.
[19] Ulrich Keller: Bilder der „Machtergreifung“. Staatsreportagen zwischen Apologie und Distanzierung, in: Das Jahrhundert der Bilder, hg. von Gerhard Paul, Göttingen 2009, S. 428-435, hier S. 433.
[20] Vgl. Ulrike Bartels: Die Wochenschau im Dritten Reich. Entwicklung und Funktion eines Massenmediums unter besonderer Berücksichtigung völkisch-nationaler Inhalte, Frankfurt am Main u.a. 2004, S. 265-267.
[21] „So wendet sich der Film nun in dreitausend deutschen Lichtspieltheatern an das ganze Volk und bringt ihm das gewaltige Erlebnis dieses Tages vor Auge und Ohr. Hunderttausende, die dabei gewesen sind, erleben die Ereignisse noch einmal mit.“ (hs.: Der Tag von Potsdam, in: Film-Kurier, 23.3.1933)
[22] Fox-Rekorddienst. Aufnahmen vom Staatsakt in Potsdam zeigte Fox Tönende Wochenschau noch am selben Tage. Fox – immer Rekord. Anzeige der Fox Tönende Wochenschau in: Film-Kurier, 22.3.1933.
[23] Die Laufzeit konnte bis zu 16 Wochen betragen. Erst im September 1939, mit Beginn des Zweiten Weltkrieges, wurden Auflagenhöhen von 865 Stück pro Ausgabe erreicht. Vgl. 25 Jahre Wochenschau der Ufa, hg. Ufa-Lehrschau, Berlin 1939, S. 25.
[24] Bartels (Anm. 18), S. 99-100.
[25] Lars Geerdes: Die Sportberichterstattung in den deutschen Wochenschauen 1930-1939. Magisterarbeit an der Freien Universität Berlin 1988, S. 26-27.
[26] Einer der Scherze „zeigt Versuche mit der Stromlinienform bei einem Läufer; ihm werden auf den Kopf, auf den Rücken und an den Fersen spitze Kegel gebunden und er gewinnt damit.“ (Hoffmann, Anm. 7, S. 227)
[27] Sichtungsprotokoll zur „Emelka-Ton-Woche“ Nr. 14, 1933, vom 30.3.1933, in: Haus des Dokumentarfilms Stuttgart, Akten zum DFG-Projekt Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland bis 1945.
[28] Film-Kurier, 5.12.1933.
[29] Bartels (Anm. 18), S. 76. Es handelte sich um die „Ufa-Ton-Woche“ Nr. 246, 1935 mit der Einweihung des Autobahnabschnittes Frankfurt – Darmstadt am 19.5.1935 durch Hitler.

Online seit: 19. März 2023

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